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Kultur

Kino von der Festplatte

Montag, 14. Januar 2013 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Das Digitalzeitalter ist auch im Odeon angekommen.
Was läuft denn gerade im Odeon? Nix. Schon seit Dezember nicht mehr. Kann gar nicht sein? Letzte Woche dort doch einen Film gesehen?  Möglich. Ist aber trotzdem so. Denn in unserem Südstadt-Kino schnurren seit einem Monat keine belichteten Zelluloidstreifen mehr durch den Projektor.  Was da auf der Leinwand erscheint, steuert neuerdings Kollege Computer in Gestalt eines schmucklosen Servers. Die schwarze Kiste, die da im kleinen Vorführraum des Kinos steht, ist kein Gerät, das einem Cinéasten wie Jürgen Lutz, Geschäftsführer des Odeon, das große Leuchten in die Augen zaubert. Aber was soll er machen? Die Entwicklung war seit Jahrzehnten absehbar. Nachdem die Digitalisierung zunächst die Kameratechnik und vor allem die Postproduction revolutioniert hatte, war klar, dass irgendwann auch die Projektion in den Lichtspielhäusern an die Reihe kommen würde. Auch wenn die Umrüstung in Deutschland hinter dem Stand in den USA und Asien hinterherhinkt, sind auch hierzulande alle großen Kinopaläste längst digitalisiert. Schon wegen der neuen, bei vielen Blockbustern eingesetzten 3 D-Technologie.

Filmriss war gestern

Treibende Kraft hinter der Digitalisierung sind vor allem die Verleiher, die durch die neue Technik wesentlich kostengünstiger wirtschaften können. Für sie entfällt das teure Ziehen von Kopien, deren Lagerung und Instandhaltung, sowie der Hin und Rücktransport der Filmrollen zu den einzelnen Kinos. Die großen Blechdosen kamen bislang auch beim Odeon nicht mit der Post, sondern wurden von eigenen Filmspediteuren angeliefert und auch wieder abgeholt. Inzwischen ein aussterbender Berufsstand. Heute klingelt in der Severinstraße 81 nur noch ein `normaler´ Paketbote und liefert Festplatten mit den neuen Filmen ab. Denn wer dachte, da stände nun im Vorführraum womöglich nur noch ein handelsüblicher DVD-Player mit Beamer, liegt definitiv falsch. Schließlich soll ein Kinobesuch nach wie vor etwas anderes sein als der Filmabend auf dem heimischen Sofa. Weshalb die Datenmengen für die hochwertige Projektion auf keine Silberscheibe passen, sondern auf Festplatten angeliefert werden. Über satte sechs Terabyte Speicherkapazität verfügt die neue schwarze Kiste im Odeon. „Das reicht für rund zwanzig Filme“, erklärt Jürgen Lütz, und mehr haben wir ohnehin nie auf dem Spielplan.“ Überhaupt sieht er nicht nur Nachteile in der neuen Technik: „Die Untertitel sind durchweg gestochen scharf und Bildruckler gehören ebenso der Vergangenheit an wie Filmrisse, die allerdings ohnehin kaum mehr vorkamen. Zudem können wir jetzt die Trailer im Vorspann der Filme bei jeder Vorstellung individuell anpassen.“ Ansonsten werden die Zuschauer den Unterschied zu früher kaum merken. Es sei denn, sie gehören zu jenen Nostalgikern, denen die Streifen auf ausgelutschten Kopien so fehlen wie die Kratzer ihrer alten Vinyl-Schaltplatten bei den CDs.

Jürgen Lutz, Geschäftsführer des Odeon.

 

Die Hotline hilft

Gänzlich anders sieht im Odeon im Digitalzeitalter allerdings er Job des Filmvorführers aus. Musste er früher den auf mehreren, kleineren Rollen angelieferten Film erst richtig zusammenkleben –machte er dabei einen Fehler, bekamen die Zuschauer das dritte Kapitel schon mal vor dem zweiten zu sehen-, dann den fertigen, auf eine große, rund 20 Kilo schwere Rolle gespulten 35mm-Film in den Projektor einlegen und während der Vorstellung stets die Leinwand im Auge behalten, ob sich die Bildschärfe durch die Mechanik des Projektors womöglich verschlechtert hatte, braucht er heute im Prinzip nur doch die „Play“-Taste zu drücken, um den Zauber in Gang zu setzen. Was er Prinzip auch per Handy von zuhause auch machen könnte. Doch im Odeon werden die Filme nach wie vor vom Vorführraum aus gestartet, wo auch jemand die ganze Vorstellung über das Display des Servers im Auge behält. Stets hoffend, dass da nicht irgendwann das Signet „Error“ aufleuchtet. Was eine Art Filmriss im Digitalzeitalter umschreibt. Wo der Vorführer früher jedoch im Notfall den Film neu zusammenkleben oder gegebenenfalls die gestorbene Birne im Projektor austauschen konnte, bleibt ihm heute nur noch, eine Hotline anzurufen, wo Software-Experten das Problem checken und die Projektion wie von Geisterhand wieder ans Laufen bringen. Immerhin, anders als in manchen Großkinos, wo Filmvorführer inzwischen nur noch Popcorn verkaufen dürfen oder ihren Job ganz los sind, wird im Odeon im Zuge der Umrüstung niemand entlassen. Dabei sind die Kosten der Neuzeit nicht unerheblich.

 

Ein teurer Spaß

80 000 Euro musste das Kino in die neue Technik investieren. Ein Drittel der Kosten wurde vom Land erstattet und ein zweites Drittel sollte eigentlich über VPF (Virtual Print Fees) getragen werden. Dahinter verbirgt sich ein Modell, nach dem sich die Verleiher an der Digital-Ausstattung der Kinos beteiligen sollten. Doch die üben sich derzeit noch in Zurückhaltung. Geld aus dieser Quelle ist bislang jedenfalls auch im Odeon noch nicht angekommen. Dabei wäre das Ganze auch weit billiger zu haben gewesen. Doch beim Gerangel um die neue Technik setzten sich US-Mayors mit ihrem DCI-Standard gegen preiswertere europäische Modelle durch, wobei die höheren Kosten in erster Linie aus einem hoch komplexen Kopierschutz resultieren. Was Jürgen Lütz wurmt, ist nicht zuletzt die Perspektive, dass der neue Server wahrscheinlich in zehn Jahren schon wieder durch einen anderen ausgetauscht werden muss, weil die Filme dann womöglich gar nicht mehr materiell angeliefert werden, sondern praktisch per E-Mail direkt von den Verleihern in die Kinos überspielt werden. Und spätestens angesichts dieser Aussichten fällt sein Blick denn doch etwas wehmütig auf den alten Projektor, der nach wie vor im Vorführraum des Odeon steht und für gelegentliche Nostalgie-Veranstaltungen auch da bleiben wird. Rund sechzig Jahre hat das metallic-graue Monstrum aus dem Hause Phillips inzwischen auf dem Buckel und immer klaglos seinen Dienst versehen. Hin und wieder mussten ein paar Verschleißteile ausgetauscht werden, aber mehr war da im Prinzip nicht zu tun. Aber was hilft´s? Die Zeiten ändern sich nun mal. Was nur die neuen Betreiber einer Kneipe direkt gegenüber dem Odeon noch nicht ganz mitbekommen haben, die es originell fanden, ihren Schuppen ausgerechnet „Filmriss“ zu nennen, wo es den nun definitiv nicht mehr gibt. Aber womöglich meinen die damit auch eher den totalen Gedächtnisverlust nach exzessivem Komasuff.

Text: Reinhard Lüke

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