Der Kölner Großmarkt: Eine Institution wird abgewickelt.
Dienstag, 4. Februar 2014 | Text: Dirk Gebhardt | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Sechs Tage in der Woche steht Jochen Richrath von „Obs un Jemös“ gegen 6:00 Uhr vor der Metzgerei Schlömer. Täglich kauft er am Großmarkt in der Südstadt bei seinen Stammhändlern frisches Obst und Gemüse für die Südstädter ein. Heute, an einem Mittwoch im Januar, steht er an seinem freien Tag vor dem Fleischmarkt, er zeigt Meine Südstadt seinen Markt, will seine Händler vorstellen, damit wir verstehen, welche Konsequenzen ein Umzug des Großmarkts nach Marsdorf im Südwesten von Köln hätte.
Heute macht seine Mutter Marlis den Einkauf. Sie benötig dafür ungefähr 40 Minuten. Jochen Richrath schafft das Ganze in 10-15 Minuten. Bestellt wird abends per Fax, morgens nur rein mit dem Auto, einladen und wieder weg. Als erstes Rechnungen bezahlen. Der Großmarkt ist größtenteils ein Bargeschäft. Beim Kräuterhändler fängt er an. Er fragt den Verkäufer gleich nach seiner Mutter, sie wurde noch nicht gesehen. Jochen Richrath erzählt detailliert, mit welchen Händlern er gerne zusammenarbeitet. Einige Händler haben sich spezialisiert, sie liefern nur an Gastronomiebetriebe in der Kölner Umgebung. Ein anderer verkauft nur Kräuter. Jack, der Apfel-König, ist einer von ihnen. Seit seinem 16. Lebensjahr arbeitet er auf dem Großmarkt. Immer nur Äpfel: Die Sorte Pink Lady steht in drei mannshohen Ballten im Eingang. Dazu noch Elster, Boskop und Granny Smith. „Jack hat immer gute Ware“, sagt Jochen Richrath, bevor er in das kleine Büro geht, um Außenstände zu begleichen. Jack thront vor dem Büro hinter einem Schreibpult. Darauf stapeln sich Formularblöcke. Ständig kommt einer seiner Mitarbeiter vorbei und hält Jack kleine, handgeschriebene Zettel unter die Nase. Er nickt, sagt Alles klar und redet weiter. Angesprochen auf den Umzug der voraussichtlich 2020 geschehen soll, wird seine Stimme energischer. Ich gehe da nicht mehr mit. Dann bin ich sechzig, das lohnt sich für mich nicht mehr. Außerdem macht das Ganze keinen Sinn. Was sollen wir in Marsdorf, da müssen meine Kunden ja viel weiter fahren. Die meisten kommen aus dem nördlichen Kölner Umland.
Nevzat Taskiran ist Geschäftsführer der Neff Holding. Die Holding besitzt und betreibt einen Stand, sowie ein Lager auf dem Gelände an der Marktstraße. Seit 1987 ist er auf dem Großmarkt, und auch er kann an den Plänen der Stadt Köln nichts Positives finden. Taskiran erzählt von der letzten Infoveranstaltung, zu der die Stadt Köln eingeladen hatte. Dort ging es nur um den Kauf von Großmarkt-Grundstücken durch die Händler. Eine Alternative für die Geschäfte wurde nicht besprochen. Er fühlte sich vollkommen fehl am Platze auf der Veranstaltung, da Zwischenfragen nur begrenzt zugelassen wurden.
