Die Entrümpelung. Eine Kölner Posse.
Montag, 26. Mai 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Die Grundschule Mainzer Straße hat ausgemistet. Dabei sind neben viel Schrott auch schöne alte Landkarten und brauchbare Möbelstücke entsorgt worden. Schulpflegschaft und Förderverein waren nicht informiert. „Meine Südstadt“ hat bei allen Beteiligten nachgefragt. Die Entrümpelung ist eine Geschichte über einen Mangel an Transparenz und Nachhaltigkeit in unserem Viertel.
50 Kubikmeter, 930 Euro
Kaum zu glauben, wie viel Musik in zwei Containern der Abfallwirtschaftsbetriebe steckt. Eigentlich wollte ich nur herausfinden, was die Grundschule Mainzer Straße alles wegwirft und warum. Die beiden riesigen Container standen tagelang vor dem Gebäude.
Wir haben uns in der Redaktion gefragt: Entrümpeln, gute Idee – aber alles einfach entsorgen? Warum nicht einiges retten, verschenken, versteigern? Nachhaltigkeit, dachten wir, geht anders. Immerhin ging es um deutlich mehr als 50 Kubikmeter, und die Container haben nach Auskunft der Stadt Köln zusammen 930 Euro gekostet.
Die Recherche hat eine unglaubliche Eigendynamik entwickelt. Zwei Wochen Marathon per Mail und Telefon durch die Kölner Bürokratie. Mit einer Menge Hürden. Die Akteure sind die Schule, das Schuldezernat und das Amt für Schulentwicklung.
„Mir blutet das Herz“
Die erste Reaktion, ungefiltert. „Mir blutet das Herz“, sagt mir Barbara Sengelhoff, die langjährige Leiterin der Grundschule. Sie ist seit dem Frühjahr pensioniert und weiß, was in den Katakomben an der Mainzer Straße lagerte. Sie stand persönlich vor einem der beiden Container.
„Da werden Schätze weggeschmissen“, findet sie. „Vor allem die alten Landkarten. Oder die Möbel. Die sind ja nicht alle kaputt. Da hätte man überlegen können, ob man die für die neuen Asylbewerber an der Koblenzer Straße oder andere soziale Einrichtungen verwenden kann.“
Angesprochen wird „Meine Südstadt“ auch von Anwohnern. Die meisten wissen von nichts. Genauso wie einige Eltern, die ich frage. Eine Südstädterin, die auf eigene Faust in einen der Container geklettert ist, berichtet: „Ich habe ein schönes Kästchen aus massivem Holz gerettet. An die anderen Kästchen kam ich nicht ran, die lagen zu weit unten.“ Ihr Resümee: „Total ärgerlich, dass das alles weggeschmissen wird.“
Ich klettere selbst die Metallstufen am Container hinauf und werfe einen Blick hinein. Das Ding ist randvoll. Da liegt viel Müll, doch da liegen auch viele Tische, die alt, aber intakt sind. Ich entdecke ein gut erhaltenes Regal – und die besagten kleinen Holzkisten. Und dann sehe ich ganz hinten die Landkarten. „Schulwandkarten“ ist der richtige Begriff. Ich erkenne sechs, sieben Stück, zusammengerollt und vom Regen durchweicht.
Einige Südstädter werden aktiv. Sie fischen ein paar Exemplare aus dem Container, und ich bekomme Fotos zu sehen: das Rheinland, in nostalgischer Schönheit, Jahrgang 1960. Oder: Eine Karte mit „Erdkundlichen Grundbegriffen“, auf der eine fiktive Welt wie Mittelerde von Tolkien zu sehen ist. Zustand: einwandfrei.
Und eine Karte der Südstadt. Genauer gesagt eine „Schulumgebungskarte“ der Grundschule Mainzer Straße. Topzustand, leuchtende Farben, und das Schulgebäude hervorgehoben. Ein kleines Stück Schulgeschichte. Die Karten taugen vielleicht nicht für den zeitgemäßen Unterricht im Jahr 2014. Aber gehören sie auf den Müll?
Die „Schulumgebungskarte“ – die Grundschule ist gelb hervorgehoben / Foto: privat
Ich schicke eine Anfrage an die Schule und an die Stadt Köln, Amt für Schulentwicklung. Die Schule antwortet sofort. Die neue Schulleiterin Tina Kroes bietet mir postwendend ein Interview für den nächsten Tag an. Klasse, denke ich. Am nächsten Morgen lässt Tina Kroes das Interview dann wieder absagen. Sie müsse in eine Vertretungsstunde, erklärt das Sekretariat.
Ich frage mehrfach nach und bitte um ein Gespräch, bevor der Container abgeholt wird. Vergeblich. Abends erklärt Tina Kroes per Mail, sie habe keine Zeit für ein Interview. Stattdessen schickt sie mir eine schriftliche Stellungnahme. Ich kann nur erahnen, was da hinter den Kulissen passiert sein muss. Offiziell erfahre ich den Grund nicht.
Schade, denke ich, denn ich werde den Eindruck nicht los, dass die Schulleiterin mir die Geschichte lieber persönlich erzählt hätte. Gern hätte ich von ihr gehört, wie es eigentlich in den Kellern der Schule aussah und was aussortiert wurde. Für die Landkarten und den ganzen Rest ist es da schon zu spät: Der Container ist im Laufe des Tages abgeholt worden.
Die schriftliche Stellungnahme von Tina Kroes klingt sehr bürokratisch. Die Schulleiterin beruft sich auf die Brandschutzverordnung. Darum habe man „Brandlasten“ entsorgt, zum Beispiel beschädigte Möbel. Das leuchtet mir ein. Außerdem ist die Rede von Gegenständen, die nicht mehr den pädagogischen Anforderungen genügen (damit dürften die Landkarten gemeint sein). Und schließlich habe man Lagerraum geschaffen.
