Dienstag ist, wenn der Nubbel brennt
Sonntag, 2. März 2014 | Text: Stephan Martin Meyer | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Fünf Tage Anarchie liegen hinter uns. Fünf Tage feiern, singen, trinken und bützen. Jetzt ist der Trubel fast wieder vorbei. Wer tief in den Karneval eintaucht, tut sich mit seinem Ende schwer. Aber ein richtiges Ende hat der Karneval erst nach der rituellen Verbrennung des Nubbels.
Heute Abend werden die verkleideten Strohpuppen von ihrem angestammten Platz über den Türen der Kneipen heruntergeholt und beschimpft, betrauert und schließlich verbrannt. Was verbirgt sich hinter dieser Tradition? Ein Gespräch mit Hans Mörtter, dem Pfarrer der Lutherkirche, der seit über 20 Jahren vor dem Filos den Nubbel zu Grabe trägt, kann Aufklärung bringen. Nachdenklich sitzt er vor mir, lässt seine Erfahrungen Revue passieren.
Als Mörtter 1987 nach Köln kam, fand er kaum Gemeindemitglieder vor. Also hat er sich auf den Weg gemacht, um sich seine Gemeinde zu suchen. In den Kneipen des Veedels. Unumwunden gibt er zu, dass er nur bis zum Filos gekommen ist. Die Kneipe war zu dieser Zeit einer der Dreh- und Angelpunkte einer regen Künstlerszene in der Südstadt. Hier standen Menschen an der Theke, die lange aushielten. Oft bis in die Morgenstunden. Von hier aus startete der evangelische Pfarrer seinen missionarischen Weg durch das katholische Köln.
Ein Jahr später tauchte die Frage nach der Nubbelverbrennung auf. Zwar gab es eine reiche Tradition dafür, aber in der Praxis kam sie selten zum Tragen. Costa, der Wirt des Filos, fragte den Pfarrer, ob er sich vorstellen könne, die Rede zu halten. Der sagte zu – ohne zu wissen, was da auf ihn zukam. Schnell wurde ihm klar, dass er zwei Aspekte bedienen wollte: die kabarettistische Seite und den christlichen Ansatz.
Mörtter legt Wert darauf, dass die Tradition keinen heidnischen Ursprung hat. Vielmehr stamme die Grundlage aus dem Alten Testament. Klar, Mörtter ist Theologe. Der Sündenbock bildete den Anfang: Ein Geißbock wurde mit den Sünden der Menschen belegt und in die Wüste geschickt. In den Tod. Diese Idee liegt 3.000 Jahre zurück. Jesus übernahm den Gedanken auf seine Weise: Er ging für die Sünden der Menschen in den Tod. Aber er kehrt durch die Auferstehung wieder. Wie der Nubbel, der jedes Jahr erneut für die Sünden der Narren geradesteht.
Doch der Gedanke des Sündenbocks hat auch eine Kehrseite. Einer Figur, einem Symbol die Schuld für Sünden zuzuschreiben, gipfelte auch in Köln in der NS-Zeit in Bestialität. Mörtter meint, dass jeder Nubbelredner wissen solle, wie sich das damals ausprägte: In den 1930er Jahren fanden auf dem Chlodwigplatz große zentrale Nubbelverbrennungen statt. Unter reger Beteiligung der Nazis. Sie bemächtigten sich der Tradition und nutzten sie für ihre Ideologie. Verbrennungen gab es in den folgenden Jahren deutschlandweit zuhauf: Bücher wurden in jeder deutschen Stadt verbrannt, Menschen wurden ermordet und in den Vernichtungslagern verbrannt. Insofern findet Hans Mörtter es auch gefährlich, nach Sündenböcken zu suchen.
Er wollte einen neuen Ansatz finden. Er sah ihn in der Geschichte von Jesus Christus: Der verschrieb sich dem prallen Leben. Er verbrauchte sich für die Menschen. Aber er kommt wieder. Wie ein Phönix aus der Asche. Ein Neuanfang. Dem Tod folgt die gereinigte Auferstehung.
Hinter der Tradition des Karnevals steht eben auch das Bedürfnis der Menschen, wieder frei atmen zu können. Nach dem kalten Winter, dem Regen und der verkümmerten Natur steht nun die Austreibung dieser Zeit an. Und da kommt nun doch etwas Heidnisches ins Spiel: die Vertreibung der bösen Geister.
Anarchische Momente kommen ebenfalls zum Tragen: Klassischerweise gehört neben der Rede und dem Frage-Antwort-Spiel zwischen Redner und Gemeinde auch der Trauerzug zum Ritual. Die Narren geleiten den Nubbel trauernd und wehklagend durch das Veedel. Straßen sind verstopft, und auf dem Chlodwigplatz geht für eine Weile nichts mehr. Hin und wieder ist die Polizei tatsächlich davon überrascht.
Auf die Frage, ob Mörtter die Rede für dieses Jahr schon vorbereitet hat, lacht er. Nein. Die entsteht erst in den Stunden vor der Nubbelverbrennung. Bislang hat er nur ein paar Ideen und Themen gesammelt. Nach dem Südstadtzug eilt er in sein Büro, setzt sich an seinen Computer und reiht die Worte aneinander. So garantiert er sich und seiner Gemeinde der Narren die höchste Aktualität. Regionale Ereignisse, Fisternöllchen aus dem Veedel, die KVB und das Archivunglück – die Themen sind vielfältig und lassen sich oft aus dem Kleinen ins Große übertragen. Eine gute Projektionsfläche bieten immer wieder das Festkomitee und Kardinal Meisner (aber der ist ja jetzt fott). Von Letzterem braucht er meist nur ein Zitat vorzulesen und mit einer Frage zu kontrastieren: Meint der das wirklich so? Ja, der meint das so. Mit Spannung darf also schon bald ein neuer Kardinal mit seinen Aussagen erwartet werden.
Aber nicht nur Hans Mörtter redet dieses Jahr wieder anlässlich einer Nubbelverbrennung. Auch Max Strauß wird eine Rede halten. Vier Jahren organisierte er die Tradition vor dem Litho. Er zieht mit dem Personal des alten Litho ins Tavernaki um und wird dort über die Sünde an sich und im Besonderen sprechen. Träger, Klageweiber und Trommler. Das volle Programm. 30 Jahre ist Jörg Holtwick schon dabei. Als Wirt des Haus Müller schlüpft er auch dieses Jahr wieder in die Rolle des Kardinals, der den Nubbel zu Grabe trägt. Die Gemeinde liebt ihn und wird ihm heute Abend zujubeln und mit ihm klagen.
Nubbelverbrennungen gibt es viele. Einige listen wir hier auf. Aber es gibt bestimmt noch andere. Fragt in den Kneipen. Trauert und wehklagt. Tragt den Nubbel gebührend zu Grabe. Und wisset: Er kommt wieder. Wie jedes Jahr.
Mainzer Hof: ca. 23:30 Uhr.
Feldküche/Tavernaki: ca 22 Uhr
Ubierschänke: ca. 23:45 Uhr
Litho: ca. 23 Uhr
Backes: ca. 24 Uhr
Chlodwigeck: kurz vor Mitternacht
Haus Müller: ca. 22:30 Uhr
Severin: irgendwann am Abend
Filos: ca. 22:30 Uhr
Lotta: gegen Mitternacht
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