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Gesellschaft

„Wir fühlen uns hier sehr frei“ – wie Studentinnen in Istanbul über den Internationalen Frauentag denken

Freitag, 8. März 2013 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: J-C. Schillmöller

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Die Aussicht ist spektakulär: Auf den ersten Blick zählen wir 12 Moscheen, die sich den Horizont entlangziehen. Wir sitzen im Café Pierre Loti in Eyüp, das ist ein Wallfahrtsort und ein Stadtteil von Istanbul an der Spitze des Goldenen Horns. Die Tische sind rund, darauf liegen rot-weiß karierte Decken, zu trinken gibt es Tee und Ayran.

Drei junge Frauen sitzen hier oben und schauen auf die 18-Millionen-Stadt. Zwei von ihnen heißen Merve (so wie ein Berg bei Mekka), die dritte heißt Ipek, das bedeutet Seide. Die eine der beiden Merves ist heute 20 geworden, die beiden anderen sind 21. „Meine Südstadt“ blickt heute über den Tellerrand: Was bedeutet den drei Frauen hier in der Türkei der Internationale Frauentag?

Ipek entgegnet postwendend: „Das ist ein sehr wichtiges Datum für uns.“ Der Grund für Ipek sind die historischen Streiks von Frauen, die am Anfang dieses internationalen Tages stehen. Der erste ereignete sich schon 1858, es folgte ein Massen-Ausstand von 20.000 Näherinnen in Manhattan 1909. „In der Türkei gibt es heute viele Veranstaltungen, Reden und Konferenzen zum Tag der Frau.“ Das Gespräch mit den dreien ist gar nicht so einfach: Nur die eine Merve spricht Englisch, die andere nicht – und Ipek nur wenig. Immer wieder tippen alle auf ihren Smartphones herum, um einzelne türkische Wörter für uns zu übersetzen.

Merve, Merve und Ipek studieren an der ?stanbul Ayd?n Üniversitesi – und zwar „food engineering“, also Nahrungsmitteltechnik. „Da geht es natürlich um Gesundheit, um die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln“, berichtet Ipek. Und Merve fährt fort: „Wir experimentieren viel im Labor zum Beispiel.“ Gibt es im Studiengang mehr Männer oder mehr Frauen? „Es gibt mehr Frauen“, sagt Merve. „Die Männer studieren eher die technischeren Ingenieur-Berufe.“

Wie sind sie denn, die türkischen Männer? Die drei Frauen lachen. „Grundsätzlich sind natürlich viele Machos dabei“, sagt Merve. Wie wird der Mann zum Macho? „Das liegt an den Müttern, die erzählen den Söhnen immer: ,Du bist mein König‘, wenn sie noch klein sind.“ Ipek mischt sich ein: „Also mein Freund an der Uni, der ist kein Macho, der ist ganz normal.“ Eines aber, so sagen alle drei, zeige sich bei vielen türkischen Männern: Sie finden Frauen aus anderen Ländern attraktiver als Türkinnen. Welches Land zum Beispiel? Merve zögert nicht lange: „Die Niederlande.“ Soso.

Lustig: Unterhalb vom Café beobachten wir zwei Männer, die mit dem Smartphone die ersten Blüten eines Baumes fotografieren. Nicht gerade Macho-Gehabe. Wie sieht es denn aus mit dem Heiraten im Leben der drei Studentinnen? Ipek hat das fest eingeplant: „Zwei Jahre nach dem Studium will ich heiraten“. Ist denn ihr Freund von der Uni ein ernstzunehmender Kandidat? „Ich weiß es nicht“, sagt sie – es klingt ehrlich. Merve sieht das Thema Hochzeit anders als Ipek. „Mir ist die Arbeit wichtiger als eine Heirat“, meint sie.

Zur Zeit finanzieren sie ihr Leben noch mit Stipendien, und arbeiten wollen sie eines Tages in der Wirtschaft – am liebsten im Management, egal in welchem Unternehmen, es muss jedenfalls kein türkisches sein. „Vorher gehe ich aber noch nach Spanien, mit Erasmus. Am liebsten nach Barcelona“, sagt die eine Merve – sie hat heute eine wichtige Prüfung, von deren Bestehen auch abhängt, ob und wann es mit dem Auslandsaufenthalt klappt. Ipek will dagegen nach Kanada und Erfahrungen sammeln.

Ist denn das Leben als Frau in der Türkei von Einschränkungen geprägt? Oder ist das nur ein westliches Klischee? Die Antwort fällt klar aus: „Es gibt sicher Orte in der Türkei, wo es mit den Frauenrechten noch hapert“, sagt Merve – und schließt mit einem Satz, der noch ein paar Stunden später in unseren Ohren nachklingt: „Wir sind in Istanbul geboren – und wir fühlen uns sehr frei hier.“

 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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