Das Erdogan-Gefühl
Sonntag, 25. Mai 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Trotz und Selbstbewusstsein schwingen in ihren Stimmen mit: „Wir stehen hinter Erdogan, wir sind immer bei ihm.“ Cemile, Leyla und Asli sind drei türkisch-stämmige Frauen, und sie haben keine Karten für den Auftritt des umstrittenen Politikers in der Lanxess-Arena mehr bekommen.
Aber das ist ihnen egal. Sie bleiben trotzdem hier. Sie wollen Flagge zeigen für Erdogan, und wenn schon nicht drinnen, dann eben draußen. Cemile und Asli haben sich in die knallrote Türkeifahne gehüllt und machen mit ihren Handys immer wieder Bilder von sich.
Der Ort ist ungemütlich. Wir stehen in einer Schlucht zwischen einem Park- und einem Bürohaus, ein paar Meter vor der Lanxess-Arena. Es ist Samstag Nachmittag, und allein in dieser Schlange warten hunderte Erdogan-Anhänger. Sie wollen gegen 18 Uhr ihr Idol sehen, sie wollen den türkischen Ministerpräsidenten live erleben.
Der Auftritt ist umstritten, es gab viel Kritik und Appelle an Erdogan, doch lieber abzusagen. Was bedeutet der Politiker den Menschen hier? Was verbinden sie mit ihm? Wie kommt es, dass er so mühelos eine Arena von 17.000 Menschen füllt, die gar nicht in der Türkei, sondern in Deutschland leben? Lassen sich daraus Schlussfolgerungen über den Erfolg von Integration ziehen?
Ich spreche hier draußen beim Warten auf Erdogan mit vielen Türken. Es ist verblüffend, dass sie alle ähnlich argumentieren. Ganz egal, welche Generation. Wer hinter Erdogan steht, tut das voll und ganz. Herausfinden und verstehen möchte ich, wie die Leute über ihn denken und wie sie das begründen. Die Kritik (autoritärer Führungsstil, Selbstherrlichkeit, Grubenunglück von Soma, Niederschlagung der Gezi-Proteste, Korruptionsaffäre, Sperrung sozialer Netzwerke etc.) bügeln sie ab.
Cemile, Leyla und Asli sprudeln vor Begeisterung für ihren Erdogan. Asli sagt, er sei ein guter Mann, „ein Vorbild für Mut und Ehrlichkeit“. Erdogan helfe den Menschen in der Türkei, er habe Häuser und Spielplätze bauen lassen. Asli und Cemile sind Cousinen. Sie sind aus Leverkusen und Monheim. Leyla haben sie zufällig kennengelernt, sie lebt in Bonn.
Cemile ist richtig sauer. „Ich rege mich auf, dass so viele schlecht über Erdogan urteilen.“ Leyla sagt es noch deutlicher: „Das ist Rufmord, was da in den letzten Wochen passiert ist im Fernsehen und in den Nachrichten.“ Die drei Frauen lassen sich fotografieren, nehmen meine Visitenkarte und vergewissern sich nochmals, ob ich verstanden habe, warum sie Erdogan mögen.
Kurz vorher, ein paar Meter weiter. Gülay und Aysenur sind aus Remscheid. Im Gespräch mit ihnen erlebe ich eine Überraschung. Die beiden Frauen berichten, dass die Türkei sich unter Erdogan unglaublich schnell entwickelt habe. Aysenur sagt, sie fahre jedes Jahr heim und könne die Veränderungen beobachten. Sie nennt das Marmaray-Projekt, einen Bahntunnel unter dem Bosporus, den Erdogan im Oktober 2013 eingeweiht hat.
Ich frage, was Erdogan ihnen bedeutet. Und da passiert die Überraschung. Der 12-jährige Alperen, der mit einem Plakat am Geländer vor uns steht, dreht sich um und sagt: „Er bringt uns viel, was uns in Deutschland fehlt.“ Ich frage, was er damit meint. Und er sagt: „Liebe, miteinander auskommen, alles Mögliche eben.“
Erdogan, das wird in meinen Gesprächen deutlich, ist für viele Türken in Deutschland ein Symbol. Er steht für eine neue Türkei, für ein neues Selbstbewusstsein, für wirtschaftlichen Aufschwung, für Nationalstolz, aber auch für ein inniges Verhältnis zur Religion. Erdogan ist ein Gefühl. Er steht für Identität und Zugehörigkeit. Er gibt den Türken etwas , das sie – allen Integrationsbemühungen der Bundesregierung zum Trotz – bei uns vermissen: Anerkennung.
