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Kultur

„100 Prozent Gegenwart, 100 Prozent Engagement für 99 Plätze mit 100 – prozentiger Auslastung!“

Donnerstag, 6. Juni 2013 | Text: Gastbeitrag | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

„Das kriegen wir natürlich nicht hin“, scherzt Heinz Simon Keller auf der Pressekonferenz in der Kleingedankstrasse 6. Der designierte Intendant des „Theaters der Keller“ und Nachfolger von Pia Maria Gehle fügt dann doch noch ein entschärfendes: „Aber wir versuchen es“ hinzu und lächelt.   

Das zum größten Teil neue und junge Kollegium um den gebürtigen Schweizer Regisseur und Schauspieler ist unter anderem auf der Suche nach neuen und noch jüngeren Theaterbesuchern. Zuschauer müssen her. Die politischen und sozialkritischen Stücke und deren unmittelbarer Bezug zur Gegenwart sollen endlich das Interesse bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wecken, in die Auseinandersetzung zu gehen. Neue Theaterstücke zur Orientierung. Offenbar dafür zuständig, jungen Menschen zu helfen über ihren Platz und ihre Aufgabe in der Welt nachzudenken.

 

Im Laufe der Konferenz wird deutlich hervorgehoben, dass der Gegenwartsbezug in der Gesellschaft mit einem hundertprozentig politischem Ansatz verfolgt wird, und man somit der traditionsreichen Linie des Hauses treu bleibt. Nach Ansicht des jungen Teams erreicht man das am besten mit junger Dramatik. Theaterstücke, die einen Bezug oder eine Verbindung unter anderem zur Globalisierung, zur Finanzkrise und zu fundamentalistischen Einstellungen herstellen. Stücke, die wegweisend sind und für Umbrüche und Veränderung stehen. Stücke, in denen sich mit Randgruppen auseinandergesetzt wird (auch mit alten Leuten?) und wo schließlich unsichtbare Missstände zutage treten. Bei Bedarf  kann der Zuschauer darüber anschließend in einer Diskussionsrunde, zu der künftig nach jedem Stück eingeladen wird, „verhandeln“.

Es geht um Stücke von jungen Autoren, deren Geschichten und Handlungen nicht in der Stagnation verharren. Stücke, in denen sich menschliche Abgründe und Unmenschlichkeiten auftun, und die einen Vergleich zur Gegenwart zulassen.  Wie beispielweise in dem Stück „Waisen“ von Dennis Kelly, Jahrgang 1970, das uns im September 2013 erwartet. Die Regisseurin Sandra Reitmayer, die das Stück inszenieren wird, hat dieses Jahr im Fach Regie an der Folkwang Hochschule in Essen ihren Abschluss gemacht.

Gespannt sein können wir auch auf das erste Stück der Spielzeit, „Eine Stille für Frau Schirakesch“, von Theresia Walser, Jahrgang 1967, das am Freitag, den 13.09.2013, zur Spielplan-Eröffnung seine Premiere feiert. Ein mutiges Stück. Eine böse, gepfefferte Komödie, in der es um die Andachtsminute bei der Hinrichtung einer Frau geht. Hier werden ein Blick auf eine fremde Kultur und ein gesellschaftliches Verhalten gewagt.  Untersucht werden soll unsere Sichtweise: Wie gehen wir mit der Steinigung einer Frau um? Laut eigener Aussage des Regisseurs Heinz Simon Keller: „Ist es für uns absurd, da überhaupt zuzugucken.“  

Das für 2014 zu erwartende Stück „Malaga“, von Lukas Bärfuss, Jahrgang 1971, unter der Regie von Simina German, Absolventin der Studiengänge Regie und Schauspiel an der Folkwang Universität in Essen, beschäftigt sich mit der Gesellschaft des Individualismus und des Egoismus. Es geht um ein getrennt lebendes Ehepaar, das sein Kind wie ein Möbelstück umherschiebt und es zugunsten des eigenen Amüsements loswerden möchte. Dieses Ehepaar erlebt mit seinem dubiosen Babysitter, der dem Ganzen etwas Surreales verleiht, einen „Albtraum“, und das bedauernswerte „brutal geopferte Kind“ landet letztendlich im Krankenhaus.

