Großstadt mit Kleinstadtgefühl
Mittwoch, 10. Juli 2013 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
„Kannst Du die Sophia fragen, ob sie sich mit mir noch ein Würstchen teilen möchte?“ „Frag sie doch selbst.“ „Ich bin aber erst sieben, ich kann das noch nicht auf englisch.“ „Dann frag sie mit Händen und Füßen.“
Aaron zeigt auf das Würstchen, macht mit der Hand Sägebewegungen, zeigt dann auf Sophia und sich, führt schmatzend die Hand zum Mund und schaut sie mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an. Sophia nickt begeistert und und lacht laut auf. Den ganzen Monat Juni über hat sie in der Südstadt gewohnt und nach einigen Tagen regelmäßig das Jugendzentrum Bauspielplatz Friedenspark besucht – als Gast aus einem fernen Land und aus einem anderen Leben.
Eigentlich wohnt die Achtjährige mit ihren Eltern Jiayi und Shih-Wen Young in Sacramento in den USA. Sie lebten den Juni über hier, um eine Ausstellung vorzubereiten und zu präsentieren.
Beide arbeiten in den Staaten als Professoren am American River College. Shih-Wen Young unterrichtet Physik, Jiayi Young „Art New Media“. Vor ihrem Kunststudium hatte Sophias Mutter bereits einen Abschluss in Atomphysik gemacht. In ihrer Arbeit fokussiert sie die Verbindung von Kunst und Wissenschaft und plant ihre Projekte oft in Zusammenarbeit mit ihrem Mann. Beide beobachten, dass die Studiengänge in Amerika über die Jahre hinweg immer enger gefasst sind und kaum Raum für den oft zitierten „Blick über den Tellerrand“ bleibt. Darum halten es die beiden anders. So werden die Physikstudenten dazu angehalten, sich auch mit Kunst zu beschäftigen und umgekehrt. „In Amerika mögen viele die Wissenschaft nicht sehr. Wenn sie nur die Zahlen sehen, haben sie schon genug. Aber das ist ja nur ein kleiner Teil der Wissenschaft“, meint Shih Wen Young, „in der Wissenschaft liegt sehr viel Schönheit. Und was Du findest, sollte immer einfach sein. Wenn etwas wirklich kompliziert wird, dann ist meist irgendwas nicht richtig.“
Wissenschaft und Kunst verbinden, so vermittelt es das Wissenschaftler- Künstlerpaar, dass beide sich umsehen und mit dem beschäftigen, was die Welt bewegt. Den Blick für Schönheit auch in der Wissenschaft zu entdecken und zu teilen, sehen sie als ihre Aufgabe.
Das aktuelle Projekt „Dance II“, das hier in Köln präsentiert wurde, ist aber eine Soloschau von Jiayi Young. Es beschäftigt sich mit den Bewegungen von Meerestieren. Dazu wurden aus Daten über die Ortswechsel von verschiedenen Meerestieren diejenigen eines Haies und bestimmter Robben herausgesucht. Weil der Hai seinen Beutetieren mit Hilfe eines körpereigenen Sonarsystems folgt, lassen sich seine Wege in einer Soundinstallation umsetzen. Die Installation wurde am letzten Juni-Wochenende in der Moltkerei Werkstatt präsentiert.
„Dance II“, Soloschau von Jiayi Young präsentiert in der Moltkerei./ Foto: Privat
Das befreundete, in Köln lebende Künstlerpaar Natalie Bewernitz und Marek Goldowski hatte den Aufenthalt der Amerikaner samt anschließender Ausstellung initiiert. Die Youngs waren die ersten, die zu einem Gastaufenthalt geladen waren, weitere Einladungen sollen im Rahmen des Projekts „Temporary Imports“ folgen. So kam es, dass die Familie kurz vor Ende des Schuljahres in Amerika aufbrach, um den Juni in Köln zu verbringen. Untergebracht in einem der beiden Gastateliers im Neuen Kunstforum in der Alteburgerstraße wurde die Südstadt zum Dreh- und Angelpunkt für sie – keine schlechte Wahl, wie alle drei befanden.
