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Kultur

„Mach’s noch einmal, Sam“ oder „Die längste Bühn vun Cologne“

Sonntag, 23. Juni 2013 | Text: Jasmin Klein | Bild: David Boucherie

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Der Rheinauhafen schwingt: Unter dem Kranhaus Nord steht ‚der Chor, der donnerstags probt’ und singt den Klassiker ‚Killing me softly with his song’ von Roberta Flack. Der Refrain wird von den zahlreichen Zuhörern andächtig mitgesummt. Die treibenden Rhythmen der Truppe ‚Samba Onte Nova’, die von weiter nördlich herwehen, können dem Zauber des Moments nichts anhaben. Aber auch die Trommler haben ihr Publikum gefunden und sind in der Traube von Menschen gar nicht zu sehen, wohl aber zu hören.

1982 initiierte Kultusminister Jack Lang die Fête de la Musique in Frankreich und erfand somit den Internationalen Tag der selbstgemachten Musik. Alle, die Lust auf und Freude an Musik haben, dürfen und sollen sich an jedem 21. Juni in die Straßen, vor die Bars, an öffentliche Plätze stellen und musizieren, laut sein, singen, tanzen, sich begegnen. Es gibt kein Geld für die Künstler, und das Publikum muss nichts bezahlen. Jeder soll sich eingeladen fühlen, mitzumachen und Teil zu sein. Das Fest eroberte von Frankreich aus die Welt und wird mittlerweile nicht nur in jedem französischen Dorf, sondern in über 340 Städten gefeiert. Nur bisher nicht in Köln.

Das muss sich ändern, dachten sich die in Köln lebenden Franzosen Dr. Christophe Kühl und Dominique Cherpin. Sie beschlossen, das Fest endlich auch nach Köln zu bringen und es unter dem Dach der von ihnen gegründeten ‚Villafrance’, dem Zentrum der deutsch-französischen Privatwirtschaft, selbst zu organisieren.

Auf 13 verschiedenen Bühnen zwischen dem Schokoladenmuseum und dem Kranhaus Süd finden sich bei aufreißendem Himmel Hunderte von Menschen ein, die neugierig sind auf die Musik, das Ambiente und die Künstler. So auch David Boucherie, der Gastronom aus der Elsassstraße. Er kennt das Fest aus seiner Jugend in der Normandie und begleitet mich als Fotograf. „Dass man an diesem Tag laut sein darf, das hat mir immer am meisten imponiert“, erinnert er sich.

Wir hören auf den beiden Chor-Bühnen die unterschiedlichsten Chöre, von Jazz (‚Südstadtperlen’) über Pop (‚Die Taktlosen’ – 1. Schwul-lesbischer Chor Köln) bis zu getanztem Politpop (‚Stimmt so’- Chortheater Köln). Ich bin beeindruckt von Vielfalt und Chorkunst. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, Konzerttickets für einen der Chöre zu kaufen, aber jetzt, als ich hier stehe, bin ich berührt von der Musik und der Stimmung, die mit bloßem Gesang in den kahlen Schluchten des Rheinauhafens erzeugt werden kann.

Weiter nördlich auf dem Vorplatz des Schokoladenmuseums treffen wir auf die ersten Franzosen. Djamila Al-Wahabi freut sich. „Das Fest war in Frankreich immer ein Fest für die ganze Familie. Ich lebe seit 1999 in Köln. Heute bringe ich meine eigene Familie mit. Ich freue mich darauf, alte Bekannte zu treffen, tolle Gruppen und gute Musik zu hören. Tanzen und genießen!“. ?Kathrine Jaunet, die seit 2005 in Köln lebt, freut sich über das Fest, ist aber etwas ratlos über die Ortswahl: „In Köln gibt es so tolle Ecken, den Brüsseler Platz, den Eigelstein, aber der Rheinauhafen? Das ist mir hier eigentlich zu steril.“
Virginie Fossey, die in Köln als Exportberaterin für französische Firmen arbeitet, stellt fest: „Es gab immer einen Tag im Jahr, an dem ich bedauerte, in Deutschland zu sein. Das war der 21. Juni.“
Überhaupt schwirren viele französische Stimmen durch die Luft. David trifft immer wieder alte Bekannte, die sich freuen, dass die Fête de la Musique endlich auch in ihrer neuen Heimat Köln angekommen ist.

