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Gesellschaft Kultur

Kommt drauf an, was Du für Karten hast…

Mittwoch, 20. Mai 2015 | Text: Judith Levold | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

…und: Verlieren kann man immer!
Skatbrüdern wird das vertraut sein und sagen tut es ein Obdachloser, pardon, ein Obdachlosen/Sozialarbeiter-Darsteller. Während der Generalprobe von „Stadt der Schildkröten“ leitet er die Besucher aus einer stockdunklen, geräumten Wohnung, in der nur die Taschenlampe der Gerichtsvollzieherin und das Glimmen seiner Zigarettenglut die Verlassenheit und den Stapel ungeöffneter Briefe schwach erleuchten. Er bringt die Stadt-der-Schildkröten-Teilnehmer zur nächsten von gut zehn Stationen der Route und erzählt dabei von seinem gescheiterten Freund Bene, der mal Arbeit, Erspartes, Familie und große Träume hatte und der dennoch auf der Straße landete.

Der Sommerblut-Festivalbeitrag von Futur3 führt immer vier Zuschauer pro Vorstellung durch die Südstadt, auf den Spuren von Menschen, die alles verloren haben, zuletzt ihr Zuhause.
„Theatrales Abenteuerspiel nach den Regeln der Straße“ nennen die Macher um Regisseur Andre Erlen ihr Stück, auf das man sich einlassen muss und das mit Gewohnheiten des Theaterkonsums bricht: Keine klassische Bühne, kein Sitzen und einfach nur Zuschauen. Stattdessen: mitten auf der Straße laut von der toughen Gerichtsvollzieher- Darstellerin belehrt zu werden, Überraschung, Staunen, Befremden und auch Unwohlsein. Und: Sich begafft fühlen, ohne wirklich gesehen zu werden. Aber zurück auf Anfang.

Es ist 16:30h, Fotografin Tamara und ich haben einen Schildkröten-Stempel auf den Handrücken bekommen und starten mit zwei anderen „unsere“ Vorstellung an der Lutherkirche: Ein Schauspieler als Geistlicher stimmt uns im Gemeindesaal ein, erzählt die Geschichte vom Heiligen Benedict Josef Labre, dem Schutzpatron der Obdachlosen. Fordert uns Süßigkeiten lutschend zu Barmherzigkeit auf, für die der „Polizist“, der unsere Gruppe am Hinterausgang übernimmt, nur Spott und seine Realitätserfahrung übrig hat und uns anblafft „Habe täglich mit denen zu tun, mit der Wirklichkeit von denen!“. Also der von Obdachlosen oder solchen, die es nach einer Zwangsräumung, bei der die Polizei zum Einsatz kommt, werden. Wir wandern durch die Südstadtstraßen, immer wieder kurze Stopps auf dem Bürgersteig, dabei Geschichten von Vermieter Lautstark und Mieter Pechstein oder Kurz-Vorträge zur Rechtslage bei Wohnungsräumung. Allein zwanzig davon gibt es täglich in Berlin, erfahren wir, beargwöhnt von Passanten, die das Ganze nicht einzuordnen wissen.

 

Verlieren kann man immer!

 

In einem Vorgarten auf der Lothringer Straße liegen Gegenstände, die wir aufzuheben befohlen bekommen: laminierte Mystery-Karten, Schildkröte, Hase, Heilerin und andere sowie ein Schlüssel. Uns „übernimmt“ die Schauspielerin, die eine Gerichtsvollzieherin mimt und uns weiter führt, den Karolingerring überquerend und aus ihrem Arbeitsalltag rezitierend. „Hopphopp“ treibt sie uns mit jedem vollendeten Satz an und läuft schnellen Schrittes voran, das aufgenähte Hasenschwänzchen an ihrem Kostüm wippt dabei. Es ist Teil ihres „dicken Fells“, dass sie sich im Umgang mit Zwangsräumung und Obdachlosigkeit zulegen musste, denn was hilft da schon? „Man muss ruhig bleiben und trotzdem seine Sache durchziehen!“ verteidigt sie sich selbst und wirbt um unser Verständnis. In eine finstere, geräumte und verwahrloste Wohnung führt sie uns, wo uns der oben Erwähnte begegnet, um uns von dort zu weiteren Stationen zu bringen: Im Johanneshaus auf der Annostraße begegnen wir Obdachlosen und denen, die gewöhnlich mit ihnen arbeiten, von Schauspielern auf das Wesentliche reduziert: Ich erklär´ Dir die Regeln, Du hältst Dich dran.

 

„Man muss ruhig bleiben und trotzdem seine Sache durchziehen!“

Ich bin irritiert, will zeitgleich Notizen machen und teilnehmen, fühle mich unter Druck gesetzt, als mich ein schrill verkleidetes „ärztliches“ Empfangsteam in einen kleinen Untersuchungsraum verfrachtet und distanzlos einem surrealen Check unterzieht: Hände an die Wand, „Ich untersuche jetzt ihren Rücken!“, „Ja, klassisches Bild, nur ein kleiner Panzer!“ tuschelt es hinter mir, ob ich mich schäme, über meinen vermuteten Ungezieferbefall, Hautkrankheiten und sonstig Unappetitliches zu sprechen? Abgefertigt und wieder ´rausgeschmissen, in die Arme eines bizarr ausstaffierten „FSJlers“ treffe ich Fotografin Tamara wieder, von der ich zuvor überstürzt getrennt wurde – sie war in eine Kleiderkammer geschoben worden inzwischen und nun folgen wir dem jungen Zyniker, der uns um Zigaretten anschnorrt, in die gut besuchte hauseigene Kantine zur Tarot-Frau. Mit der sollen wir spielen nach undurchschaubaren Regeln – das Karten-Thema wird als Motiv durchgezogen und wir bestehen darauf, zusammen gewinnen oder verlieren zu dürfen bevor es weiter geht, als sie uns des Raumes verweist…

Um nicht zu viel zu verraten, nur so viel: am Ende der anderthalbstündigen Tour landen wir vor dem Vringstreff. Wir waren draußen und drinnen, mussten mitspielen, die Klappe halten, uns herumschubsen lassen, es war befremdlich, komisch, verunsichernd, kurzum: Wir haben den blassen Schimmer einer Ahnung bekommen, wie es sich wohl anfühlen mag, nach Verlust von Arbeit, Status, Familie und zuletzt Wohnung in einer „Einrichtung“ zu landen. Ein Hase zu sein unter Schildkröten, sich fremd zu fühlen in unserer gewohnten Welt, die plötzlich die Welt der anderen ist.
Tamara und ich schauen uns verstört, berührt und erleichtert an: Intensiv, stark, neu. Hingehen! Unbedingt reservieren, die Platzzahl ist begrenzt.

 

„Die Stadt der Schildkröten“

Futur3 – Regie: Klaus Fehling und André Erlen
Start: Lutherkirche / Martin-Luther-Platz / Köln-Südstadt / 0221-384463
Premiere: Mittwoch 20.05.2015, ab 16:20, weitere sieben Auf-Führungen in 20 Min. Takt, Donnerstag und Freitag, 21. und 22.05. ebenso ab 16:20  

 

Mehr im Netz
2015.sommerblut.de/futur3-klaus-fehling-und-andre-erlen-12/

Aufruf!

Text: Judith Levold

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