784 durch 10
Dienstag, 6. Februar 2018 | Text: Kathrin Baumhöfer | Bild: Oliver Köhler
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Macht 78,4 Filme pro Tag. In der Woche nach Karneval, am 15. Februar, starten Deutschlands 68. Internationale Filmfestspiele und deshalb wird Jürgen Lütz, der Geschäftsführer des Odeon-Lichtspieltheaters in der Severinstraße, wieder abtauchen. Wird für mehr als eine Woche kaum Tageslicht sehen – die Berlinale strahlt bis in die Südstadt.
Filmfest jenseits der Festlichkeiten
Für Lütz – um die 50, dunkle, leicht graumelierte Haare, grauer Wollpulli – spielt sich alles weit entfernt von rotem Teppich und Premieren-Glamour ab. Sein Ziel ist der European Film Market – kurz EFM – auf dem sich Produzenten, Verleiher, Einkäufer und viele andere Fachbesucher treffen – laut Berlinale-Veranstaltern insgesamt mehr als 9.000. Hier treffen auch die Kinomacher aus der Südstadt eine Vorauswahl für das Programm der kommenden Monate. „Für uns ist das Wichtigste, dass wir alles sichten, das mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Kino kommt“, sagt Lütz. In diesem Jahr sind das beim EFM 784 Filme, die Berlinale dauert vom 15. Bis zum 25. Februar. Übersetzt ins persönliche Festivalprogramm von Jürgen Lütz heißt das: Kino, Kino, Kino – manchmal allein, oft mit Kollegen, erste Vorstellung um halb neun Uhr morgens. „Ich lasse meinen Tag auf der Berlinale meist von der Messe strukturieren“, meint Lütz. Außerdem gibt es natürlich Branchentermine, etwa von Verleihern, die ihre Produktionen bewerben.
Bären-Gewinner im Odeon
Das Ziel: „Nach der Berlinale muss ich zehn Filme klar haben“, so der Odeon-Chef. Über die Auswahl wird mitunter auch gestritten: etwa im Fall von „Körper und Seele“, dem ungarischen Melodram und späteren Bären-Gewinner. Von einer Liebe zwischen zwei Außenseitern, die damit beginnt, dass beide sich als Hirsche im Traum begegnen, handelt der Film. Ein wesentlicher Teil seiner Geschichte spielt im Schlachthof, denn beide Protagonisten arbeiten dort. „Ich könnte den Film dreimal gucken“, sagt Lütz, „ich fand ihn sofort toll.“ Der Kollege nicht. Sein Favorit: „Schloss aus Glas“, eine Literaturverfilmung aus den USA. Letztlich nahm das Odeon beide ins Programm. Im September war „Körper und Seele“-Regisseurin Ildikó Enyedi im Filmkunsttheater ODEON zu Gast.
Zurzeit läuft „Die Spur“, der 2017 bei der Berlinale einen Silbernen Bären gewann und im Kinderprogramm steht „Die Häschenschule“ an, wobei die Verfilmung mit dem „Erziehungsbuch“ von 1924 glücklicherweise nicht mehr viel zu tun hat. Für die Kinogänger in der Südstadt sind Auszeichnungen nicht notwendigerweise ein Magnet, erklärt Lütz. Ausnahmen gibt es natürlich auch: Nach Preisen in Cannes und Hollywood bescherte Fatih Akins NSU-Drama „Aus dem Nichts“ den Kinos ausverkaufte Säle – auch etliche Wochen, nachdem der Film angelaufen war. Für Kinobetreiber also insgesamt schwierig zu kalkulieren.
Die Südstädter sind ein besonderes Publikum
Überhaupt: Das Publikum. Mindestens ein Viertel der Südstadt-Kinogänger sei ein besonderer Schlag, meint Lütz. Von Fans will er nicht sprechen, aber „sie wollen eben nicht nur Unterhaltungsfilme schauen, sondern sie lassen sich auch auf Angebote ein, die wir ihnen machen und vertrauen uns. Schließlich haben wir jeden Film, den wir zeigen, selbst gesehen.“ Spürbar wird das im Programm etwa bei Dokumentationen oder Spielfilmen, die ein sperriges Thema behandeln. Das Drama „Freiheit“, das am 8. Februar anläuft, könnte so ein Fall sein. Es geht um eine Frau, die plötzlich ihre Familie verlässt und weder Mann noch Kindern ihre Entscheidung erklärt.
Erstmal aber kommt Berlin. Beim diesjährigen Festival entscheidet sich vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst. Denn wie jedes Jahr stehen im Odeon im Frühsommer die französischen Filmtage an – anders als in anderen Jahren hinkt die Auswahl aber noch hinterher. Die Filmtage der Unifrance – die Organisation kümmert sich um den Export französischer Filme – haben nicht viel gebracht. Von 14 Filmen, die er für die Filmtage braucht, hat Lütz knapp ein Viertel, und kurz nach der Berlinale muss geplant werden. Der Anspruch bleibt derselbe: „Kino bedeutet nicht nur einen netten Abend, sondern ist eher vergleichbar mit einem guten Buch, das einen noch wochenlang begleitet“, sagt Lütz. „Es handelt sich um eine Kunstform.“
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