Dieses Erdogan-Gefühl ist so stark, dass die Kritik hintenüber fällt. Spricht man seine Unterstützer an, sind die Antworten immer die gleichen, so als hätten sich alle abgesprochen. Klingen tut das so: Die deutschen Medien verzerren das Bild. Erdogan konnte nichts für das Grubenunglück von Soma. Die Gezi-Proteste waren falsch, wie hätte die Polizei denn reagieren sollen? Die Korruptionsvorwürfe wurden von der Gülen-Bewegung lanciert (das ist ein ehemaliger Weggefährte Erdogans, mit dem er sich überworfen hat). Und sogar: Twitter wurde aus guten Gründen gesperrt. Wieder und wieder höre ich: „Erdogan ist kein Diktator, er ist ein Demokrat.“
Interessant ist, dass viele ausweichend reagieren und herumdrucksen, wenn ich frage: „Warum leben Sie nicht in der Türkei, wenn Ihnen Erdogan so viel bedeutet?“ Nun ja, höre ich, man sei doch hier in Deutschland geboren, und so gut sei die Lage in der Türkei dann doch noch nicht. Vielleicht lässt Erdogan sich aus der Ferne besser bewundern? Aber das muss nicht stimmen, hat doch seine AKP zuletzt bei der Kommunalwahl daheim weit über 40 Prozent gewonnen.
Gleich ist es 18 Uhr. Auf dem Weg zum Eingang der Arena entdecke ich ein kleines Grüppchen von Erdogan-Gegnern. Sie sind aus der Innenstadt hergekommen, wo ein paar Stunden vorher 30.000 Menschen gegen den türkischen Ministerpräsidenten demonstriert hatten. „VICDANA BETON DÖKMEYIN“ steht auf einem ihrer Plakate: „Schütte keinen Beton auf das Gewissen.“ Ein paar Erdogan-Anhänger rufen in Sprechchören herüber und bekommen Trillerpfeifen als Antwort.
Und dann bin ich drin. Die Lanxess-Arena ist bis auf den letzten Platz gefüllt, überall werden Türkeifahnen geschwenkt. Eigentlich ist das eine Veranstaltung zum zehnjährigen Bestehen der UETD. Das ist die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“, die Erdogan nahesteht.
Aber statt einer Jubiläumsfeier erlebe ich dann doch das, was alle geahnt haben: Wahlkampf. Das hier, das könnte so auch in den USA stattfinden. Wie ein Rockstar wird Erdogan angesagt, tausende Lichter blitzen auf, die Menge wogt, frenetischer Jubel, die Menschen winken und rufen, Sprechchöre skandieren seinen Namen: „Recep Tayyip Erdogan“. Emotion pur.
Erdogans Rede bringt erstaunlich wenig Neues. Er wiederholt seine bekannten Positionen, zum Beispiel die, dass die deutschen Medien das Unglück von Soma ausgenutzt hätten gegen ihn. Auffällig ist, wie lautstark die Menge mitgeht: Mehrfach ertönt ein vieltausendfacher Buhruf, als das Wort „Almanya“ fällt.
Für uns deutsche Reporter ist das ein Moment, in dem uns mulmig wird. Ein Gefühl von Fremdheit, mitten in Köln. Der Begriff „Feindseligkeit“ wäre sicher übertrieben – aber Freundlichkeit kann man diese geballte Stimmung nun wirklich nicht nennen.
Ich bin nachdenklich, als ich mit dem Fotografen Dirk nach Hause radle. Das Erdogan-Gefühl, das ich erlebt habe, ist sehr kraftvoll. Und es betrifft viele Türken. Ich mag über ihn denken, was ich will und so kritisch sein, wie ich will: Ihr Bild von ihm lässt sich durch meine Argumente nicht ändern, nicht ankratzen, nicht trüben.
Ein Eindruck bleibt am Ende bestehen: Deutschland hat im Umgang mit den Türken (und vielen anderen Bevölkerungsgruppen) etwas verpasst. Wir haben es nicht geschafft, eine Willkommenskultur aufzubauen, die auch die Herzen der Menschen erreicht. Denn sonst wäre da nicht diese Lücke. Eine Lücke, die so viel Platz lässt für Politiker wie Recep Tayyip Erdogan.
Wer sich dafür interessiert, wie Erdogan die Türkei verändert hat, kann das zum Beispiel hier nachlesen.
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