Jochen Richrath will uns noch die alte Markthalle zeigen. Ab 1936 erbaut, wurde die denkmalgeschützte Halle erst vor kurzem von Außen saniert. Er erinnert sich: Als er vor 13 Jahren begann, war die Halle noch voller Händler. Die Kneipe in der zweiten Etage, da hat er gerne mit seiner Mutter zusammen noch einen Kaffee getrunken, anschließend gingen sie ins Geschäft. Es gab eine Post, eine Sparkasse und sogar Arbeiterunterkünfte in der Halle. Die alten Hinweisschilder hängen noch überall. Doch schon vor Jahren wurde die Service-Infrastruktur für die Händler abgeschafft. Die Kneipe hat 2008 zugemacht, der Aufgang auf die Galerie ist mit einem Bauzaun versperrt. Genau wie der Abgang in die Katakomben der Markthalle. Viele der Händlerboxen sind leer, bei den geöffneten ist es im Gegensatz zu den Händlern draußen sehr ruhig. Die weißlich-gelbe Wandfarbe blättert an einigen Stellen ab. Aufpassen muss man aber trotzdem. Die kleinen Gabelstapler fahren schnell durch die Gassen. Beladen mit Paletten voller Kisten mit Möhren, Granatäpfeln und Fisch kurven sie unentwegt von den Lastwagen zu den Händlern. Jochen Richrath verlässt die Halle. Er will uns noch einen Fisch- und Feinkosthändler zeigen. In einem flachen, einstöckigen Gebäude direkt vor der Halle sitzt die Firma Weltfisch. Die funktionale Blechkonstruktion wurde mit springenden Fischen verziert. Ein riesiger Tunfisch kommt hinter einer Palette frisch gelieferter Schalentiere hervor. Zwei der drei Räume im Inneren sind mit Regalen und Kühltruhen vollgestellt. Von gutem Lammbraten bis zum exklusiven Olivenöl reicht das Angebot. In einem Gang liegen etwa 50 lebende Hummer in zwei Wasserbecken, die Tiere bewegen sich kaum. Der dritte Raum ist ein Kühlraum. Die Kälte ist spürbar: minus 7 Grad. Die Tür steht offen, da ein Arbeiter Fische sortiert. Wie bei den meisten Geschäften auf dem Großmarkt wird auch hier ab 4:00 Uhr gearbeitet.
Der Großmarkt in Zahlen: 230.000 Quadratmeter Fläche, 5000 Kunden pro Tag, 220 Firmen sind dort angesiedelt. Jährlich werden dort 300 000 Tonnen Obst, Gemüse, Feinkost, Fleisch und Fisch umgeschlagen.
Ende der 30er Jahre wurde die markante Großmarkthalle gebaut, die heute genauso unter Denkmalschutz steht wie die ehemalige Versteigerungshalle, die man als Veranstaltungsort mieten kann. Vorher lag der Kölner Großmarkt am Heumarkt, die große Halle stand an der Stelle, wo heute das Maritim-Hotel steht. Nach langjähriger Prüfung mehrerer Großgrundstücke entschied der Rat 2007, dass der Großmarkt in das Industriegebiet in Köln-Marsdorf umziehen soll. Der Standort in Raderberg galt als nicht mehr zeitgemäß, weil zu viel LkW-Verkehr in die Wohngebiete drängt. Die Mietverträge der Händler am heutigen Großmarkt-Standort laufen spätestens 2020 aus. Dann soll mit dem Abriss der teils baufälligen Schuppen begonnen werden. Gegen Marsdorf regt sich im Kölner Westen heftiger Protest. Die Bezirksvertretung Lindenthal lehnte den Standort einstimmig ab. Es hat sich auch eine Bürgerinitiative gegründet. Die ortsansässigen Bürgervereine laufen Sturm. Grund: Die befürchtete Verkehrsbelastung, die im Kölner Westen schon jetzt überdurchschnittlich hoch ist.
Im Moment hat die Verwaltung einige Studien in Auftrag gegeben. In einem Lärmgutachten kommen die Experten zu dem Schluss, dass das Frischezentrum, wie der Großmarkt zukünftig heißen soll, anders gebaut werden muss als geplant. Parallel wird eine Wirtschaftlichkeitsstudie bearbeitet. Deren Ergebnis soll Antwort auf die Frage geben, ob das Frischezentrum städtisch oder privat betrieben werden soll.
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