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Gesellschaft

„Wir sind nie mehr richtig angekommen“

Mittwoch, 27. Februar 2019 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Oliver Köhler/Stefan Rahmann

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Eigentlich weiß jeder, der in der Südstadt wohnt, wo er am 3. März 2009 um 13.58 Uhr war, als das Stadtarchiv einstürtze. Zwei Frauen haben es uns erzählt.

Archiveinsturz

Claudia Tiggemann-Klein arbeitete im Archiv und kam gerade noch so mit heiler Haut davon.

Ich war an dem Tag gerade aus der Mittagspause gekommen und zurück an meinem Schreibtisch im Büro, das in einem Flachbau hinter dem eigentlichen Archiv untergebracht war. Ich wollte mich gerade an eine unliebsame Arbeit, die Abfassung eines Protokolls einer Besprechung, machen, als ich eilige Schritte auf dem Flur wahrnahm und unseren Haustechniker rufen hörte: „Die Frau Tiggemann nehmen wir auch noch mit.“ Ich dachte, das wird vermutlich mal wieder eine Evakuierung wegen unserer betagten Löschanlage im Archiv sein, die immer wieder mal Probleme gemacht hatte.

Unklar, was überhaupt los ist

Also habe ich in aller Ruhe noch meine Jacke und Tasche genommen, bin dann raus auf den Flur und wollte das Gebäude durch den Haupteingang auf der Severinstraße verlassen. Da brüllte unser Techniker, wir sollten den hinteren Notausgang benutzen, der auf den Schulhof der Kaiserin-Augusta-Schule (KAS) ging. Was ich mir eigentlich hatte ersparen wollen, weil man dafür immer eine kurze Notleiter hochklettern musste. Zu dem Zeitpunkt war mir noch immer nicht klar,was eigentlich los war. Als er mir dann auftrug, die Feuerwehr anzurufen, habe ich gefragt, was ich denn sagen sollte. Probleme mit der Löschanlage? „Nein“, kam da zurück, „sag´ ihnen, das Archiv stürzt ein!“ Just in dem Moment, als ich die Feuerwehr in der Leitung hatte, rauschte das Gebäude vor meinen Augen in die Tiefe.

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Wäre ich zum Vordereingang gegangen, wäre ich vermutlich nicht mehr heil rausgekommen, denn zwischen der Warnung des Haustechnikers und dem Einsturz lagen nicht mehr als ein, zwei Minuten. Später hat er mir erklärt, dass er ein paar Wochen zuvor eine Dokumentation gesehen hatte, in der es um einstürzende Gebäude und Warnzeichen wie Vibrationen, Risse und rieselnden Sand ging. Genau diese Symptome hatte er an diesem Tag am Archiv wahrgenommen und deshalb intuitiv Alarm geschlagen. Nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte, bin ich dann über die Löwengasse zur Severinstraße gegangen, wo sich mehrere Kollegen am Hotel Mercure versammelt hatten. Dort haben wir dann mal durchgezählt und festgestellt, dass von den gut 20 Mitarbeitern, die unserer Meinung nach zum Zeitpunkt des Einsturzes im Haus gewesen waren, keiner fehlte.

Seltsamer Aktionismus

 Ich habe dann aber sicherheitshalber eine Namensliste erstellt und sie dem Einsatzleiter der Feuerwehr übergeben. Irgendwann habe ich dann auch mal daran gedacht, meinen Mann anzurufen, um ihm mitzuteilen, dass mir nichts passiert war, ich aber wohl abends etwas später heimkommen würde. Er hatte zu dem Zeitpunkt von der Katastrophe noch gar nichts mitbekommen und hat entsprechend verdattert reagiert. Ich selbst habe für den Rest des Tages einfach funktioniert und eigentlich erst daheim realisiert, welcher Katastrophe ich da mit viel Glück entgangen war. Die folgenden Tage und Wochen habe ich mich in einen seltsamen Aktionismus gestürzt, nachdem ich im Kulturdezernat ein provisorisches Büro bezogen hatte. Nach einem weiteren Umzug ins Stadthaus, sind wir nun in einem Gebäude am Heumarkt untergekommen, das wir aber zum Jahresende auch wieder räumen müssen. Zehn Jahre nach dem Einsturz kann ich sagen, dass ich mit seinen Spätfolgen nicht mehr zu kämpfen habe. Was auch damit zu tun haben kann, dass wir Mitarbeiter des Historischen Archivs von Psychologen der Feuerwehr sehr gut betreut wurden. Einige meiner Kollegen standen damals weit stärker unter Schock und leiden zum Teil auch heute noch unter Spätfolgen.