Sophia, die achtjährige Tochter, besucht in Amerika eine Waldorfschule, und ursprünglich wollten ihre Eltern sie auch hier zur Schule schicken. Das aber funktionierte nicht, ein Kontakt mit den hiesigen Waldorfschulen kam nicht zustande, und bei einem Bummel durch die nähere Umgebung stieß die Familie zufällig auf spielende Kinder am Fort im Park. Nach einer Besichtigung des Bauspielplatzes und einem Gespräch mit der Sozialpädagogin stand fest, dass Sophia wiederkommen wollte. Seither besuchte sie beinah jeden Tag die Einrichtung, schloss Freundschaften, spielte und beteiligte sich an Wasserschlachten auf dem Außengelände. Sprachbarrieren gab es nicht, gespielt wurde einfach so, ohne große Hindernisse. Nun ist die Zeit vorüber und Sophia wurde am Ende des Monats mit einer Abschiedsparty von ihren neuen Freunden verabschiedet. „Kommst Du wieder?“ „Ja, nächstes Jahr“, informierte sie auf die Frage ihre Eltern.
Jiayi und Shih-Wen erlebten das Leben in Köln als entspannt und freundlich. Eine Großstadt mit Kleinstadtgefühl, so fassen sie ihre Eindrücke zusammen. Der Park in der Nachbarschaft wurde zu einem Lieblingsort, auch wenn er einen ziemlichen Heuschnupfen verursachte. Dass diese Krankheit hier auch jeder zweite hat, beruhigte sie – keine Allergie gegen Köln, also. Auf die Frage, was ihnen hier besonders ans Herz gewachsen sei, waren sich wieder alle drei einig: vor allem die Leute, mit denen sie in Berührung kamen und die ihnen ausnahmslos freundlich begegneten.
Zu den vielen kleinen Dingen, die hier selbstverständlich zum Stadtbild gehören, den beiden aber gleich als außergewöhnlich auffielen, gehören natürlich die Radfahrer, denn in den USA werden auch kleine Strecken mit dem Auto zurückgelegt. Das Fahrrad wird dort mehr als Sportgerät denn als Fortbewegungsmittel gesehen. Besonders aber fielen die Like-a-bikes und winzigen Fahrräder für kleine Kinder auf. Zuhause, erzählt Jiayi, lernen die Kinder erst mit etwa sieben Jahren Fahrradfahren. Die Fahrräder seien dann aber auch entsprechend groß bei den ersten Versuchen, darum würden die Kinder sich dort schneller verletzen.
Auch wenn die Youngs noch lange nicht sehen konnten, was sie sich vorgenommen hatten, empfanden sie die Stadt auch kulturell als bemerkenswert. So avancierte das Columba-Museum zum absoluten Lieblingsmuseum überhaupt weltweit, bald gefolgt vom Museum Ludwig. Den obligatorischen Dombesuch verband die Familie mit einem Orgelkonzert. „So boring“, fand Sophia und schlief nach einem gut gefüllten Tag dabei ein. Die Eltern hingegen waren nicht nur vom Dom selbst und der Musik sehr angetan, sie beeindruckte, dass recht moderne Musik gespielt wurde. „Hier wird sehr selbstverständlich mit zeitgenössischer Kunst umgegangen“, konstatiert Jiayi Young. „Diese Art von zeitgenössischer Musik würde man in einer amerikanischen Kathedrale nicht spielen. Die Leute sind hier viel aufgeschlossener für moderne Kultur.“??Und da Liebe ja auch ein wenig durch den Magen geht, folgten sie dem Rat eines Freundes aus den Staaten, der eine Zeitlang in Deutschland gelebt hatte, und probierten sich durch die für amerikanische Verhältnisse nahezu unüberschaubare Brotauswahl und die Klassiker, wie Döner, Wurst und Kölsch.?? Ein Monat, da sind sich alle drei einig, war jedenfalls zu kurz, Sophia wird ihre Eltern zum Wiederkommen nicht lange überreden müssen.
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