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Kultur Politik

„80 000 Arsch huh, 2,56 Mio Zäng ussenander“

Montag, 12. November 2012 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Wer zu spät kam, den bestrafte diesmal tatsächlich das Leben: Um kurz nach sieben ging nichts mehr an der Deutzer Werft. Aus Sicherheitsgründen schloss die Polizei die Zugänge zum Kundgebungsgelände, ließ niemanden mehr auf die große, von Absperrgittern unterteilte Fläche vor der großen Bühne. Selbst in den Straßenbahnen liefen Durchsagen, das Gelände sei abgesperrt. Wer sich in der Südstadt an den Rheinauhafen stellte, konnte bei günstigem Wind hören, was drüber auf der Schäl Sick gerade vor sich ging: Die größte Demonstration gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Sozialabbau und Ausgrenzung, die die Stadt seit vielen Jahren erlebt hatte. Und eine gigantische Geburtstagsfeier der beeindruckendsten Bürgerinitiative, die es in Köln je gab – und die ihren Anfang in der Südstadt nahm. Auf dem Chlodwigplatz fand vor 20 Jahren das erste Protestkonzert unter dem Motto „Arsch huh – Zäng ussenander“ statt. 1992 hatte die ausländerfeindliche Hetze in Deutschland einen furchtbaren Höhepunkt erreicht, hatten brutale Anschläge auf einzelne Menschen und auf Flüchtlingswohnheimen gezeigt, wozu Menschen auch Jahrzehnte nach dem Ende des Faschismus in Deutschland noch willens und fähig sind.

20 Jahre später sahen die Initiatoren von damals genug Grund für eine neue Veranstaltung. Diesmal allerdings, so die Ankündigung im Mai in der Severinstorburg („Meine Südstadt“ berichtete) sollte ein weiterer Aspekt hinzukommen: der Zusammenhang zwischen sozialer Ungerechtigkeit und Neonazismus. „Das wird kein Konzert, das wird eine große Kundgebung einer selbstbewussten Bürgergesellschaft, die sich vieles nicht mehr gefallen lässt“, hatte Organisator Karl Heinz Pütz angekündigt. Dafür allerdings war der Chlodwigplatz – 1992 Schauplatz der ersten Arsch huh-Veranstaltung – viel zu klein und nicht gut genug zu sichern. Schon damals war es eigentlich ein Wunder, dass bei rund 100.000 Zuschauern in der Südstadt nichts passierte: Man war allerdings, wie sich Wolfgang Niedecken erinnert, auch sehr überrascht, wie viele Menschen tatsächlich kamen.

 

Auch diesmal blieb der Platz nicht leer, geschätzte 80.000 Menschen kamen zur Deutzer Werft. Und auch diesmal überraschte die riesige Menge erneut Veranstalter und Polizei – die angrenzende Siegburger Straße wurde sicherheltshaber für den Autoverkehr gesperrt.

Was am Freitagabend unter sternenklarem Himmel an der Deutzer Werft stattfand, wurde weit mehr als ein sentimentales Revival mit Klassentreffencharakter. Hier versicherte sich ein beachtlicher Teil einer deutschen Großstadt ihrer Werte und gab ein Signal nach außen: Solidarität, Mitmenschlichkeit, das gewaltfreie Miteinander von Menschen verschiedenster Herkunft, Ideen, Ziele ist kein sentimentaler Multikulti-Idealismus, sondern kann und muss gelebte Wirklichkeit sein. Eine Alternative gibt es nicht – auch wenn der Kabarettist Jürgen Becker in einem offenen Brief die Heimatbesoffenheit und Folgenlosigkeit der „Arsch huh“-Initiative kritisierte. „Wir weisen auf ein Thema hin“, sagte Niedecken hinter der Bühne: „Für die Lösungen sind andere zuständig.“

 

Musik- und Textbeiträge wechselten einander ab. Dazwischen zeigten Filmeinspieler auf den Großleinwänden Statements zum Thema Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit von Jugendlichen aus verschiedenen Kölner Stadtteilen. „4 Reeves“ machten den Anfang – damals, vor 20 Jahren in der ersten Arsch huh-Auflage, eine der jüngsten Bands. Diesmal kam diese Rolle Gruppe Kasalla zu, die es erst seit einem Jahr gibt und die mit „Et jitt Kasalla“ im letzten Jahr ihr Debütalbum herausbrachten. Carolin Kebekus outete sich als gebürtige Bergisch-Gladbacherin („Aber ich war nur eine Stunde da!“) und nahm damit pointiert das kölsches Heimatgefühl auf die Schippe, das sie durchaus auch für sich beansprucht. Sie machte aber am Fall Kevin Pezzoni auch deutlich, wo für sie Schluss mit lustig ist und sie sich davon distanziert, was Menschen im Namen der Heimat zu tun bereit sind: „Da wurde mein Heimatgefühl ekelig“. Kabarettist Wilfried Schmickler knüpfte mit seinem Gedicht „Dat is doch normaal“ an „Des populistischen Asylpolitikers Rede“ an, die sein inzwischen verstorbener Kollege Heinrich Pachl damals hielt.

Die Wortbeiträge allerdings erreichten nicht alle jene selbstverständliche Eindringlichkeit wie vor zwanzig Jahren. So präsentierte Elke Heidenreich einen Willy-Millowitsch-Gedenk-Schal, den dieser bei seinem Auftritt 1992 trug, und las anschließend mit dessen Tochter Mariele Millowitsch im Wechsel einen Sketch von Karl Valentin und Liesl Karlstadt über das Fremdsein vor. Der Funke sprang aber dabei leider so recht nicht rüber.

Wer Sorge hatte, dass es musikalisch bei der kölschen Mundart blieb, der dürfte sich besonders über Beiträge wie den der türkischen Ska-Band Athena, aber auch HopStopBanda, die Folk-Mix mit Balkan-Grooves spielten, die latino-hispanische Formation Chupacabras und die Reaggae-Sounds von Bantu&Brother Keepers gefreut haben. Die kölschen Töne aber blieben schon das Leitthema des Abends: Tommy Engel, Zeltinger, Köster & Hocker, Nick Nikitakis, Anke Schweitzer und Rolf Lammers, L.S.E. zeigten Flagge. Und als um viertel nach acht die Live-Übertragung des WDR-Fernsehens begann, stürmten dann auch die Altvorderen der Kölsch-Rock-Szene die Bühne und spielten ihre Hits: BAP und Brings, die Höhner und die Bläck Föös. Natürlich wurde „Arsch huh, Zäng ussenander“ gesungen, natürlich die angeblich einigende Kraft „En unserm Veedel“ beschworen, natürlich an die „Kristallnaach“ erinnert. Und ganz zum Schluss standen dann sogar Tommy Engel und die Fööss wieder gemeinsam auf einer Bühne.  Gemeinsam für die gute Sache. Auch das ist Köln.

Text: Nora Koldehoff

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