„Bei Anruf Tom Waits“
Montag, 20. Januar 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Martin Szafranski
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
– wie der Regisseur Robert Wilson den Filmemacher Martin Szafranski geprägt hat.
So kann es auch mal gehen: Eigentlich trifft man jemanden nur, um Informationen für ein anderes Interview zu sammeln – und dann entpuppt sich der Jemand selbst als höchst spannender Gesprächspartner. In diesem Fall wollte ich von dem Filmemacher Martin Szafranski nur ein paar Infos über den Regisseur Robert Wilson. Denn Szafranski war vor genau 30 Jahren Komparse in Wilsons Stück „The CIVIL warS“ in Köln (wir berichteten). Szafranski hat außerdem gerade den Dokumentarfilm „Traumwärts“ über ein Radrennen durch ganz Amerika gedreht – und dabei viel von seinen Erfahrungen mit Robert Wilson profitiert.
Herr Szafranski, wie war das, mit Robert Wilson zu arbeiten?
Er macht keinen Unterschied zwischen Statisten und Stars. Er malt Bilder auf der Bühne. Er erzählt Geschichten in Form von Bildern. Deswegen ist das Licht so wichtig. Er ist ein visueller Typ, kein Mann des Wortes. Er gibt Leuten einen Raum, und erreicht damit, dass sich bei denen dann eine eigene Geschichte abspielt.
Verstehe ich nicht.
Mit einem Bild eröffnest Du einen Raum. Es nimmt Dich ein, wenn Du es live siehst und trägt Dich irgendwo hin, und jemanden anders trägt es eben anderswo hin.
War Wilson wirklich so minutiös?
Unglaublich. Für uns Statisten war das super. Ich war damals Edel-Statist. Das heißt, ich hatte vier bis fünf Rollen. Und wir Figuren waren integriert wie die Topschauspieler. Ich habe Robert Wilson dann in New York wiedergetroffen. Ich war gerade in den USA, ich hatte Urlaub und traf mich zum Training mit Jürgen Hingsen.
Wie bitte? Was haben Sie mit Jürgen Hingsen zu tun, einem der bekanntesten deutschen Zehnkämpfer?
Ich war selbst damals eigentlich Zehnkämpfer. Bei der Junioren-EM 1977 bin ich Sechster geworden. Aber Hingsen war für uns unerreichbar.
Okay. Sie waren also in den USA.
Genau. Und ich bin nach New York geflogen, um „Einstein on the beach“ von Robert Wilson zu sehen. Er sah mich, kam auf mich zu und meinte: „Hey Martin, was machst Du denn hier?“ Es kam heraus, dass er gerade plante, die Kölner Inszenierung von „The CIVIL warS“ in Boston aufzuführen. Und er fragte mich, ob ich wieder meinen Kölner Part spielen wollte.
Sie wollten?
Ich habe dann sogar einen Job bei ihm bekommen für die drei Monate. Bob sollte für die 750-Jahr-Feier von Berlin die komplette Nationalgalerie bestücken und ich durfte recherchieren und ihm Geschichten und Bilder rund um die Berliner Geschichte liefern. Das Ganze kam dann zwar nicht zustande, aber ich saß in Boston und las Bücher über Berlin in den Katakomben der Harvard-Universitätsbibliothek.
Haben Sie damals verstanden, dass Sie es mit einem Weltstar zu tun haben?
In Boston ja. Da sind die Leute schier ausgeflippt. Ich habe dann ja auch ein paar Wochen bei ihm gewohnt.
Bei Robert Wilson?
Ja. Ich bekam diesen Recherche-Job, aber es war erstmal keine Bude frei in Boston. Da habe ich dann bei ihm gewohnt, und es kam zum Beispiel Heiner Müller vorbei. Oder es rief jemand an, und das war dann Tom Waits. Für mich war das damals nicht so ein „oh-my-god“-Moment, ich kam ja aus der Sportszene. Das war schon eine sehr verrückte Zeit.
Martin Szafranski und Robert Wilson im Odeon am 30. Jahrestag der Uraufführung von „The CIVIL warS“ in Köln.
