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Lükes Liebes Leben

Kurt Cobain im Pflegedienst

Montag, 25. März 2019 | Text: Reinhard Lüke

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Stehe ich letztens an der Bushaltestelle in der Annostraße, guckt mich von einem Plakat irgend so ein Bello böse an. Da ich allenfalls Schäferhunde, Lassie und Dackel unterscheiden kann, weiß ich über die Rasse nichts zu sagen, aber das Tier sah äußerst übellaunig aus. Dazu stand da ein Text: „Manchmal bissig. Jörg Thadeusz auch“ Darunter: „Unsere WDR 2-Moderatoren.Tierisch gut.“ Später hab´ ich dann noch ein Plakat für Steffi Neu entdeckt. Mit einer Raubkatze drauf. Das Frau und Tier zugedachte Attribut hieß diesmal „abenteuerlustig“. Ist das nicht endlich einmal eine originelle Werbekampagne für unsere Gebühren? Nö. Demnächst startet im WDR Fernsehen eine neue Show mit dem Titel „Das Tier in dir“. Wird ähnlich lustig ausfallen.

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Tierische Kollegen

Aber es geht noch dämlicher. Viel dämlicher. Gegenüber meiner neuen Lieblingsitzbank auf der Severinstraße, direkt am Gemäuer der ehemaligen Klosterkapelle, prangt seit geraumer Zeit ein riesiges Plakat, auf dem zu sehen ist, wie sich ein paar Ameisen über einen Himbeerstrauch hermachen. Dazu in großen Lettern. “smells like team spirit“. Muss ich die versuchte Witzigkeit für Spätgeborene jetzt erläutern? Nirvana, teen spirit. Dass muss reichen. Mit dem Plakat sollen Pflegekräfte motiviert werden, bei den Augustinerinnen in Dienst zu treten. Wenn ich mal davon ausgehe, dass sich die Nonnen diese Plakataktion nicht selbst ausgedacht haben, frage ich mich, was die kreativen Werbefuzzis hier umgetrieben hat. Die Grunge-Hymne aus dem Jahre 1991 beginnt schließlich mit der friedlichen Zeile „Load up on guns, bring your friends“. Hat von den Werbeleuten wahrscheinlich keiner so genau hingehört. Man fand das mit dem „team spirit“ einfach irgendwie originell. Und den Augustinerinnen wird der Text kaum geläufig gewesen sein. Somit soll also Kurt Cobain für den Pflegedienst im Klösterchen aktiviert werden. Schön, dass der traurige, zornige Mann aus Seattle das nicht mehr erleben muss.

Kurz die Welt betten

Aber das Plakat mit den Ameisen im Himbeerbusch ist keineswegs ein Einzelstück, sondern Teil einer Kampagne, die noch andere, total witzige Wortspiele mit Songtiteln umfasst. Zu einer drolligen Eule heißt es „wing of change“ und auf dem Bild eines Chamäleons steht „gutes karma chamäleon“. Zu einem Satz Erdmännchen fand man den Originaltitel offenbar genial genug: „we are the champions“. Whow! In Anbetracht der Tatsache, dass all diese Hits bereits ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, werden im Klösterchen offenbar keine Berufseinsteiger gesucht. Sonst hätte man doch auch an etwas aktuelleren Songs herumdoktern können. Etwa „nur noch kurz die Welt betten“ oder so. Und Tim Bendzko hat sogar mal ein paar Semester Theologie studiert. Der hätte doch besser zu den Nonnen gepasst als dieser gottlose Kurt Cobain. Sei´s drum. Unter jedem dieser existierenden Plakate steht jedenfalls noch: „400 Kollegen. Tierisch gut. Im Herzen Kölns.“ Moment mal. Das mit „tierisch gut“ hatten wir doch schon. Sollten da womöglich die Augustinerinnen derselben Agentur aufgesessen sein wie der WDR? Und die hat den schlichten Spruch gleich doppelt verkauft? Oder liegt „tierisch gut“ auch jenseits der Metzgereifachgeschäfte zur Zeit einfach total im Trend?

Vater traut sich was

So langsam haben auch alle Schön-Weter-Pedaleure wieder ihre Drahtesel aus dem Keller geholt und radeln wieder zu Arbeit statt ÖPNV oder Auto zu nutzen. Jedenfalls hat sich die Zweiraddichte bei meinen morgendlichen Spaziergängen im Rheinauhafen in der letzten Woche deutlich erhöht. Was das ungestörte Flanieren etwas weniger ersprießlich macht,aber der Umwelt wegen natürlich unbedingt zu begrüßen ist. Darunter ist auch ein Vollbartträger mittleren Alters, der mir immer schon von weitem auffällt, weil ihm ein schlichtes Fahrrad offenbar zu öde ist. Drum fährt er Liegerad und neuerdings auch Roller. Keine Vespa, sondern einen Tretroller für Erwachsene, womit er nun nicht sonderlich schnell unterwegs ist. Und eigentlich ist so ein Roller, wenn man das Kindergartenalter mal hinter sich gelassen hat, ja auch ein eben so albernes wie ineffektives Fortbewegungsmittel. Von der einseitigen Abnutzung des Schuhwerks gar nicht zu reden. Aber egal.

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Neuerdings ist mein Rollerfahrer jedenfalls mit einer Helmkamera unterwegs. Nun muss ich bei diesen Dingern unwillkürlich an den Irren von Christchurch denken, aber mein Mann ist definitiv unbewaffnet und sieht auch ansonsten eher friedlich aus. Und ich glaube auch nicht, dass er seine Rollerfahrten live bei youtube hochlädt. Aber warum in aller Welt filmt er seinen Weg zur Arbeit? Um Beweismaterial für einen etwaigen Unfall zu sichern? Oder setzt er sich jeden Abend hin und führt der Familie seinen irre spannenden Rollerfilm vor? „Guckt mal Kinder, da bin ich heute Morgen lang gefahren!“ „Echt, Vati, was du dich traust! Du bist der Größte!“ Oder wie stelle ich mir das vor? Aber ich verstehe ja schon die erwachsenen Zeitgenossen nicht, die jeden Morgen vom Rad steigen, einen gänzlich unspektakulären Sonnenaufgang über Porz fotografieren, um vermutlich all ihre Netz-Freunde an diesem Großereignis teilhaben zu lassen. Und die teilen, liken und kommentieren das dann. Das ist doch die Total-Infantilisierung des Daseins.

Text: Reinhard Lüke

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