Wem das Stück „Kaltes Land“ von Reto Finger, Jahrgang 1972, entgangen ist, kann sich jetzt zusammen mit Thomas Ulrich dem Regisseur, Dozenten und Leiter der ehemals internen Schauspielschule des „Theater der Keller“ über die Wiederaufnahme im September 2013 freuen. „Es geht um Heimatverlorenheit, die“ so erläutert er, „mit zwei modernen Menschen in die kleine Stadt eindringt. Die Sprache ist verknappt. Es endet heftig, ohne dass viel gesprochen wird. Aber gerade deswegen ist es ein sprachlich sehr starkes Stück.“

Mit der Schule des Theaters befindet sich Thomas Ulrich gerade im Prozess, nach Niehl umzuziehen. Es wurde entschieden, die Türen des Hauses für ein weiteres Programm, neben dem des Spielplans, zu öffnen. Es soll als eine künstlerische Plattform für Künstler aller Genres dienen. Es existiert außerdem unter anderem eine Kooperation mit der Kölner Hochschule für Medien. Das Keller Theater fordert auf: „Wer als Künstler etwas zu sagen hat, der soll gerne kommen.“

Die Tradition, mit den Schülern des Theaters eng zusammenzuarbeiten, wird aber weiterhin gepflegt. Der Nachwuchs sammelt erste Erfahrungen, indem seine Produktionen fester Bestandteil des Spielplans sind und er darüber hinaus in einige Stücke am Theater eingebunden wird. Es ist eine Mischung aus „alten Hasen“ und „jungen Hasen“ vorgesehen.

Der professionelle Anspruch ist nach wie vor sehr hoch. Die jetzige Abschlussklasse sei, so ist zu hören, sehr stark. Trotz der Tatsache, dass diese Form der Zusammenstellung eines Ensembles die Arbeit erschwert, möchte das Kollegium die professionellen Schauspieler und die Schüler dieser Zunft gerne zusammen bringen,  – „weil es dem Theater dient und somit dient es uns.“ Die ZAV Vorsprechen finden weiterhin auf den Probebühnen des Hauses statt.

Für professionelle Schauspieler ohne Engagement wird hier zukünftig für eine Gelegenheit gesorgt, im künstlerischen Prozess bleiben zu können. Unter den Fittichen von Schauspieler und Dozent Gerhard Roiß und nach dem  Vorbild des „Actors Studio“ in New York kann hier im zukünftigen „Acting Working Studio“ regelmäßig trainiert werden. Das Ergebnis des Trainings kann von den Schauspielern in sogenannten Werkschauen öffentlich präsentiert werden.

Heinz Simon Keller ist  zuversichtlich: „Wir schulden der Politik im Theaterbereich die uns mit Geldern aus dem ‚Feuerwehrtopf‘ versorgt hat, großen Dank. In der Krise liegt die Chance. Das Theater hat schon viele Krisen hinter sich. Wie auch eine persönliche Krise ein guter Grund ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Warum diese Krise nicht auch konzeptionell politisch weiterführen? Die Leute sollen uns als  einen Ort der Kommunikation und des Zusammenkommens erleben und mit Begeisterung über ihr Erlebtes sprechen. Wir freuen uns mit einem guten Gefühl, diese Chance am Schopfe zu packen und wollen uns offen an diesen doppelten Neuanfang wagen.“

Auf dem Weg zurück zur Theaterbar fügt Herr Keller noch hinzu: „ Die Bilder der neuen Räumlichkeiten für unsere Schule können Sie sich gerne in der Lobby anschauen, trinken Sie noch etwas, ich stehe Ihnen dann für weitere Fragen auf Ihre Antworten gerne zur Verfügung…“ und räumt nach einem klitzekleinen Innehalten ein: „Ich bin ein bisschen nervös.“
 

Isabel Hemming

Text: Gastbeitrag

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