Wie war der Alltag mit Robert Wilson?
Wir haben die Nächte durchgemacht und das ein oder andere Glas getrunken. Sein geflügeltes Wort war immer: Martin, the night is young. Es waren immer Leute um ihn rum, und ich ging früher ins Bett, ich habe ja auch trainiert. Und morgens stand er immer noch oder schon wieder da und war am Zeichnen. Er hat ja alles gezeichnet, meistens Kohle auf Papier.
Wie hat er gezeichnet?
Ich erinnere mich daran, dass er einmal sechs Bilder fertigmachen musste. Er hatte sechs Staffeleien da stehen und wartete auf den Kick. Und als der kam, ging er da rein und arbeitete parallel.
Synchron?
Ja. (Martin Szafranski steht auf und macht Wilson nach, dabei pfeift er so, wie Wilson den Pinsel bewegte).
Was waren denn damals die „CIVIL warS“ aus Ihrer Sicht?
Civil Wars konnte vieles sein. Das kann Dein kleiner Krieg sein, aber auch etwas Monumentales. Du kannst frei interpretieren, aktuelle Themen darin sehen oder ganz zurück gehen in Deine Kindheit. Man lässt sich gefangennehmen, oder Du stehst eben außen vor.
Was nimmt Dich gefangen?
Die Atmosphäre. Sie springt Dich an und löst etwas aus.
Wie waren die Proben in Köln?
Ich sehe eine Probe vor mir in einem kleinen Raum, in kleinen Gruppen. Robert Wilson war unheimlich präzise, und er konnte richtig laut werden. Wenn es dann ruhig wurde, dann hielt er diese Ruhe. Es gab da mal ein Pressegespräch, da wurde ihm eine hochnäsige Frage gestellt, sehr speziell. Und er hat nicht geantwortet. Und dieser Typ, der die Frage gestellt hat, hing in der Luft. Irgendwann nach zwei Minuten sagte Wilson dann: Ich kann auf diese Frage nicht antworten. Er kann Stille aushalten.
Welche Rolle haben Sie gespielt?
Soldat, Schreiber, Maschinenmensch. Ich war unter anderem in der Szene dabei mit den Zelten im Morgengrauen. Alle stehen auf und ziehen in den Krieg, das dauert zehn, fünfzehn Minuten. Wir kommen aus den Zelten gekrochen und gehen summend in Super-Slow-Motion von der Bühne. Von außen betrachtet ziehen Soldaten in die Schlacht. Aber es kann für einen Zuschauer auch etwas ganz anderes sein, zum Beispiel sein Arbeitsleben, das auch eine Form von Krieg sein kann.
Was haben Sie von Robert Wilson für Ihren Film über das Radrennen in Amerika mitgenommen?
Bob hat mir eine andere Sichtweise, eine neue Welt eröffnet. Bezogen auf meinen Film war mir sofort klar, dass ich keine reine Sportdokumentation machen möchte. Ich möchte Lebensgeschichten erzählen, möchte den Zuschauer emotional erreichen, ihm einen Raum geben, der bei ihm etwas auslöst. Bob hat mich eingeholt, mit dieser Idee, dass das Theater in den Köpfen der Leute spielt. Die müssen da einsteigen und ihre Geschichten machen können. Damals hat sich etwas festgesetzt, das habe ich in dem Film gelebt und rausgeholt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Der Film „Traumwärts“ von Martin Szafranski ist ein dokumentarischer Film, in dem es um Motivation geht und der die Menschen ermutigt, ihre Träume zu leben – jeder seinen eigenen… Die Dokumentation über das RAAM („Race Across America“), ein legendäres Radrennen über 4.800 Kilometer quer durch die USA, wird zur Metapher und zum Sinnbild dafür, dass der Weg zu den eigenen Wünschen, Träumen und Zielen nie direkt verläuft, sondern von Höhen und Tiefen begleitet wird. Hauptdarsteller ist der ehemalige Junkie Andreas Niedrig, der zu einem der weltbesten Ironmen geworden ist. Den bemerkenswerten Prolog spricht Xavier Naidoo.
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