Jörg Gläscher: „Der Tod kommt später, vielleicht“
Mittwoch, 12. September 2012 | Text: Dirk Gebhardt | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Ein Truppenübungsplatz mit Häuserkampfanlage in der deutschen Provinz, auf dem Boden ein menschlicher Körper in Uniform, alle Viere von sich gestreckt. Ein Soldat spielt auf Kommando Tod! Oder: Guttenbergs Antrittsbesuch bei der Luftwaffe. Drei Männer von hinten fotografiert stehen auf einem verschneiten Flugfeld, im Hintergrund ein Jagdflugzeug. Es sind keine spektakulären Szenen, die der Fotograf Jörg Gläscher festgehalten hat. Doch sie beschreiben einen Alltag, der den meisten Menschen absolut verborgen bleibt. Nämlich den von 220 Tausend Soldaten der deutschen Streitkräfte, stationiert zwischen den Bergen im Norden Afghanistans und den flachen Landschaften der Lüneburger Heide.
Häuserkampfanlage „Bonnland“ auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg, Jörg Gläscher/laif
Wie stellt sich diese Armee aus Bundesbürgern im Jahr 2012 dar? Zwei Jahre nach der durch von Guttenberg begonnen Reform und nach mehr als zehn Jahren Kriegseinsatz in Afghanistan hat sich nicht nur die Bundeswehr als „Unternehmen“ verändert. Auch das Selbstverständnis der Soldaten hat sich gewandelt. Das Buch beschreibt diesen Prozess und seine Auswirkungen auf subtile Weise. Nicht die große Geste steht im Vordergrund, sondern der langsame Wandel und die mit ihm einhergehenden emotionalen Verwerfungen. Meine Südstadt hat den Fotografen zu seinen Erfahrungen und Eindrücken befragt.
„Der Tod kommt später, vielleicht“ ist ein lakonischer Titel für ein Buch, das sich mit der Bundeswehr und ihren Aufgaben in der Zukunft auseinander setzt. Gehen die Soldaten so selbstverständlich mit dem Tod um, oder verdrängt die Truppe in der Ausbildung und im Einsatz diese Möglichkeit des Soldatenlebens?
Der Titel „Der Tod kommt später, vielleicht “ stammt aus einer Ideenskizze, die ich während des Entstehungsprozesses des Buches aufgeschrieben habe. Sie soll die Möglichkeit des Sterbens der Soldaten beschreiben. Der Umgang mit der Möglichkeit wird geübt, sowohl beim einzelnen Soldaten, beim Sanitäter und auf der Führungsebene. Der Tod wird nicht verdrängt, die Soldaten sind zum großen Teil viel ernster bei der Sache als ich das zu meiner Zeit erlebt habe. Wer sich zum Auslandseinsatz meldet, muss sich mit dem Gedanken beschäftigen, dass um ihn herum gestorben wird, der so genannte Feind, der Kamerad, man selbst. Durch das Einsatzspektrum und die Aufgaben der Bundeswehr, passiert das zum Glück relativ selten, aber es passiert und es wird wieder passieren.
Deutsche Bundeswehr, beim Antrittsbesuch des Bundesverteidigungsministers zu Guttenberg bei der Luftwaffe in Neuburg, Jörg Gläscher/laif
Wie sind sie bei ihren Afghanistanreisen mit der Möglichkeit umgegangen, dass auch sie bei einem Einsatz der Bundeswehr einem Anschlag zum Opfer fallen können?
Mir war sehr deutlich bewußt, wo ich mich hinbegebe, und wie es dort aussieht, aber auch mit wem ich dahin gehe. Ich würde keine übergroßen Risiken für ein Foto eingehen. Eine Reise habe ich auf Wunsch meiner Familie abgesagt.
Ihr Buch das dieses Jahr im Kehrer Verlag erschienen ist, zeigt keine der gewohnten Bilder von Truppeneinsätzen und Übungen. Welches Grundidee liegt ihrer sehr zurückhaltenden, dokumentarischen Fotografie zu Grunde?
