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Kultur

ROOM SERVICE XXII

Donnerstag, 1. Dezember 2022 | Text: Sarah Linßen | Bild: Heiko Specht

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ob im Restaurant, bei der beruflichen Orientierung oder auch einfach bei der Abendgestaltung: Mit dem Entscheiden tun sich Viele schwer. Doch woran liegt das?

Gregor Weber, Regisseur, Performer, Tänzer, Choreograph und Gründer von ROOM SERVICE – einer „Wunder-vollen“ Reise durch das Kunsthaus Rhenania weiß, warum: „Wenn man ‚ja‘ sagt, sagt man ‚nein‘“. Ein Dilemma also, wenn die vorhandenen Alternativen alle attraktiv und bereichernd für einen selbst sein könnten.

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Theater, Literatur, Tanz und andere Kunstformen beschäftigen sich gerne und oft mit Dilemmata, mit der Zerrissenheit, die so menschlich und somit für die meisten leicht nachzufühlen ist. Und auch Gregor Weber fasziniert sie. So sehr, dass er vor nun mehr als 18 Jahren beschloss, ein Stück über Entscheidungen zu konzipieren. Aber aus einem Stück über Entscheidungen wurde im Prozess dann jedoch eines mit Entscheidungen. Das Publikum sollte selbst durch eigene Entscheidungen Teil der Produktion werden.

Von der Annostraße ins Kunsthaus Rhenania

Die Suche nach einer geeigneten – vor allem aber speziellen Räumlichkeit, brachte Gregor Weber 2004 in die Südstadt. Genauer gesagt in das alte Umspannwerg der GWE in der Annostraße. Das Gebäude stand leer, die Miete für insgesamt sechs Stockwerke war erschwinglich und die verschiedenen Ebenen ließen erstmals die Idee aufkommen, auf jeder Etage eine Entscheidung zu platzieren: Zwei Vorstellungen in zwei verschiedenen Räumen; zwei unterschiedliche Vorführungsformen – aus unter Anderem Musik, Tanz, Schauspiel, Performancekunst oder auch Poetryslam – und nur wenige Sekunden Zeit zu entscheiden, welchen Raum man als Zuschauer*in wählt. Der Nervenkitzel, der dabei beim Publikum entsteht, ist ein wichtiger Teil des Konzepts. Das war die Geburtsstunde von ROOM SERVICE.

Jessica Sinapi & Kalli Zmugg bei dem Versuch, dem Apfel der Verführung zu widerstehen. (Bild: Heiko Specht)

Seit dem Verkauf des Umspannwerks im Jahr 2007 findet ROOM SERVICE im Kunsthaus Rhenania im Rheinauhafen statt. Auch hier werden an vier Tagen im Jahr sechs Ebenen in „8-Minuten-Häppchen“ bespielt.

„Du beginnst auf Ebene 3, Du auf der 1, für dich geht es auf der 6 los!“

Auch wenn der Name „ROOM SERVICE“ Gegenteiliges erwarten lässt, muss sich das Publikum selbst zur Vorführung bewegen. Doch wie kann das bei bis zu 110 Personen pro Durchlauf funktionieren?
Es braucht ein Begehungs-Konzept. Dieses wird mit der Eintrittskarte zu Beginn eines jeden „Laufs“ in Form von einem Laufplan ausgehändigt. Darauf steht, auf welcher Ebene man anfängt, und auf welche es von dort weitergeht… Diese Laufpläne werden nach dem Zufallsprinzip verteilt.

Die letzte Ebene ist für alle Besucher*innen das Erdgeschoss. Dort kommen sie das erste und einzige Mal alle zusammen, um gemeinsam eine Performance zu erleben. Ein Ritual, welches (neben dem Raum „Blind Date“) das einzige ist, dass sich jährlich wiederholt. Bei dem Schlussritual handelt es sich um eine Art Aufstellung, bei der die Besucher*innen miteinander „verknüpft“ werden, und somit ein einziger großer Gruppenkörper entsteht. Diese Erfahrung ist, gerade weil man den Großteil der Besuchszeit getrennt voneinander erlebt und somit ganz verschieden aufgeladen ist, wichtig.

Tipp-Austausch zwischen den Vorstellungen

Wer „ROOM SERVICE“ noch nicht kennt, wird sich jetzt fragen, warum man eine solche Veranstaltung mit Freund*innen und Familie besuchen sollte, wenn man letztendlich voneinander getrennt wird. Aber: Die Liebsten kann man trotzdem sehen und sich zwischen den 8-Minütern austauschen.

Das Treppenhaus ist der Dreh- und Angelpunkt, das Bindeglied zwischen allen Vorstellungen. Hier laufen alle Gruppen durch, anfangs meistens noch ganz ruhig, doch die Scheu fällt schnell ab. Da wird sich gegrüßt, Umarmt und Empfehlungen ausgesprochen: „Wo gehst du hin?“, „Schau auf der 3 unbedingt ‚Blind Date!‘“, „‚WG in der Krise‘ ist super – wähl das, wenn du reinkommst!“.

