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Politik

Abendvergnügen Ratssitzung

Mittwoch, 12. Februar 2014 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

„Der öffentliche Teil der Ratssitzung ist beendet. Die nächste Ratssitzung findet am Dienstag, 11.02.2014 ab 15:30 Uhr statt.“ Ein Blick auf die Uhr: Kurz vor halb fünf. Hat der Kölner Rat es tatsächlich geschafft, die gesamte Tagesordnung im öffentlichen Teil innerhalb von einer Stunde zu erledigen? Oder haben wir hier im Osten Deutschlands eine andere Zeitzone als in Köln?
Ich öffne die Tagesordnung. 19 Punkte mit zahlreichen Unterpunkten erscheinen, über Flüchtlingspolitik und Windanlagen bis hin zur Korruptionsbekämpfung (ja, wirklich!) ist alles dabei. Selbst, wenn wir hier drei Stunden hinterher hingen – das schafft der Kölner Rat sicherlich nicht so schnell.
Ich starte meinen Browser neu, öffne den Link aus der Pressemeldung und nach kurzer Zeit sehe ich: Jürgen Roters. Der Oberbürgermeister lächelt und sagt „Ich mach das hier mal eben wieder aus!“. Nein! Bitte nicht! Ich habe mich doch gerade erst zugeschaltet!
Roters drückt auf einen Knopf. Außer, dass sein dauerhaftes Gehämmer mit einem Stift nicht mehr über das Mikrofon verstärkt wird, passiert nichts. Meinem Abendvergnügen steht also nichts im Wege.

Zum zweiten Mal wird eine Kölner Ratssitzung live im Internet übertragen, „gestreamt“, wie es so schön heißt – nach einem entsprechender Beschluss des Stadtrats aus dem Oktober 2013 soll mehr Transparenz hergestellt werden. Aus rechtlichen Gründen sind nur zwei Kamera-Einstellungen erlaubt: Im Bild zu sehen sein dürfen nur der Sitzungsleiter (zumeist Oberbürgermeister Jürgen Roters [SPD]) und das Ratsmitglied am Rednerpult. Mitschnitte sind unzulässig, ebenso hat jedes Ratsmitglied das Recht, den Live-Stream für die Zeit seiner Wortmeldung zu unterbrechen.

Es läuft die Debatte über die Kölner Flüchtlingspolitik. Die CDU fordert in einem Antrag unter anderem, Flüchtlinge über die gesamte Stadt gleichmäßig zu verteilen und keinen Stadtteil „übermäßig“ zu belasten. Außerdem sollen die Anwohner umfassend über ankommende Flüchtlinge informiert werden. SPD und Grüne haben einen Änderungsantrag eingebracht – der Tenor geht in eine etwas andere Richtung, vor allem Bundesgelder sollen abgerufen werden und die Unterbringung der Flüchtlinge besseren Standards entsprechen.
Die Debatte verläuft weitestgehend unaufgeregt – bis ein Ratsmitglied behauptet, Ursula Gärtner von der CDU sei nicht in allen Sitzungen des Sozialausschusses erschienen. Aus dem nicht sichtbaren Bereich hinter der Kamera kommen Zwischenrufe. Gärtner gibt nach der Debatte eine „persönliche Erklärung“ ab, in der sie die Vorwürfe als falsch bezeichnet.
Beschlossen wird der Änderungsantrag von SPD und Grünen.

Ich nehme meinen Rechner mit in die Küche und koche. Währenddessen erscheint Reinhard Houben von der FDP auf dem Bildschirm und präsentiert passenderweise einen (Dringlichkeits-)Antrag zu hässlichen Toiletten. „Es tut mir leid, dass wir schon wieder damit ankommen müssen!“, ruft er ins Mikrofon, „aber offenbar kümmert sich ja keiner darum! Ich musste schon dem WDR ein Interview geben!“. Konkret geht es der FDP um die Verschönerung von Toiletten-Containern auf der Komödienstraße. Diese verschandelten „das Herzstück unserer Stadt“. Oh je, denke ich mir, was ist denn in Köln los? Herrschen dort jetzt Verhältnisse wie in Neapel?
Mit dieser krassen Auffassung steht die FDP aber offenbar alleine da. Kaum hat FDP-Mann Houben seinen Vortrag beendet, eilt auch schon Götz Bacher (SPD) ans Pult. Er ist offenbar äußerst aufgebracht und bezeichnet sich als „toilettenpolitischen Sprecher“ der SPD-Fraktion. In breitestem Kölsch ereifert er sich: „Wenn Sie hier mit solchen Scheiß-Anträgen kommen, sitzen wir noch bis morgen früh um sechs Uhr hier! Wieso muss denn sowas in den Rat? Woanders ist Ihnen die Bühne für Ihre Selbstdarstellung wohl nicht groß genug!“
Eine Mehrheit findet der Antrag trotzdem.  
Ich will einkaufen, gleichzeitig aber nicht die spannenden Diskussionen im Rat verpassen. Glücklicherweise lässt mich die Stadt auch hier nicht im Stich:
 „Der Livestream ist über einen Link auf der Homepage der Stadt Köln abrufbar. Die Sitzung kann über jeden gängigen Internet-Browser angeschaut werden, dies funktioniert auch über mobile Geräte wie Tablets und Smartphones“, teilen die freundlichen Kollegen aus dem Presseamt mit.
Auf meinem BlackBerry wird mir mitgeteilt, dass die nächste Ratssitzung am 11.02. stattfinde und der öffentliche Teil beendet sei. Gleichzeitig sehe ich auf meinem Rechner, wie Jörg Uckermann („pro Köln“) wieder einmal erklärt, seine „Bürgerbewegung“ sei die einzige Partei, die die Belange der Bürger wirklich vertrete. Vielleicht hat BlackBerry eine Sperre voreingestellt, die mich vor der Beschallung mit nichtssagendem Unsinn schützen soll?
Ich gehe los, und, siehe da: Jürgen Roters klappert wieder brav mit seinem Stift. Gleichzeitig kündigt er den nächsten Tagesordnungspunkt an: „Nutzung der Windenergie in Köln“, eingebracht von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

