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Bildung & Erziehung Gesellschaft Südkids

Mehr Hören statt Sehen…

Mittwoch, 27. März 2013 | Text: Judith Levold | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Im Kino. Das geht. Mit geschlossenen Augen in den weichen Polstersitz gekuschelt, lausche ich der so genannten Audiodeskription: „Schemenhaft zeichnen sich die Silhouetten von Bergrücken in der aufgehenden Sonne ab, langsam brechen sich ihre Strahlen am Bergkamm… Ein Rotfuchs springt auf einem Hang umher, schnüffelt am Boden, schaut sich um… Ein zehnjähriges Mädchen schiebt sein Fahrrad durch den herbstlichen Wald… Das Mädchen hat ein rundes Gesicht mit vielen Sommersprossen und große blaue Augen. Sein langes rotes Haar ist zu zwei Schnecken seitlich am Kopf zusammengesteckt!“. Ich öffne die Augen und sehe das Mädchen auf der Kinoleinwand – genau so, wie es gerade beschrieben wurde.

Mit mir im Kinosaal: zwölf Grundschüler zwischen sieben und zehn Jahren aus der Severinschule, einer Förderschule für blinde und sehbehinderte Kinder. Als ich beim Kennenlernen, kurz vor Filmstart, dem blinden Jason, der noch nie im Kino war, das Kino beschreibe, sagt der nur kurz „Warum machen die dann das Licht aus? Ach ja, damit man nicht die ganze Zeit was sieht.“ Alles klar, Jason, ich bin gespannt auf Dein Erlebnis!

 

Kino erleben, der Wunsch von blinden und sehbehinderten Kindern aus der Severinschule.

 

„Der Wunsch, mal ins Kino zu gehen!“ sei ausdrücklich von den Kindern gekommen, erzählt mir Mechthild Conrady, ausgebildete Lehrerin und Ganztagsbetreuerin an der Severinschule. „Sie wollten das unbedingt mal erleben, einige waren noch nie, die anderen nur vereinzelt im Kino – viele kommen ja hierher auch aus ländlichen Gebieten, wo nicht immer ein Kino in der Nähe ist!“ erklärt sie weiter, und: „Nicht alle Kinder sehen gleich viel, manche sehen nur schwarzweiß, andere sehen 30%, mit Brillen und Lesegeräten auch mehr, drei in dieser Gruppe sind blind“.

 

Man habe die Idee der Kids gleich an In Via, den Verband Katholischer Mädchen- und Frauensozialarbeit, weiter gegeben, der Träger des Ganztags in der Severinschule ist. So sei dann recht schnell diese Aktion organisiert worden: Jürgen Steinigeweg vom jugendfilmclub medienzentrum, hat sich mit der Frage befasst: welcher Film könnte für Grundschüler interessant, schön und spannend sein und welchen gibt es schon in der Bearbeitung für Sehbehinderte, also mit Szenenbeschreibung. „Da gibt es noch nicht so viel, ich habe auf der Homepage des Berliner Vereins Hörfilm e.V. nachgeschaut und dieser Film „Der Fuchs und das Mädchen“, mit dem hatten wir schon beim Festival Cinepänz großen Erfolg.“ sagt Steinigeweg, der mit dem jugendfilmclub auch verstärkt in Richtung Inklusion arbeiten will. In Kooperation mit dem Südstadt-Kino ODEON hat er dann diesen Termin für den Kinobesuch in den Ferien gefunden und sponsort den Eintritt für die Kinder – Medienbildung für alle eben…

Ich treffe die zwölf Kinder samt ihren In Via-Betreuern am Schultor in der Weberstraße an der Severinsbrücke und spüre die Aufregung, während sie sich im Gänsemarsch dem ODEON nähern. „Alle mal herhören!“ ruft Frau Conrady, als die Kinder im Saal ihre Plätze einnehmen. „Im Kino ist es ziemlich dunkel, denn das Wichtigste ist ja vorne die Leinwand! Die ist noch vieeeel größer als der Fernseher zu Hause. Und der Film heißt „Der Fuchs und das Mädchen“, das ist ein Naturfilm, der dauert 90 Minuten. Es wäre schön, wenn Ihr dafür jetzt die Geduld aufbringt!“. Diese Ermahnung soll sich später als überflüssig erweisen, ich spähe während des Films zu den Gesichtern der Kinder – es ist mucksmäuschenstill bei denen und alle machen das, was man gewöhnlich im Kino tut: konzentriert Richtung Leinwand schauen und genießen!

 

„Ziemlich viele Sachen sind da passiert, richtig anstrengend!“ bemerkt Pascal nach dem Film.

„Das Mädchen stapft durch den Schnee, dem Fuchs hinterher. Es hat einen Wintermantel, dicke Stiefel und ein Stirnband an. Es singt: Schritt für Schritt, durch den Wald, wer hat diese Spur gemalt?“ Diese und noch viel weitere Informationen gibt den Kindern, zusätzlich zum oder statt des Sehens, die Audiodeskription. Da muss man sich ganz schön viel merken, wie ich feststelle, als ich eben auch mal mit geschlossenen Augen Kino erlebe, um vielleicht den Hauch einer Idee davon zu bekommen, wie es etwa dem blinden Pascal, neuneinhalb Jahre alt, geht. „Ziemlich viele Sachen sind da passiert, richtig anstrengend!“ sagt er mir nach dem Film, und „Ich habe auch die Augen zu gemacht. Das war ganz schön gefährlich, als der Luchs den Fuchs verfolgt hat, oder? Aber der Erzähler hat das gut erzählt“. Na bitte, Kino im Kopf! Und Jason bemerkt „Das Mädchen hatte ja zwei Stimmen!“. Richtig, nämlich eine, die im Rückblick aus der Sicht der schon erwachsenen Frau die Erlebnisse und Gedanken des Mädchens schildert, und die zweite, mit der das Mädchen selbst im ON singt oder mit dem Fuchs spricht. Gut aufgepasst, Jason.

 

Die Betreuerinnen der Kinder sind baff: „Dass die so derart ruhig und konzentriert waren, das hätten wir nicht gedacht, es hat ihnen so gut gefallen, wir sind gespannt, was sie morgen und übermorgen noch so alles davon zum Besten geben“ sagt Mechthild Conrady beim Aufbruch. Und Sarah, die ohne ihre starke Brille nur 10% Sehfähigkeit besitzt, sagt selig „Das war so schön, als der Fuchs das Mädchen in seinem Haus besucht hat und wie der Erzähler das beschrieben hat, das passte so gut zum Bild, das hat mir beim Sehen geholfen!“
Mehr davon!! Am besten gemeinsam mit Grundschülern der benachbarten Regelschulen, denn Inklusion geht überall, auch im Kino!

Text: Judith Levold

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