„Dun däm Jung noch e Brütche“
Mittwoch, 17. September 2014 | Text: Elke Tonscheidt | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Meine Düsseldorfer Nachbarin war nur einmal in der Südstadt. In ihrem ganzen Leben. Und Swaantje ist immerhin schon Anfang 40. Gebürtig aus der Nähe von Bremen, wollte sich die Musiklehrerin gut vorbereiten: Ich schwankte zwischen wirklicher Faszination und totalem Grauen, gestand sie mir.
Der kleine Schwan war in einen Düsseldorfer Karnevalsausstatter hinein geraten. Ihr Ziel: Mich zu einem echten Ausnahmetag, dem Südstadt-Veedelszug am Karnevalsdienstag, auf die Mero zu begleiten. Mit nachhaltig positiver Wirkung. Swaantje erzählt noch Monate später davon, wie liebevoll-lebenslustig man dort feiern kann. Und 2015 macht sie ihre Verkleidung in jedem Fall selbst!
Als kürzlich meine Hommage an den Kölner Süden veröffentlicht wurde, hagelte es auf Facebook nur so von Kommentaren. Das können die Kölner ja besonders gut: Ihre Meinung abgeben. Speziell, wenn es darum geht, einen Unterschied zu Düsseldorf zu machen.
Ob es zum Inhalt passt oder nicht, janz ejaal, Hauptsache, der kölsche Senf kommt dazu. So hatte ich im kommentierten Artikel nicht einen Satz zur Kriminalitätsproblematik drin, was die Südstädter jedoch nicht daran hinderte, das Thema und andere dazu munter zu diskutieren.
Sprach meine (bergische) Omma in den 90ern über Menschen, die viel reden, sagte sie: Die töttern gern. Im Rheinischen Wörterbuch heißt das übersetzt: Beisammenstehen und schwatzen. Da gab es natürlich noch keine Social Media heute ratscht man nicht nur in immer noch kultigen Kneipen über Gott und die Welt.
Heute plaudern die Südstädter eben gern auch auf Facebook: So begutachtet man in der Südstadt-Gruppe den neuen sehr passablen Kiosk am Eierplätzchen oder tauscht aus, wo es das beste Steak in der Südstadt gibt. Man hinterlässt die besten Schnappschüsse vom Rheinauhafen rund um die Kranhäuser, übrigens wirklich sehenswert, oder versucht 10 noch neuwertige Businessblusen (S/36) in gestreift, kariert und einfarbig zu verkaufen.
Den Erlös schlappe 5-10 soll das gute Stück jeweils kosten möchte die Besitzerin gerne der Tiertafel Rhein-Erft spenden. Gut, dass die Dame nicht mehr in die Hemden rein passt, wie sie selbst angibt, und zu schade findet, um sie in die Kleidersammlung zu geben.
Das kölsche Flair der Südstadt findet auch der IT- und Wirtschaftsjournalist Sven Hansel immer noch sehr anziehend. Das belgische Viertel sieht er hingegen zur juvenilen Partymeile und Hipster-Terrain verkommen. In der Südstadt sehe man prominente Ureinwohner wie Arno Steffens völlig selbstverständlich an der Theke der Ubierschänke ihr Kölsch oder Böll Bier trinken. Der Spaß hört für ihn jedoch auf, wenn Institutionen wie der Schmitze Lang dicht machten und es in Wirklichkeit niemand merkt.
Für Hansel, für den Millowitsch zweifelsohne einer der größten Kölner ist, liegt das an der fehlenden Bindung zwischen neuer und alter Südstadt. Und so gefällt es ihm, wenn kölsche Wirte wie Alexander Manek dem Veedel ihre Aufwartung machen und man hoffen kann, dass zumindest die Kernpunkte des originären südstädtischen Lebens erhalten bleiben. Das lässt sich doch herrlich diskutieren, oder?
Oder die vielen Helikoptermütter, die Doris Lang, pensionierte Lehrerin und jüngst Omma geworden, ins Auge stechen. Doris ist eigentlich immer im Kölner Süden unterwegs, ihr Lieblingsplatz: die alte Wagenhalle. Und neuerdings schwärmt sie auch gern für Geschnitten Brot, die Kaffeebar, die sich selbst als Kölns älteste Adresse für eine Lottoannahmestelle sieht und wo es u.a. leckere selbst geschmierte Schmalzstullen gibt. Die Südstadt-Mütter, die am liebsten Cappuccino trinken und mehr mit ihrem Handy statt mit ihren kids spielen, sind Doris wirklich ein Dorn im Auge. Sicher auch eine Generationenfrage, aber nur?
Was Doris an der Südstadt seit jeher liebt, sind dagegen die vielen schrägen Typen, wozu sie gern Künstler, Intellektuelle und auch Yuppies zählt, die alle zusammen die gute kreative Szene ausmachten. Doris besucht oft die Designerläden und mag es, dass sie betrieben werden von Menschen, die nicht eingebildet sind.
Daneben: Die Feier-Kultur. Wer ausgelassen, aber nicht albern in der Südstadt etwas begießen will, findet hier immer einen passenden Ort und den richtigen Grund. Karneval in der Südstadt? Ein Fest für alle Sinne, schwärmt der gebürtige Kölner Rotger Wesener, den es beruflich längst in die Hauptstadt verschlagen hat.
Legendär, phänomenal, sentimental, gepflegt, nicht alkoholisiert-prollig, überschlägt sich der Wahl-Berliner und schränkt nur ein: Ok, vier Kölsch sollte man schon verdrückt haben, denn eine gewisse temporäre Linseneintrübung hat in solchen Situationen noch nie geschadet…
Unabhängig vom Fastelovend fehlt Rotger, obwohl mittlerweile auch von der Berliner Szene überzeugt, die Domstadt grundsätzlich sehr. Vor allem das besondere Flair der Südstadt lasse sich an der Spree auch nicht ansatzweise simulieren. Nett, sagt er, sei die StäV, also das Lokal Ständige Vertretung mitten in Berlin, das mehr Touris als Exil-Rheinländer anzieht. Mehr definitiv nicht.
Was macht die Südstadt so besonders? Rotger merkt das spätestens beim richtigen, „kölschen“ Bäcker: Du kommst rein, zerknittert von der Nacht, ungewollt, aber biologisch erklärbar mürrisch und die Bäckersfrau mit dem Hätz auf dem richtigen Fleck fragt dich einfach und herzlich: „Wat willste Jung?“ (wohlgemerkt bin ich mehr als 2x3x7 alt); du gestikulierst dir ermattet ein Mandelhörnchen und ein Brötchen und hörst die Bäckersfrau zur Kollegin sagen: Dun däm Jung noch e Brütche. Nicht nur einmal hat Rotger das genau so erlebt. In Düsseldorf kriegt übrigens maximal ein niedliches Kleinkind vom Bäcker ein Brötchen geschenkt und das auch nur, wenn es lächelt…
Und die Moral von der Geschichte? : Ja, met dingem Parfüm uss Ashalt un uss Schweiß woorste wirklich do selfs, och wenn de hück jähn so deiß, als wöör dir alles dat peinlich. Sven Hansel zitiert gern Wolfgang Niedeckens Liedzeile aus den 80ern (sic!), die auch heute so falsch nicht sei, aber vom Image eines Prenzlauer Bergs ist die Südstadt hoffentlich noch lange entfernt.
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