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Gesellschaft

Der Zeit um 100 Jahre voraus

Dienstag, 17. März 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: Lothar Wages

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Ich denke, dass wir heute zusammen ein Stück Geschichte schreiben werden“. Mit diesen Worten begrüßte die Imamin Rabeya Müller am Sonntag die knapp 400 Besucher in der überfüllten Lutherkirche. Und Recht hatte sie, weil erstmalig in Köln Christen und Muslime gemeinsam einen Gottesdienst feierten.

Damit hat Pfarrer Hans Mörtter Neuland betreten. Ohne den Segen der Evangelischen Landeskirche, wie er betonte. „Es sind nur wir, die Bekloppten in der Kölner Südstadt, die das so machen. Die Gemeinde der Lutherkirche und die Liberale Muslimische Gemeinde stehen hinter dem, was wir tun. Weil es an der Zeit ist, einander die Hände zu reichen, Seite an Seite nach dem Frieden zu fragen, nur er ermöglicht die Zukunft. Alles andere wird weiterhin Hass, Terror, Krieg und Fanatismus gebären.“

Und so hörten Christen und Muslime Seite an Seite das Matthäus-Evangelium, auf Arabisch vorgetragene Koran-Suren, und sie sangen auch gemeinsam. Eine alte islamische Weise, die schon beim Einzug des Propheten in Medina gesungen wurde ebenso wie traditionelle christliche und jüdische Lieder.

Mörtter und Müller waren sich über die unterschiedlichen Gottesvorstellungen einig, fokussierten sich in ihrem Predigtgespräch aber auf ein gemeinsames Element: das Bild des barmherzigen Gottes, das dem Christentum und dem Islam innewohnt. „Wer sind wir, dass wir unbarmherzig sein wollen, wenn Gott barmherzig ist?“ so die rhetorische Frage von Rabeya Müller. „Uns ist es einfach wichtig zu sagen, Flüchtlinge in Köln sind unsere Brüder und Schwestern. Und das ist die Herausforderung unserer Zeit, der wir uns mit unseren unterschiedlichen Vorstellungen und Gemeinsamkeiten stellen wollen.“, fügte Hans Mörtter hinzu. Sehr bewegend trug darauf der muslimische Flüchtling Idres Adam das „Allahu akbar“ vor.

Bevor Imamin Müller zum Brunch einlud, den die Liberale Muslimische Gemeinde vorbereitet hatte, gaben sie und Pfarrer Mörtter den Anwesenden noch etwas mit auf den Weg. Rabeya Müller: „Es ist ganz viel Emotion dabei, wenn wir von Barmherzigkeit reden. Ich glaube aber, dass man seinen Kopf darüber nicht vergessen darf. Deshalb würde ich Ihnen gerne meine Lieblingsstelle aus dem Koran nennen: Gott ist wütend über diejenigen, die ihren Verstand nicht benutzen.“ Hans Mörtter: „Wir hatten mal eine 82jährige Bayerin hier zu Besuch. Die hat dann zu ihrer Tochter gesagt: Diese Kirche ist ihrer Zeit um 50, nein um 100 Jahre voraus!“

Auch das letzte Wort lag bei Pfarrer Mörtter, der daran erinnerte, wie dringend Menschen mit Know-how für die Flüchtlingsarbeit gesucht werden. Es fehlen noch Dolmetscher, Ärzte, Rechtsanwälte. Menschen, die sagen: „Einen Teil meiner Freizeit stelle ich zur Verfügung, obwohl die Kassen oder andere das nicht bezahlen.“
„Meine Südstadt“ sprach im Anschluss an den Gottesdienst noch mit Rabeya Müller und Hans Mörtter.

Meine Südstadt: Frau Müller, es ist ja immer noch eine Seltenheit, dass eine Frau Imamin ist. Woran liegt das?
Rabeya Müller: Es hat viel damit zu tun, dass sich das im Laufe der Jahrhunderte sehr patriarchalisch entwickelt hat. Meistens waren nur Männer in dieser Domäne tätig. Da geht es auch um Machtverhältnisse, um die Frage: wer hat die Deutungshoheit über den Koran? Aber in der Frühzeit des Islam gab es immer auch Frauen, die sowohl vorgebetet, als auch Männer und Frauen unterrichtet haben. Viele Muslime scheinen das zu vergessen. Ich finde, es ist an der Zeit, sich wieder damit zu beschäftigen.

Herr Mörtter, wie kam es zu diesem gemeinsamen Gottesdienst?
Hans Mörtter: Wir sind ja schon lange im Dialog mit der muslimischen Gemeinde. Die Gemeinde trifft sich hier regelmäßig, wir haben gemeinsame Gesprächsabende gestaltet. Das hat sich so entwickelt.

Was ist Ihnen heute wichtig, was wollen Sie zeigen?
Rabeya Müller: Zum einen, dass wir zusammen beten können. Dass es kein großes Hindernis ist in der Realität, obwohl wir auf der theologischen Ebene noch sehr viel darüber diskutieren müssen. Zum anderen, dass es darum geht, gemeinschaftlich Probleme anzupacken und friedlich zu lösen.

Hans Mörtter: Die Zeit ist einfach da, dass wir uns zusammenschließen. Heute war eine ganze Reihe christlich-muslimischer Paare da. Ich wurde auch gefragt, ob es möglich ist, eine christlich-muslimische Taufe zu machen. Das gibt es einfach nicht. Und, wie gesagt, es ist an der Zeit, sonst werden die Fundamentalisten, die Engdenker und der Hass siegen. Wenn wir nicht die Welt miteinander in den Blick nehmen, aus der Sicht des barmherzigen Gottes, dann wird diese Welt explodieren.

Frau Müller, Herr Mörtter, danke für diesen ganz besonderen Tag!

Text: Alida Pisu

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