Laurent Chevalier treffe ich am Stand des Institut Francais, das als Partner des Fests fungiert. Er gibt als pädagogischer Koordinator Kurse und tritt später am Abend noch mit seinem Trio auf. Über die Resonanz ist er sehr erfreut. Aber warum hat es denn so lange gedauert, bis das Fest nun auch in Köln gefeiert wird? „Es ist nie zu spät!“, lacht er, „in Frankreich wurde zu Beginn sehr viel Werbung für das Fest gemacht, sodass es sehr bekannt wurde.“ Diese Werbung fehlt dem Kölner Fest noch.

Christiane Claus, die ich vor der Bühne des Linie 7 Busses treffe, findet es „ganz toll, dass das Fest jetzt in Köln institutionalisiert wird. Hier haben kleine Gruppen die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Und es gibt so ein breites Spektrum an Musikrichtungen. Schön, dass mal die Musik in den Mittelpunkt gerückt wird. Es muss aber noch bekannter werden.“

Im Gastraum der Bäckerei Mauel am Kranhaus Süd treffe ich Nicole Milik, die als nicolascage09 seit 2009 ihre Videos auf youtube stellt, die mittlerweile über 18 Millionen Mal angeklickt wurden. Die Singer/Songwriterin stärkt sich vor ihrem Auftritt mit Kaffee und Kuchen. Später stellt sie auf der Bäckerei Mauel Bühne ihre Kompositionen vor und begleitet sich dabei selbst mit der Gitarre: „Ich freue mich auf diesen Abend, auf interessante Künstler und ein interessiertes Publikum. So viele Menschen, die extra nur wegen der Musik kommen, das finde ich wirklich schön.“

Das offizielle Programm endet um 22 Uhr. David und ich verabschieden uns. Er verschwindet in der Menge, hier wird gelacht, dort zupft jemand Gitarre. An der einen und anderen Ecke kommen spontan noch Musiker zusammen und jammen gemeinsam. Eine entspannte Atmosphäre an einem Sommerabend, wie man sie bisher kaum vom Rheinauhafen kennt. Der Charme des Fests besteht auch genau darin, dass eine ganze Stadt auf den Beinen ist und eigeninitiativ in jeder Straße, an jeder Ecke musiziert wird. Es ist zu hoffen, dass die Deutschen, bei denen ja eher alles perfekt durchorganisiert sein muss, dieses Konzept begreifen. In Berlin und 23 anderen deutschen Städten findet die Fête schon statt. In Köln haben ihr Dr. Christophe Kühl und Dominique Cherpin auf die Sprünge geholfen.  Merci bien! Une autre, une autre!

 

Wermutstropfen:
Das ‚Gitarrenduo März/Palanik’ hatte leider das Pech wie viele andere Künstler auch, die bereits um 18 Uhr auf dem Plan standen, dass die erhofften Zuhörer von der Arbeit nach Hause unterwegs und noch nicht im Rheinauhafen angekommen waren. Will sagen: Zu wenig Publikum in der ersten Stunde. Das muss sich im nächsten Jahr ändern! Also bitte heute schon vormerken: Der 21. Juni 2014 ist ein Samstag. Dann findet die Fête bestimmt auch mit mehr Beteiligung der Gastronomie und mehr Toilettenhäuschen statt.

Wer sich über die vielen verschiedenen Künstler noch einmal informieren will: Die meisten werden hier vorgestellt.
Für alle facebooker: Bitte hier liken.
 

Text: Jasmin Klein

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