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Umwelt

„Schüttel mich, ach schüttel mich!“

Sonntag, 11. September 2011 | Text: Sonja Alexa Schmitz | Bild: Zentolos

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Wenn wir Obst essen, dann kommt es aus dem Supermarkt, oder wir haben es vom Markt. Der eine oder andere hat vielleicht einen Garten, in dem ein Obstbaum steht, oder Eltern und Grosseltern, die einem beim Besuch, ein paar Äpfel, Pflaumen, Himbeeren oder Nüsse aus dem eigenen Garten mitgeben. Und sonst? Was ist mit den Bäumen, an denen man beim Spazierengehen vorbei kommt? Sieht die überhaupt jemand? Mir fallen sie immer auf, und ich sehe sie als kostbare Schätze. So schlaraffenlandmäßig stehen sie da und bieten sich mir an. Ich denke an Frau Holle. Da bittet der Apfelbaum: „Ach schüttel mich, schüttel mich, meine Äpfel sind alle miteinander reif!“ Dem Aufruf folge ich gerne. Leider sind ja die unteren meistens schon abgeerntet. Manchmal aber auch nicht, und dann frage ich mich, warum eigentlich nicht?

 

Wie können Menschen daran vorbeigehen und nicht mal dran zupfen? So einen leckeren Apfel „to go“. Einfach so, ohne anstehen, ohne wiegen ohne bezahlen, und dazu noch das Gefühl von Ursprünglichkeit und Kinderglück. Gut, der leidende Apfelbaum bei Frau Holle war vermutlich herrenlos. Kein Bauer da, der ihn erleichterte.

 

 

Wem gehören all die Bäume? Gibt es Besitzer? Ich rede mich, wenn ich zu spontanem Pflücken komme, gerne damit raus, dass ich ja nur eben ein oder zwei Äpfel, Birnen, oder eine kleine handvoll Pflaumen, das, was ich halt gerade verzehren mag, mitnehme. Denn vermutlich ist es illegal, was ich da mache. Die meisten Bäume gehören jemandem, auch wenn sie nicht eingezäunt sind. Und auch wenn jeder, der vorbei kommt, „och, nur ein oder zwei Früchtchen“ mitnimmt, dann ist der Baum schnell leer gepflückt.

 

Aber es gibt Rettung im Obstbaumdschungel: die Internetseite www.mundraub.org. Hier erfährt man, wo man mit gutem Gewissen ernten darf. Kai Gildhorn aus Berlin hat diese Seite mit Gleichgesinnten aufgebaut. Die Idee dazu hatte seine Freundin, bei einer gemeinsamen Paddeltour durch Sachsen-Anhalt, wo sie an zig Obstbäumen vorbeiruderten, und dem Obst beim Verfallen zusehen mussten.

 

Auf der Internetseite sieht man eine virtuelle Karte, mit lauter Fähnchen, die einem signalisieren, welches Obst hier zu finden ist. „Frei verfügbares Obst und Gemüse“ wird es genannt. Man klickt auf die entsprechende Region und zoomt sich ran. Ich zoome auf die Südstadt, und hier sieht es nicht sehr fruchtbar aus. Lediglich ein Eintrag, auf dem steht: „Mirabelle in Köln. Mir ist beim Einkaufen ein Mirabellenbaum aufgefallen. Der steht an der Haltestelle Severinsstraße. Die Gasse hat keinen Namen. Ist neben der Brücke auf Seite Stadtarchiv. Der Baum steht am Wegesrand.“ Die Macher der Seite haben keine wirtschaftlichen Interessen. Nur das pure Interesse am logischen Handeln.

 

Warum Äpfel aus Neuseeland kaufen, wenn sie vor der eigenen Haustür vom Baum fallen?! Man kann hier also seinen Tipp für freies Obstpflücken abgeben. Man verrät sozusagen sein Geheimnis. Und das gefällt mir so gut. Fast noch mehr als die Initiative an sich, rührt mich, dass Menschen zu teilen bereit sind. Seien wir doch mal ehrlich, wenn ich irgendwo wild pflücke (zum Beispiel Brombeeren in Porz, in Rheinnähe, so jetzt habe ich mein Geheimnis auch verraten), dann gucken mich doch alle Vorbeigehenden böse an. Ich frage mich warum!? Vermutlich weil sie selber gerne die Schätze geerntet hätten. Ich versuche es also, und möchte den Menschen ihre geheimen Pflückstellen entlocken.