Eigentümer ist die Stadt Köln
Juristisch ist das bestimmt in Ordnung. Bedauerlich ist es trotzdem. Eine wichtige Information entnehme ich der Stellungnahme: Alles, was in den Containern liegt, gehört der Stadt Köln. Ich bin gespannt, was man mir dort antwortet.
Wer Auskunft von den Behörden will, muss sich beim Schuldezernat eine Genehmigung einholen. Das klappt eigentlich immer. Dank Agnes Klein, der Schuldezernentin. Dieses Mal gibt es aber einiges Hin und Her zwischen Dezernat und Amt für Schulentwicklung. Ich muss mehrfach nachhaken, bevor ich überhaupt eine Auskunft erhalte. Danke an Ulrike Heuer vom Amt für Schulentwicklung, die sich beim zweiten Nachfragen wirklich Zeit nimmt.
Die erste Antwort klingt dagegen genauso bürokratisch wie die Stellungnahme von Tina Kroes. Ich lese in schönstem Amtsdeutsch, dass die Stadt in Abstimmung mit der neuen Schulleitung alte Schulmöbel „entsorgt“ hat. Weggeworfen habe man auch alte Landkarten und Bücher, weil sie nicht mehr für den Unterricht getaugt hätten und beschädigt gewesen seien.
Ein Hauch von Mittelerde: „Erdkundliche Grundbegriffe“ / Foto: privat
Ich halte fest: Die Stadt räumt ein, dass Landkarten und Bücher in den Müll gewandert sind. Auf eine Reihe anderer Fragen erhalte ich erstmal keine Antwort. Zum Beispiel auf die Frage, ob man die Entrümpelung anders hätte angehen können.
Wir sprechen in der Redaktion über den Sachverhalt. Und kommen auf den Unterschied zwischen „entfernen“ und „entsorgen“: Einig sind wir uns über das Entfernen. Niemand stellt in Frage, dass die Schule das Recht (und die Pflicht) hat, ihre Keller zu entrümpeln, um den strengen Brandschutz einzuhalten.
Aber heißt entfernen auch entsorgen? Warum nicht spontan einen Flohmarkt auf die Beine stellen? Eine Versteigerung, einen „Offenen Nachmittag“? Darauf geht Ulrike Heuer vom Amt für Schulverwaltung erst in einer zweiten Antwort ein. Ihre Behörde sei nicht zuständig und habe nicht genug Personal für solche Aktionen, schreibt sie. Zitat: „Sie können sich sicher vorstellen, dass auch die Schulleitung und der Hausmeister mit einer solchen Bürgerbeteiligung überfordert wäre, wie Sie sie vorschlagen.“
Moment. Ich habe nicht vorgeschlagen, dass jemand etwas alleine stemmen soll. Mir fallen aus dem Stegreif mehrere Ansprechpartner ein: das Gartenprojekt NeuLand, der Bauspielplatz „Baui“, das GOT Elsaßstraße. Und „Meine Südstadt“. Wir hätten einen Aufruf veröffentlicht. Und bestimmt ein paar Leute zusammengetrommelt. Was bei einem Flohmarkt übrig bleibt, kann ja immer noch getrost auf den Sperrmüll.
Darüber darf zwar nicht die Schulleiterin entscheiden, denn Eigentümer ist ja die Stadt. Aber wenn alle Akteure an der Schule geschlossen aufgetreten wären: Hätten die Behörden nein gesagt? Vielleicht hätte man sich einen der Container (und gut 460 Euro) sparen können.
„Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht“
Ich frage beim Förderverein der Grundschule nach und erfahre: Der Vorsitzende Oliver Mostert wurde nicht über die Entrümpelung informiert. Das gleiche gilt für Michaela Schuster von der Elternvertretung, der „Schulpflegschaft“. Mit ihr führe ich ein langes und vertrauliches Hintergrundgespräch. Später mailt sie eine Stellungnahme, aus der ich zitieren darf. Nein, schreibt auch sie, eine offizielle Information gab es nicht.
Als Grund nennt sie Zeitnot. Die Schulbehörde habe die Anweisung erteilt, die Brandgefahr sofort zu beseitigen. Und da habe die Schulleitung keine Wahl gehabt. Michaela Schuster macht aber deutlich: Solche Schnellschüsse müsse man fortan vermeiden. Sie schreibt, sie hätte sich mehr Zeit gewünscht, um eine Versteigerung oder eine Spendenaktion auf die Beine zu stellen. Michaela Schuster hat noch einen Wunsch für die Zukunft: Mehr Dialog, mehr Transparenz.
Zum Schluss noch ein Wort zu Barbara Sengelhoff, der ehemaligen Schulleiterin. Denn Michaela Schuster schreibt, man müsse zumindest fragen dürfen, warum sich nicht schon die alte Schulleitung um den Keller gekümmert habe. Schließlich sei der Zustand der Räume seit Jahren bekannt gewesen.
Fazit einer langen Recherche: Aus Sicht von „Meine Südstadt“ ist bei dieser Entrümpelung eine Chance verpasst worden. Eine Chance zu einer spontanen konzertierten Aktion, die mit vertretbarem Aufwand und in kurzer Zeit hätte gestemmt werden können. Einen Versuch wäre es wert gewesen.
So aber bleibt der Eindruck einer Hau-Ruck-Maßnahme, die hinter den Kulissen stattgefunden hat. Vielleicht haben Stadt und Schulleitung einfach übersehen, dass sie Teil eines Viertels sind. Teil der Kölner Südstadt eben.
PS. Wir wissen, wo sich die drei erwähnten Landkarten befinden. Sollte die Schule noch Interesse haben: Wir stellen gern den Kontakt her.
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