Gerd Brust, Experte seiner grünen Fraktion zum Thema, stellt das Konzept vor. Demnach soll die Verwaltung prüfen, ob es möglich sei, Windparks oder einzelne Windräder auf Kölner Stadtgebiet zu installieren.
Bei Aldi in Dresden, Budapester Straße, wird neuerdings Kölsch gesprochen – wenn auch nur über die Lautsprecher meines Smartphones. Denn: Götz Bacher (SPD) steht wieder am Rednerpult, die anderen Ratsmitglieder lachen bereits (unsicht-, aber hörbar), bevor er den ersten Satz gesprochen hat. Staatsmännisch erklärt er, dass auch die Stadt Köln zum Klimaschutz beitragen solle. Daher habe seine Fraktion „dem Wunsch unseres Koalitionspartners entsprochen“ und den Antrag mitgetragen. Das Gelächter ist kaum noch zu stoppen, Bacher: „Sparen Sie sich den Beifall doch, bis ich meinen Vortrag beendet habe!“
Anschließend erklärt er, dass der Antrag eigentlich vollkommener Unsinn sei und er sich keine Windräder mit „weit über 200 Metern Höhe“ in Köln vorstellen wolle. Er stimme dem Antrag dennoch zu. Aus dem unbekannten Nichts hinter der Kamera tönt es: „Der strotzt doch vor Schizophrenie!“.
200 Meter? Das wäre ja höher als der Dom! Ich gucke bei Wikipedia nach, wie hoch ein handelsübliches Windrad ist: „(…) wobei die Gesamthöhe der Anlagen bisher 200 m in aller Regel nicht überschreitet.“ Wie wäre es mit einem Rats-Faktencheck à la „Hart aber Fair“ für „Meine Südstadt“?

Zurück zu Hause übernimmt wieder der Rechner. Inzwischen ist es halb acht. Aufgrund einer Olympia-Übertragung verschiebt sich die „tagesschau“ auf 20:25 Uhr, so dass weiterhin das Rats-Fern-Sehen meine mediale Versorgung (und Unterhaltung) sicherstellt.

Inzwischen geht es um die KölnBäder, die Linksfraktion beschwert sich über aus ihrer Sicht heraus ungerechtfertigte Angebotseinschränkungen. Abgesehen davon, dass Ratsmitglied Breite (FDP) der Meinung ist, es lohne sich nicht, ein Bad für „fünf Hanseln“ zu öffnen (Konter der Linken: „Es sind keine Hanseln!“) geht es mehr um die Frage, welches der Ratsmitglieder regelmäßig bei den Sitzungen des Aufsichtsrates der KölnBäder erschienen sei. „pro Köln“, selbst ständig durch das Beantragen überflüssiger Sondersitzungen des Rates aufgefallen, merkt an, dass es zu einer kostenintensiven, außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrats komme.

Die „tagesschau“ beginnt, der Rat tagt weiter. Ich lasse beides parallel laufen, schaue ab und zu wieder auf den Bildschirm, doch irgendwann wird es selbst Jürgen Roters zu viel: „Ich bitte jetzt mal die Frau Bürgermeisterin Scho-Antwerpes um Übernahme der Sitzungsleitung“. Mein Internetbrowser stürzt gegen 21 Uhr aus Überforderung der zahlreichen geöffneten Tabs mit Anträgen der Fraktionen ab. Das Wiederherstellen gestaltet sich schwierig. Gegen 22 Uhr ist der Rat immer noch zu Gange – nach sechseinhalb Stunden ist nicht einmal der öffentliche Teil der Sitzung beendet. Kurz vor dem Einschlafen mache ich es mir im Bett gemütlich – aber einmal möchte ich noch in den Rat schalten. Jetzt heißt es ganz offiziell und zutreffender Weise: „Der öffentliche Teil der Ratssitzung ist beendet.“

 

Text: Wassily Nemitz

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