Gruppendynamik im Treppenhaus

Neben diesen kurzen Begegnungen gibt es im Treppenhaus auch Zwischentexte und Interaktionsmöglichkeiten von und mit dem sogenannten „Treppenhauspersonal“. Das sind die Momente, in denen die Gruppe sich besser kennenlernt, weil man beispielweise gefragt wird, wie die Gruppe heiße oder auf welcher Ebene man zuvor gewesen sei.

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Die Anonymisierung der Gruppe, so Gregor Weber, hilft allen Beteiligten: Dem Publikum, da es sich auf das Erlebte einlassen muss – ohne Ablenkungen und Einflüsse von ihren Bezugspersonen. Den Akteuren hingegen hilft auf eine Gruppe zu treffen, die nicht als geschlossene Front, sondern auf gewisse Art selbst vulnerabel ist. Alle werden so offener für Begegnung.

Hier also ein kurzer Aufruf an alle zukünftigen Besucher*innen: Bitte fangt nicht an, die Laufpläne zu tauschen damit ihr mit XY zusammen in eine Gruppe kommt!

Worum geht es bei den Kurzvorführungen?

Ob Klimakrise, Land- und Stadtleben, Gaskrise, Trash TV – von allem kann etwas dabei sein. Doch was auffällt: Oft behandeln die Räume Themen, die nah am aktuellen Gesellschaftsgeschehen sind.

„Cash for Trash“: Eine tänzerische Parodie aufs Trash TV von Anne Schierhold & Anna Rödiger. Bild: Heiko Specht)

„Manchmal gebe ich Themen vor, aber an sich entwickeln die Schauspieler selbst“, erzählt Gregor Weber in einem kurzen Gespräch. Klar ist: Jedes Jahr dürfen wir an intimen Geschichten und Momenten teilhaben, werden überrascht oder mit musikalischen Vorführungen verwöhnt- oder verstört.

Eigenständige Stück-Entwicklung der Schauspieler*innen

Tatsächlich entwickeln und proben alle Akteure selbstständig und sind nicht Regie gebunden. Kurz vor den Aufführungen nimmt Weber dann die Stücke ab. Nur selten würden dann noch Kleinigkeiten geändert. Da ROOM SERVICE einen relativ großen festen Kern an Spieler*innnen hat und viele auch ehemalige Absolvent*innen der Theaterakademie Köln und somit ehemalige Schüler*innen von ihm sind, wissen die meisten, worauf es ihm ankomme.

Sie haben das Publikum mit ihrem realitätsnahen Stück „WG in der Krise“ zum Lachen gebracht: Alexandra Hespe & Isabella Kolb. (Bild: Heiko Specht)

Zusätzlich zu den festen Spieler*innen werden auch jährlich wechselnde Spieler*innen, Musiker*innen und Tänzer*innen eingeladen. Das passiere meist zufällig, wie im Falle des Poetry Slammers und Singer-Songwriters Paul Bank. Den Habe Weber unabhängig von ROOM SERVICE kennengelernt und „einfach mal gefragt“ ob er Interesse hätte ein Teil von ROOM SERVICE zu sein. Hatte er – zum Glück für uns Zuschauende!

Eine kleine Rechnung

Insgesamt gibt es pro Jahr vier Tage mit je 2 Durchläufen. Pro Durchlauf performen die Akteure sechs Mal; das bedeutet pro Tag also 12 Mal… Rechnet man das mal die 4 Tage, führen die Performer*innen ihre Stücke in einer Spielzeit 48 (!) Mal auf. Neben dem Fakt, dass dies natürlich anstrengend ist, müssen alle Beteiligten auch strikt auf die Zeit achten. Es ist jedes Jahr wieder erstaunlich, wie es alle Akteure – egal ob in den Räumen oder im Treppenhaus – schaffen, on Point ihre Texte und Darstellungen zum Besten zu geben und mit der Klingel fertig zu werden.

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Es handelt sich bei ROOM SERVICE insgesamt um eine beeindruckende, Wunder-volle Reise, die Eindruck hinterlässt. Innerhalb von ca. 75 Minuten werden alle Sinne beansprucht, die Gedanken angeregt und neue Begegnungen geschaffen. Deshalb soll das hier eine große Empfehlung sein: Besucht nächstes Jahr ROOM SERVICE XXII – es lohnt sich!

 

Infos zu den Veranstaltungsdaten im kommenden Jahr werdet Ihr hier im Terminkalender oder unter der Kategorie „Aufgeschnappt“ finden sowie auf der Homepage von ROOM SERVICE.

Text: Sarah Linßen

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