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Kultur

Kunst für alle

Samstag, 18. Juli 2015 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Jörg-Christian Schillmöller

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Gut, dass Sophia Bauer selbst da ist. Sonst würde man ihr Buch leicht übersehen. Es ist klein, blau und hat nur wenige Seiten. Es liegt auf einem zierlichen weißen Stehpult, auf dem auch weiße Stoffhandschuhe liegen, zum Anfassen. 

 

Das Buch gibt es nur einmal. Es ist ein Kleinod, so hat das jedenfalls früher geheißen. In dem Buch stehen Wörter, auf die Kurt Schwitters („Ursonate“) stolz gewesen wäre: „dü-dü-dü-düi“ und „quäwäg“ zum Beispiel. Oder „whii-di-li“. Sophia Bauer mag besonders gern „wulla wulla wulla“. Das ist der Ruf des Schmuckreihers. Der in Deutschland aber schon lange nicht mehr lebt.

 

Für ihr Buch hat die Studentin 26 Vogelarten ausgewählt, die es in Deutschland nicht mehr gibt. „Die sind alle ausgeflogen“, sagt sie. Auf jeder Buchseite steht nur der Ruf des Vogels – übersetzt in Buchstaben. So umgeschriftet, dass jeder es lesen kann. „Wie das geschrieben wird – darüber herrscht in Deutschland Konsens“, sagt Sophia. „Also wie in der deutschen Politik“, meine ich. „Ja“, sagt sie, „aber in den USA wird der Ruf des gleichen Vogels vielleicht ganz anders geschrieben.“ 

 

Sophia ist im vierten Semester, sie macht das „grundständige Studium“ an der KHM, das heißt, sie studiert „Mediale Kunst“. Neun Semester dauert das Studium, es endet mit einem Diplom. Das Buch mit den Vogelstimmen, das war für Sophia eine „konzeptuelle Übung“. Ihr Freund hat Wurzeln in Kenia, also war sie dort mit ihm und seinem Bruder auf Safari, und Sophia musste immer nachschlagen. Und da herrschte dann zwischen den dreien nicht immer Konsens: Die Vögel, die sie sahen, waren eben nicht immer einwandfrei zu bestimmen.

 

 

Es ist Samstagnachmittag, es ist Sommer, und die Kunsthochschule für Medien hat geöffnet. Das hat sie schon das ganze Wochenende – und noch bis Sonntagabend (18. Juli). Jetzt gerade sitzen im Innenhof Menschen und trinken Schorle im Sonnenschein. Es ist eine freundliche, eine offene Stimmung.

 

Derweil zittern unten im Keller 1.300 Blumen aus feinen Metalldrähten auf einer Platte aus Plexiglas. Die Platte wird von einem kleinen Motor in Bewegung gehalten,Vibration stimmt wohl eher. Dazu blinken Leuchtdioden in der Platte. Es ist dunkel im Raum, aber dank der Dioden werfen die Blumen trotzdem einen Schatten an die Wand. Der Schatten sieht aus wie eine Wiese, es ist ein zarter, ein zerbrechlicher Anblick. Das Objekt von Dandan Liu heißt „Silbergarten“.

 

Einen Kellerraum weiter rumpelt es, unregelmäßig. Es klackert, es kracht, dann rumpelt es wieder. Das ist die Diplomarbeit von Youngjik Jung: Zwei ovale Steine liegen auf einer schrägen, runden Scheibe. Die Scheibe dreht sich, und die Steine rollen ein Stück. Dabei prallen sie aufeinander, mal lauter, mal leiser, mal gar nicht. Für Youngjik Jung ist das ein Bild für unser Leben, für den Kontakt zwischen Menschen. Mal knallt es, mal nicht. Mal gibt es mehr, mal weniger Kollateralschaden. Botschaft angekommen.

 

 

Zwischendurch ins Kino. Direkt um 14 Uhr läuft ein sehr aufwändig gemachter 19-Minüter: „Alejandro Astar ist der Entertainer“. Nostalgisches Ambiente, ein bisschen wie in den Filmen von Helge Schneider: eine vergessene Welt in Brauntönen, wobei das grüne Telefon schon Tasten zum Tippen hat. Bastian Klügel hat einen Film gedreht über ein Casting für Entertainer. Den Entertainer spielt Alex Alicke, der auch im wahren Leben Entertainer ist. Im Film vermischen sich Traum und Wirklichkeit. Zwei Jazzmusiker und eine hinkende Taube spielen eine Rolle, und Alejandro Astar kriegt das Casting nicht hin. Applaus am Ende. es sind 70 Leute im Saal, viel für einen sonnigen Sommernachmittag.

 

Um 16 Uhr läuft ein sechsminütiger Zeichentrickfilm, „Cachorro loko“. Das heißt auf Portugiesisch „verrückter Hund“, aber so heißen auch die Motorradkuriere in Brasilien und insbesondere in São Paulo. Die „cachorros lokos“ schießen durch die Reihen von Autos, die im Stau stehen. Der Film ist von Igor Shin Moromisato, der in São Paulo geboren wurde. Eigentlich wollte er Motorräder in Hunde verwandeln, als 

Zeichentrick-Metamorphose. Aber dann dachte er sich: Eigentlich sind die wahren Verrückten die Leute in den Autos, die den Stau ertragen müssen. Also werden die Fahrer in seinem Film zu Hunden. Schlicht und schön animiert hat er das. Kurz und witzig.

 

Und so ist der „Rundgang“ 2015 an der KHM: Menschen geraten in Filme, bleiben dort hängen oder nicht, gehen durch Innenhöfe, steigen Treppen hinunter in Keller und wieder hinauf. Und stoßen immer wieder auf Werke, die mal mehr, mal weniger, mal gar nicht berühren. Film, Ton, Skulptur, Malerei, Grafik, Hologramm, Installation: Die Bandbreite ist hoch, viele Studenten sind selbst da und erläutern ihre Werke. So wie Sophia Bauer, mit ihrem kleinen, blauen Buch, in dem nur diese herrlichen Wörter stehen wie „wäi“ und „whii-di-li“.

 

 

Noch bis Sonntagabend läuft dieser Tag der offenen Türen (und Keller). Am Sonntag gibt es noch ein paar filmische Akzente: „POETRY/FILM“ beginnt um 12.30 Uhr, da geht es um die Verfilmung von Gedichten, die junge Lyriker aus NRW geschrieben haben. Am Sonntag läuft dann abends auch ein Film, der schon im Kino zu sehen war: „Am Kölnberg“, eine Langzeit-Dokumentation von Robin Humboldt und Laurentia Genske über den Hochhauskomplex in Meschenich. Läuft um 20 Uhr.

 

Alle Informationen über den „Rundgang 2015“ der KHM gibt es hier:

 

www.rundgang.khm.de

(Karin Demuth, Ausschnit aus „High Speed“ (2015), Cyanotopie auf Baumwolle www.aquamiserable.org)

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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