Einsturz Stadtarchiv

Daniela Oestermann leidet noch heute an den Folgen des Einsturzes.

Am 3. März 2009, es ist ein Dienstag, sitzt Daniela Oestermann um kurz vor zwei in ihrer Wohnung am Georgsplatz mit ihrer Familie beim Mittagstisch und feiert ihren 40. Geburtstag. Die beiden Söhne, 8 und 10 Jahre alt, sind schon aus der Schule zurück, ihr Mann hat sich frei genommen und auch ihre Eltern sind gekommen. Es soll ein ganz entspannter Tag werden und am folgenden Freitag will sie den runden Geburtstag noch mit einer großen Party feiern.

Die Wände wackelten, der Strom fiel aus

Die Party hat nie stattgefunden. „Wir saßen am Tisch“ erinnert sich Daniela,“ als es plötzlich rumste, die Wände wackelten und der Strom ausfiel. Wir alle dachten spontan an ein Erdbeben, bis meine Kinder, die in einem Zimmer mit Blick Richtung Severinstraße aus dem Fenster geschaut hatten, riefen, da seien mehrere Gebäude eingestürzt. Ich erinnere mich vor allem an die gespenstische Stille unmittelbar nach dem Einsturz. Wie bei Schneefall verschluckte die gigantische Staubwolke sämtliche Geräusche.

Im Schock in St. Maria in Lyskirchen Kerzen angezündet

Mein Mann rief dann irgendwann „Raus hier!“ und so sind wir dann alle auf die Straße gelaufen, die bereits unter Wasser stand, weil die dicken, blauen Rohre, mit denen die Baustelle entwässert wurde, gebrochen waren. Ich bin dann als Christin in meinem Schock mit meiner Mutter und den Jungs erstmal um die Ecken nach St. Maria in Lyskirchen gegangen und habe Kerzen angezündet. Als wir zurückkamen, durften wir unsere Wohnung wegen Einsturzgefahr nicht mehr betreten. Wir haben dann unsere Telefonnummer bei der Einsatzleitung hinterlassen und sind dann erstmal bei Freunden unterkommen. Abends durften wir dann in Begleitung eines Feuerwehrmannes nochmal kurz in die Wohnung, um ein paar wichtige Sachen rauszuholen. Ich war so durcheinander, dass ich mir nur die Schulranzen der Kinder und so was Idiotisches wie vier Tüten Milch gegriffen habe, während mein Mann immerhin noch an ein paar wirklich wichtige Dinge gedacht hat.“

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Danach zogen die Oestermanns zu Danielas Eltern und mussten erstmal in großem Stil Einkäufe tätigen, da sie an Textilien nur das dabei hatten, was sie am Tag des Einsturzes am Leib getragen hatten. Da sie privat untergekommen waren und sich nicht als Bedürftige hatten registrieren lassen, fielen sie durch das Versorgungsraster, während andere Betroffene, die in Hotels untergebracht worden waren, mit Gutscheinen für nötige Einkäufe bedacht wurden. Nach zwei Wochen dann die Nachricht, dass ihr Haus nicht einsturzgefährdet war und sie zurück in ihre Wohnung konnten. Eigentlich eine gute Nachricht. „Im Prinzip schon“, sagt Daniela, „aber wir sind da nie mehr wirklich angekommen. Die Kinder wollten anfangs nicht in ihren Zimmern schlafen, wir haben keine Türen mehr abgeschlossen, um jederzeit raus zu können und ich hatte immer ein Glas Wasser auf dem Tisch stehen, das mir jede Erschütterung anzeigte. Und Erschütterungen gab es im Zuge der Aufräumarbeiten ständig. Und spätestens als am 6. Dezember 2009, Nikolaustag, morgens sämtliche Sirenen um die Baugrube losheulten und wir in Panik gerieten, war klar, dass wir dort nicht mehr wohnen konnten.“

Die Oestermanns sind weggezogen

Die Sirenen entpuppten sich zwar als Fehlalarm, aber der Entschluss stand fest. Seit Mai 2010 wohnen die Oestermanns jetzt in der Vondelstraße, sind aber bis heute die Erlebnisse vom 3. März 2009 nicht losgeworden. Der jüngere Sohn konnte nicht auswärts schlafen, weil er immer Angst hatte, nicht in die eigene Wohnung zurück zu können. Weshalb er an keiner einzigen Klassenfahrt teilnehmen konnte. Auch für Daniela Oestermann sind die Ereignisse von damals noch immer präsent: „Wenn ich heute in der Vondelstraße irgendein Brummen oder Ähnliches höre, bin ich sofort in Halb-Acht-Stellung, bis ich die Ursache des Geräusches identifiziert habe.“

Text: Reinhard Lüke

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