Seitdem man mit Film Bilder festhalten kann, gibt es Bilder vom Krieg. Sie wurden zu Ikonen der Fotogeschichte, mit dem Leid das sie abbildeten und mit dem Leid der Fotografen, die den Reiz, den Trieb, die Sucht nach diesen Bildern und Momenten in nicht seltenen Fällen erlegen sind. Sei es an der Front oder nach jahrelangem Einsatz auch in der Psyche. Die Bilder haben ihren Wert und ihre Aufgabe, wiederholen sich aber in ihrer Emotion, Bildsprache und Aussage in jedem Krieg, mit nur sehr wenigen Ausnahmen. Ich finde meine Herangehensweise passend für eine aktuelle Arbeit über deutsche Soldaten. Es werden keine Großen Schlachten ausgefochten, viele Soldaten verlassen in Afghanistan nicht einmal das Camp, noch weniger schießen überhaupt. Es gibt sehr wenige journalistischen Film und Fotosequenzen, die Kampfhandlungen der Bundeswehr zeigen, aus den letzten 10 Jahren. Die Bundeswehr kann das auch, keine Frage, aber sie hat ein anderes Mandat. So wollte ich nicht mit den üblichen Bildern einfach die Arbeit beschreiben, sondern anhand meiner Bilder, andere Bilder zitieren, vorhandene Kriegsbilder in den Köpfen der Betrachter ergänzen, und zum Weiterdenken anregen. Dem folgt auch das Textkonzept in meinem Buch, in dem ich sechs Autoren bat, sich ein Bild auszusuchen und darüber zu schreiben. Es kamen sechs wunderbar verschiedene persönliche Texte dabei heraus, die über das jeweilige Bild hinaus gehen.
ISAF Einsatz, Panzerpionierbataillon 701 der Bundeswehr aus Gera, Sachsen, bei einem Aufbauprojekt einer Afghanischen Polizeistation ANP, Jörg Gläscher/laif
Seit 2001 ist der Krieg in Afghanistan omnipräsent in den Medien, damit auch die Arbeit der Bundeswehr. Sie sind auch mit der Bundeswehr nach Afghanistan gefahren. Die Bundeswehr hat von Anfang an versucht die Journalisten positiv in der Berichterstattung zu beeinflussen. Haben Sie wie die meisten Journalisten „eingebettet“ gearbeitet und wie haben sie es vermieden Propaganda zu machen?
Nirgends auf der Welt kann sich ein Fotograf ohne Begleitung in einer Kaserne bewegen, das liegt an der Natur der Sache. Aber ich konnte mich relativ frei auf U-Booten, Fregatten und auf Truppenübungsplätzen bewegen. In Afghanistan ist das etwas anderes, man bekommt einen Presseoffizier an die Seite, der je nach Person ein Berater oder ein Bewacher ist, beides hatte ich. Aber durch verschiedene Reisen muss ich sagen, dass man bei vernünftigem Konzept mit der und über die Bundeswehr viel machen kann. Wenn man investigative Projekte hat, muss man sich halt mit anderen Quellen abgleichen. Aber zur Propaganda wird keiner gezwungen. Und man muss kein einziges Bild vorzeigen. (nächstes Bild: Scharfschuetze der Fallschirmjaeger aus Saarlouis, Jörg Gläscher/laif)
Welches Fazit ziehen sie für die Bundeswehr und für die Deutschen aus ihrer langen Beobachtung der Bundeswehr?
Ist die Armee wie Thomas de Maizière behauptet bereit die Aufgaben einer internationalen Einsatz- und Konfliktlösungsarmee zu übernehmen? Ja, ist sie, aber die bundesdeutsche Bevölkerung ist noch nicht so weit, sie das tun zu lassen. Oder zumindest glaubt das unsere Regierung.
Wir danken für das Gespräch.
Die Ausstellung „Der Tod kommt später, vielleicht“ wird in der laif-photogalerie vom 18.9.2012 bis zum 30.09.2012 zu sehen sein. Am 22. September findet die Midissage der Ausstellung statt! Jörg Gläscher wird anwesend sein.
„Der Tod kommt später, vielleicht“
Kehrer Verlag Heidelberg
ISBN: 978-3-86828-266-5
Preis: 36,00 Euro
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