1:1 – schon gehört?
Donnerstag, 2. Dezember 2010 | Text: Jens Rosskothen | Bild: Wolfgang Burat
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Denke ich an klassische Musik, überkommt mich immer eine dubiose Ehrfurcht. Als Pianist habe ich so manches Tastentänzchen mit den Vertretern klassischer Musik gewagt, und doch stehe ich immer an einem großen Graben voller Staub und Ernsthaftigkeit, der mich klassische Musik nur aus der Ferne betrachten lässt. Und wie bei dem vermeintlichen Riesen bei Jim Knopf, erscheinen mir die musikalischen Vertreter klassischer Musik gerade aus dieser Entfernung groß und fremd. Die Struktur und Virtuosität ihres Spiels lässt mich kleinlaut am Grabenrand zurück. Da dreh‘ ich mich lieber um, greife mir die Gitarre und singe einen bescheidenen Song.
Mit dieser Ehrfurcht sitze ich nun also in einem südstädtischen Café und warte an einem verschneiten Morgen auf meine Interviewpartnerin, die aus der Schweiz stammende Geigerin des Asasello Quartetts, Barbara Kuster. Das Asasello Quartett hat im Bereich der klassisch romantischen Musik, wie auch der sogenannten zeitgenössischen Musik mittlerweile als begnadetes Streicherensemble einen hervorragenden Ruf. Die aus Russland (Rostislav Kojevnikov), Polen (Justyna Sliwa), Österreich (Wolfgang Zamastil) und eben der Schweiz (Barbara Kuster) stammenden Musiker, mittlerweile alle Südstädter und auch hier probend, haben schon etliche Preise gewonnen (unter anderem 2010 den Preis des Verbandes der Deutschen Konzertdirektionen) und lassen die Kritiker jubeln. Bezüglich ihrer Konzerte ist da gerne mal von „Sternstunden“ die Rede. CD’s wurden produziert und erfolgreiche Tourneen, wie 2009 durch Sibirien, folgten.
Mit diesem Vorwissen bin ich mir, mich nervös räuspernd, an diesem Morgen dann auch fast sicher, Barbara Kuster werde gleich mit strengem Gesichtsausdruck, in dem bestenfalls ein gönnerhaftes Lächeln weilt, um die Ecke schweben. Schwarzgekleidet, natürlich, in durch und durch disziplinierter Körperhaltung. Auch Johnny Cash war immer gänzlich in Schwarz gekleidet, denke ich noch mutig und hebe schon mal vorab einen Fuß Richtung Graben. Und natürlich kommt dann alles ganz anders…
Über Frau Kusters tatsächliches Outfit an diesem Morgen zu schreiben, wäre dann doch zu sehr Boulevard. Aber das sich so ein bekloppter Graben innerhalb einer guten Stunde durch respektvolles Erkennen und emotionales Verstehen zuschaufeln lässt, erzeugt Euphorie mit Bodenhaftung. Mit ihrer Konzertreihe „1:1 – schon gehört?“ unternimmt das Ensemble den innovativen Versuch, eine Brücke zu bauen und schmeißt das Vorurteil, ein Streichquartett gehöre zur großbürgerlichen Szene wie Kronleuchter und Pralinennaschen, in den Restmüll. „Wir möchten die Distanz zum Publikum aufbrechen und diese hindernde Ehrfurcht vor klassischem Repertoire durch Respekt ersetzen“, sagt Barbara Kuster. Eine Gratwanderung. Denn die Darbietung hochkomplexer Kompositionen bedarf äußester Konzentration. Hier wabbert kein Bassteppich durch’s Musikstück, auf dem man, ganz Popstar, das eigene Instrument mal kurz ablegen könnte, um sich hüftschwingend in die Menge zu werfen und die Distanz durch imaginären Sex mit dem gesamten euphorischen Publikum aufzuheben. Vielmehr spielen die Stimmen der vier Streichinstrumente ineinander, umspielen sich zeitweise und bilden ein Geflecht, das bei dem kleinsten Fehler auseinanderbrechen könnte. Doch gerade hier möchte das Quartett die Distanz zu den Zuhörern mit dem überwinden, was bei so manchem hüftschwingenden Prachtexemplar der Popmusik oft nicht mehr als das eigentlich Wesentliche erscheint: Musik. Durch die Zusammenstellung des Programms, meist eine klassisch romantische Komposition älteren Datums neben einem Stück zeitgenössischer Musik, sollen die einzelnen Stücke ihrer auf der horizontalen Zeitschiene einkategorisierten Assoziation enthoben und so entstaubt werden. Durch die Kombination von neuer und alter Musik definiert sich das Hörerlebnis neu, spürt man die Zeitlosigkeit der einzelnen Kompositionen. Denn letztlich geht es in der Musik doch vor allem um eins: Emotionalität.
So betont Barbara Kuster auch, dass es dem Ensemble bei aller Virtuosität um diese emotionale Verbindung mit dem Publikum geht. Und bei allem frenetischen Bejubeln wahnwitzig virtuoser Passagen, ist ihr doch eins viel wichtiger: Das, was danach kommt. Und sollte der Jubel des Publikums in diesem Moment verstummen und ein erwartungsvolles Horchen einsetzen, die Distanz wäre überwunden. Bei ihrem Konzert im Sancta Clara Keller wird das Asasello Quartett Stücke der nach Amerika ausgewanderten zeitgenössischen Komponisten A. Schönberg und E.W. Korngold vortragen. Ausnahmsweise beides Komponisten der jüngeren Vergangenheit. Befreundet und grundverschieden. Während dem einen mit seiner Zwölftonmusik der Vorwurf entgegenschlug, nun wohl völlig abzudrehen, sah sich der andere der Kritik ausgesetzt, seine für Hollywood komponierte Filmmusik sei wohl gar zu eingängig. Doch bei aller Gegensätzlichkeit der Musik, zeichnet ihre Stücke vor allen Dingen eines aus: die tiefgehende Sinnlichkeit. Und genau diese Sinnlichkeit wird man vielleicht gemeinsam mit den Musikern des Quartetts auf ihrem Konzert erspüren. Wenn man nach virtuosen Passagen innehält und horcht.
Und so sitzen Barbara Kuster und ich gegen Ende des Interviews vor leeren Kakao- und Kaffeetassen und denken, dass das eigentlich wie in jeder guten Beziehung ist. Nach der Euphorie über die anfängliche Virtuosität sollte man innehalten. Und wenn man in dieses Innehalten horcht und in dem, was danach kommt den anderen spürt, kann man fröhlich grinsend von echter Begegnung reden. Denken wir so, grinsen selbst ein bißchen, zahlen die Getränke und gehen jeder seiner Wege…
8. Konzert der Reihe „1:1 – schon gehört?“ mit Werken von A. Schönberg: Streichquartett Nr.4 und E.W. Korngold: Streichquartett Nr.2 Es-Dur, op.26
3. Dezember 2010, 20:00 Uhr
Sancta Clara Keller, Am Römerturm 3 / Vorbestellung: 02232-566808
AK 10 / 8
www.asasello-quartett.ch
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