Musikalische Hommage an Afghanistan
Montag, 20. November 2023 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Reinhard Lüke
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
In meinen jungen Jahren gab es das noch. Wenn sich einer aus der WG eine neue Platte gekauft hatte, fragte er bei seinen Mitbewohnern nach, ob irgendwer Lust hätte, die Scheibe mitzuhören.
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in.form – Köln SüdstadtUnd so traf man sich in einem Zimmer, je nach Uhrzeit mit einer Kanne Tee oder einem Sixpack, dann wurde das Vinyl feierlich auf den Plattenteller gelegt und man lauschte den neuen Klängen. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt mit anderen gemeinsam Musik von einem Tonträger gehört habe.
Menschensinfonieorchester
Schon von daher war ich neugierig, als mir unlängst die Einladung zum gemeinsamen Hören einer Schallplatte ins Haus flatterte. Geschickt hatte sie der Jazz-Musiker Alessandro Palmitessa, der in der Südstadt regelmäßig mit dem von ihm vor mehr als 20 Jahren gegründeten und geleiteten Menschensinfonieorchester auftritt.
Frieden auf Super 8
Im „Plattenladen“ in der Siegfriedstraße, einem Kleinod für Vinyl-Fans, stellte er sein neues Projekt „I don’t want your war. Afghanistan 1969“ vor, das von dem italienschen Dokumentarfilmer und Regisseur Geremia Carrara initiiert wurde. Das umfasst nicht nur die Schallplatte, sondern auch einen 45minütigen Stummfilm, der eigentlich der Anlass für die Musik war. 1969 reiste die Italienerin Anna Bavicchi mit ein paar Freunden durch Afghanistan und hatte eine Super-8-Kamera dabei, mit der sie alles Erdenkliche filmte, was ihr vors Objektiv kam. Imposante Landschaften, Hirten auf den Feldern, aber auch Männer, Frauen und Kinder in Kabul. Der Film ist keine Reportage, sondern eine Art privates Urlaubstagebuch, das Alltagszenen in (oft) wackligen Bildern festhält. Doch es geht hier auch nicht um Filmkunst, entscheidend ist viel mehr, dass hier ein friedliches Land zu sehen ist, das spätestens seit dem Einmarsch der Sowjets 1979 nicht mehr zur Ruhe gekommen ist und aktuell mal wieder von den Taliban beherrscht wird. Unter dem rigiden Regime haben neben Kunst und Kultur vor allem die Frauen zu leiden, denen so ziemlich jede öffentliche Betätigung untersagt ist.
Nicht die bekannten Kriegsbilder
Er habe mit dem Projekt eine Hommage an ein wunderbares Land und seine Menschen schaffen wollen, erklärt Alessandro Palmitessa. Für die von ihm zum Film komponierte Musik hat er eine Reihe von renommierten Mitstreitern gewonnen. So etwa Cosimo Erario an der Gitarre, Hawar Djoze, WDR Jazz-Peisträger, spielt die irakische Knie- oder Spießgeige und Daud Khan Sadozai das traditionelle afghanische Zupfinstrument Rubab. Dazu ist noch Almut Kühne als Vokalistin mit von der Partie. Der in Kabul geborene Daud Khan Sadozai, so erzählt Palmitessa, habe bei dem Projekt nur mitwirken wollen, wenn es nicht wieder um die bekannten Kriegsbilder aus seinem Heimatland gehe.
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Und der Krieg scheint in dem Film gänzlich fern. Die erste Hälfte ist vornehmlich dem Landleben gewidmet, wozu eine unbeschwerte, bisweilen gar fröhliche Musik erklingt. Im zweiten Teil sind in erster Linie Sequenzen aus Kabul zu sehen und der Sound auf der B-Seite der Platte wird entsprechend urbaner und das Ganze bekommt mehr Groove. Es ist eine Musik, die westlichen Jazz mit traditionellen Klängen und Instrumenten des Orients verbindet und erfreulicherweise so gar nichts von dem hat, das unter dem Etikett Weltmusik oft nur als Ethno-Kitsch daherkommt.
Exklusiv auf Vinyl
Dass die Platte eine Live-Einspielung ist, mitgeschnitten 2022 beim Jazzfestival in Moers, hört man erst am Schlussapplaus. Ansonsten ist die Aufnahme in ihrer Dichte exzellent abgemischt. Dazu dürfte die Scheibe zu einem echten Sammlerstück werden. Weil so eine Pressung nicht eben preiswert ist, hat man zunächst nur 200 Exemplare anfertigen lassen, die exklusiv im „Plattenladen“ verkauft werden. Auf CD oder gar bei irgendwelchen Streamingdiensten ist die Musik nicht verfügbar. Dass der Film, dessen Rechte bei einem Archiv in Bologna liegen, nicht bei Youtube oder sonstwo zu sehen gibt, mag man bedauern, doch die faszinierende Musik funktioniert auch ohne ihn. Beides zusammmen soll jedoch auch künftig zu hören bzw. sehen sein. Zumindest planen Alessandro Palmitessa und seine Mitstreiter, das Werk immer wieder mal live auf die Bühne zu bringen.
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