„Sonst explodiert es hier“
Montag, 20. Mai 2019 | Text: Alida Pisu | Bild: Polina Kluss
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Den Finger am Puls der Zeit hat das `Svetlana Fourer Ensemble´ mit seinem Collage-artigen Stück „Deutschland Sandwich“, das im Freien Werkstatt Theater zu Gast ist. Das Stück seziert den Ist-Zustand der Gesellschaft stellt die Frage nach der Identität. Angesichts der bevorstehenden Europa-Wahl aktueller denn je. Ein Gespräch mit Regisseurin Svetlana Fourer.
Anzeige
Meine Südstadtpartner
Die Körpermanager® heißen Euch willkommenWie sind Sie auf die Verbindung von Deutschland und Sandwich gekommen? Beim Sandwich gibt es Brot und Belag. Wie sieht es bei Deutschland aus?
Svetlana Fourer: Wir haben Sandwich gesagt, weil es verschiedene Schichten gibt. Deutschland ist vielseitig, nicht homogen. Es gibt im Stück einen Satz: „Es ist so unübersichtlich geworden.“ Ich finde das köstlich, weil man will, dass es wieder so wird, wie es früher mal war. Sandwich ist ein Sinnbild für etwas, das zusammengelegt worden ist und eigentlich gut schmecken soll.
Aber es weckt ja anscheinend auch das Gefühl von Unübersichtlichkeit. Steckt dahinter Angst?
Ja, man ist da sehr vorsichtig und ängstlich geworden. Und das ist sehr schade. Denn man kann ja davon gewinnen, so viele verschiedene Menschen mit so vielen verschiedenen Hintergründen und Inputs, die auch andere Sichtweisen sind, im Land zu haben.
Wie ist das Stück entstanden?
Wir haben ursprünglich angefangen als Dokumentar-Theater. D. h., wir haben ganz viele Leute interviewt und Fragen gestellt wie: „Was ist für dich Deutschland? Fühlst du dich fremd? Als was siehst du dich in diesem Land?“ Es gab ganz viele tolle, verschiedene Antworten. Eine türkische Mitbürgerin sagte z. B.: „Warum muss ich mich ständig definieren? Warum soll ich mich immer entscheiden, ob ich Türkin, Kurdin, Kölnerin oder sonst was bin? Warum kann ich nicht das und das und das sein?“ Das sind alles Dinge, über die wir sprechen müssen und die wir unter die Leute bringen wollen. Diese Polarisierung, die plötzlich mit der AfD stattgefunden hat, die hat mich erschreckt, weil plötzlich Leute auch ganz starke Bilder, also Sprachbilder hervor geholt haben.
Zum Beispiel?
Eine Frau in der Bahn, ich habe gedacht, dass es ein Schauspiel ist. Sie hat so getan als wäre sie betrunken und hat gesagt, sie liebe Hitler und man möge ihr ins Gesicht spucken, wenn er ein schlechter Mann gewesen wäre. Ich habe gedacht: „Was ist das für ein Scheiß?“ und das war genau vor der Bundestagswahl 2017. Sobald wieder Angstbilder kommen wie: zu viele fremde Menschen, zu viele Andersdenkende, kommen die Leute sofort wieder zu alten Klischees. Und das möchte ich gerne aufbrechen. Deshalb: was ist Deutschland und wie soll es werden? Wir haben schon so viel gemacht: Integration, Multi-Kulti, Inklusion. Es muss festgeschrieben werden: alle, die hier sind, sind deutsch und kriegen ihren Pass und dann ist es das. Die dazu kommen oder hier geboren werden, da muss es eine Regelung geben, damit die Leute eine Identität haben, wie in Amerika. Das muss dringend geklärt werden, sonst explodiert es hier. Und davor haben alle Schiss.
Was haben Sie dann mit den Interview-Ergebnissen gemacht?
Wir haben versucht, Menschen, die verschiedene Communities darstellen, im Stück zu Wort kommen zu lassen und deren Geschichten zu erzählen. Manchmal sehr persönlich, manchmal eher allgemein. Auf der Bühne stehen drei Darstellerinnen, die ständig die Rolle wechseln. Das ist manchmal sehr skurril, manchmal: haha, alles wird gut. Man wird zum Nachdenken gebracht und zum Lachen.
Was erhoffen Sie sich als Wirkung?
Im besten Fall: dass viele Leute es sehen, um darüber sprechen zu können. Es liegt als Thema ja sowieso in der Luft, mich berührt es und es betrifft mich auch, weil meine Tochter mindestens drei verschiedene Kulturen in sich haben wird. Ihr Vater ist Italiener und Katholik, ich komme aus Russland und bin jüdisch. Wir erziehen sie liberal. Sie geht mit ihrem Papa in die katholische Kirche und mit mir in die Synagoge. Wir feiern auch alles. Weihnachten, Ostern und Pessach (ein jüdisches Fest, die Redaktion).
Anzeige
Meine Südstadtpartner
Stadtgeschichten Köln – Besondere StadtteilführungenUnd sie kann entscheiden…?
Es ist die Frage, ob man sich da entscheiden muss oder nicht einfach alles lebt. Warum soll man das entscheiden? Wer hat das gesagt? Wenn man beides leben kann, hat man so viel mehr gewonnen, weil man viele Menschen besser verstehen kann. Ihre Denkweisen, ihre Beweggründe und Sichten. Dass ist, was ich erhoffe: dass die Leute die Sichten der Anderen auch kennenlernen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die nächste Vorstellung von Deutschland Sandwich im Freien Werkstatt Theater am Zugweg 10: Mittwoch, 22.5. um 20h
Dir gefällt unsere Arbeit?
meinesuedstadt.de finanziert sich durch Partnerprofile und Werbung. Beide Einnahmequellen sind in den letzten Monaten stark zurückgegangen.
Solltest Du unsere unabhängige Berichterstattung schätzen, kannst Du uns mit einer kleinen Spende unterstützen.
Paypal - danke@meinesuedstadt.de
Artikel kommentieren