Stillleben mit Maus. Georg Flegel (1566–1638)

 

Die meisten, die ich frage, schauen mich erstmal groß an. „Obstbäume in der Südstadt? Nee, da kenne ich nichts.“ Aber der ein oder andere weiß dann doch, dass die Karl-Korn-Strasse voller Haselnussbäume ist, dass man im Volksgarten, im hinteren Teil, in der Nähe des Rosengartens einen Walnussbaum und unweit des Sees mehrere Esskastanien findet und auch am Parkplatz des Bürgerhaus Stollwerck Haselnüsse zu finden sind. Außerdem wird mir verraten, dass in der Alteburger Strasse, kurz vor dem Bahndamm, links rein, tolle Brombeeren wachsen, und ebenfalls in der Alteburger Strasse, auf Höhe des Kunstforums stehe ein Haselnussbaum zur Ernte bereit.

 

Eine Südstädterin weiß von Apfelbäumen auf der anderen Rheinseite, in der Nähe der Autobahnbrücke. Aber ob die jemand gehören?? Das müsste man erstmal rausfinden. Ansonsten gäbe es noch den „Finkens Garten“ in Rodenkirchen, wo man auf der Streuobstwiese, vor allem mit Kindern, eingeladen ist, die Obstbäume zu rütteln und zu schütteln.

 

Eine andere Frage, die mich beschäftig ist: Wissen die Menschen eigentlich noch, was essbar ist und was nicht? Und kann es sein, dass man an Obst an Bäumen, an Früchte von Sträuchern einfach nicht rangeht, weil man denkt, sie seien nicht essbar? Sind wir mittlerweile schon so weit, dass die Sachen erst dann essbar scheinen, wenn sie im Supermarkt oder auf dem Markt, sauber poliert, zum Kauf angeboten werden? Ich ertappe mich ja selbst dabei, lieber mal nicht zu pflücken. Und das immer bei diesen schönen, reich beschenkten Obstbäumen, die ich für Mirabellen halte. Ob sie es aber tatsächlich sind, dass weiß ich nicht. Und die Tatsache, dass die immer voller Früchte hängen, lässt mich denken, es geht kein anderer ran, dann will ich auch nicht. Dann sind die bestimmt giftig.

 

Ich hätte noch eine Frage: Weiß irgendjemand, wo man beim Bauern Obst pflücken kann? Da in unserer Region ja nicht so viel Obst und Gemüse frei verfügbar ist, würde mir, zu meinem persönlichen Glück, die Möglichkeit fehlen, am Baum Obst zu pflücken. Vor allem Kirschbäume fehlen mir zur Entfaltung meines Kinderglücks. Hat jemand einen Tipp?

 

Mirabellen Baum.

 

Und da fällt mir ein, unter wie vielen Bäumen verfaulen die Früchte, weil sie in Gärten stehen, wo sie niemand pflückt. Weil der Besitzer vielleicht zu alt zum Ernten ist oder kein Interesse daran hat. Sollte man nicht auch da etwas tun? Nicht nur die Bäume angeben, die frei in der Landschaft ihre Früchte anbieten, sondern auch eine Plattform schaffen, über die Menschen ihr vergammelndes Obst retten können, indem sie anderen das Ernten anbieten könnten. Zum Beispiel an Kirchen, die dann Menschen aus ärmeren Verhältnissen dort pflücken lassen könnten!? Oder als Aktion in Schulen und Kindergärten!?

 

Ich rufe also hiermit auf: Menschen aus der Südstadt! Wenn ihr einen Garten habt, in dem ihr Obstbäume habt, die keiner erntet, oder einen Nachbarn, wo ihr das beobachten könnte, dann teilt es uns mit. Wir machen was draus!

 

Und hier können Sie suchen und pflücken:

Mundraub im Internet: www.mundraub.org

Finkensgarten

Text: Sonja Alexa Schmitz

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