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Kultur

Grölen, saufen, lallen

Mittwoch, 20. Januar 2016 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Screenshot YouTube "Alaaf You

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Jetzt im Kino: „Alaaf You. Eine Stadt dreht durch“. Karneval aus der User-Perspektive.
 
Scheinbar wird das Vorglühen für die närrischen Tage auch im Kino zur Tradition.  Versuchte im vergangenen Jahr kurz vor der Eröffnung des Straßenkarnevals der Film „Karneval! Wir sind positiv bekloppt“ dem Rest der Nation das Wesen des eigentümlichen rheinischen Brauchtums zu erklären, geht diesmal eine weitere Produktion mit ähnlichem Ziel an den Start. Die Machart von „Alaaf You. Eine Stadt dreht durch“ ist allerdings gänzlich anders. Womöglich inspiriert durch Kevin Macdonalds You-Tube-Projekt „Life In A Day“ riefen die Filmemacher Baris Aladag und Eric Benz Menschen in Köln und Umgebung dazu auf, ihren eigenen Karneval  zu filmen. Ohne jegliche Vorgaben inhaltlicher oder ästhetischer Art. Die Resonanz war beachtlich. Am Ende kamen rund 500 Stunden an Bewegtbildern zusammen, die die Amateur-Filmer einsandten. Neudeutsch heißen so entstandene Dokumentationen „user generated“ und die Idee dahinter hat ja eigentlich Charme. Wo ein Großteil des Jungvolks auch während der Tollen Tage ohnehin ständig mit dem Handy im  Anschlag unterwegs ist, hätte das Ganze einen originellen, vielleicht sogar unterhaltsamen Bilderbogen aus der karnevalistischen Binnenperspektive ergeben können. Und es geht auch gut los. Da bewegt sich die Kamera gemächlich aber unaufhaltsam zu nächtlicher Stunde über die Zülpicher Straße und nimmt Jecken ins Bild, die rauchend vor Kneipen stehen, Arm in Arm über die Straße ziehen oder nicht mehr ganz taufrisch auf dem Bordstein hocken. Das hat etwas Melancholisches, ist von origineller Musik unterlegt und sieht so professionell aus, dass es vermutlich von den Filmemachern selbst gedreht wurde. Doch nach diesem Vorspann geht’s mächtig bergab.

 

Foto: Screenshot YouTube „Alaaf You“ / Camino Filmverleih

So besteht ein Großteil des Films aus verwackelten Bildern von öffentlichen Großtreffen wie der Eröffnung an Weiberfastnacht und grobkörnigen Schnipseln aus verräucherten Kneipen, wo nicht mehr ganz nüchterne Jecken Kommentare wie „Ist das geil!“ abgeben. Belanglose Karnevals-Selfies auf Promille-Basis. Daneben gibt es wenig überraschende Bilder vom Rosenmontagszug, Backstage-Sequenzen aus Sitzungssälen, Aufnahmen vom Besuch des Dreisgestirns bei der Kanzlerin und von den einschlägig bekannten Gute-Laune-Kapellen in ihren Tourbussen. Bilder, wie sie der WDR in seinen döseligen Karnevalsreportagen Jahr für Jahr zu bieten hat. Neben solchen Momentaufnahmen gibt es ein paar Protagonisten, die immer wieder auftauchen. So etwa der Narr, der das Treiben mit pseudophilosophischen Ansichten überhöht oder die Englisch sprechende Ausländerin, die nicht versteht, warum die Jecken sich schon am frühen Morgen Alkohol einpfeifen oder die Jungfrau ein Mann ist. Originelle Frage. Hat man ja noch gar nicht gehört. Da ist man schon überaus dankbar für Sequenzen, in denen bei einer Blindensitzung die Besucher ehrfüchtig die Tollitäten abtasten oder eine betagte Seniorin in ihrer Wohnung allein vor dem Fernseher den Rosenmontagszug verfolgt und sich dabei ein paar Kölsch gönnt.

Nicht zuletzt kranken all die mehr oder minder chronologisch arrangierten Filmschnipsel daran, dass ihre Amateure sich überwiegend nur an den Haupt-Feiertagen an den bekannten Hot Spots herumgetrieben haben. Von Weiberfastnacht ist man über ein bisschen Geisterzug und Rosenmontag auch schon gleich bei den Nubbelverbrennungen. Bilder von Feierlichkeiten in den Vororten fehlen ebenso wie solche von den optisch reizvollen Zwischentagen, wenn im Bussen und Bahnen wie selbstverständlich Kostümierte neben Menschen in Zivil sitzen, die auf dem Weg von der Arbeit sind. Zudem bleiben die Schattenseiten der Tollen Tage mit Wildpinklern, Schlägereien und komatös Volltrunkenen komplett außen vor. Das mag mit Persönlichkeitsrechten zu tun haben, die kaum zu bekommen gewesen sein dürften, wird aber offiziellen Unterstützern des Projektes wie dem Ex-OB und Festkomitee des Kölner Karnevals ganz recht sein.

 

Foto: Screenshot YouTube „Alaaf You“ / Camino Filmverleih

Rätselhaft bleibt auch, wie Sänger Clueso in den Film kommt, der verkleidet als Straßensänger durch den Karneval zieht und schließlich noch eine Audienz bei Wolfgang Niedecken hat. Und der Kölsch-Barde wundert sich, dass „Verdammt lang her“ es in den Kneipen inzwischen zum Karnevals-Hit gebracht hat. Dabei gehe es darin doch um eine höchst persönliche Aufarbeitung seines schwierigen Vaterverhältnisses. So läuft das eben, Herr Niedecken, wenn man derartige Intimitäten in musikalische Gassenhauer mit Mitgröl-Refrain verpackt. Vermutlich wundert sich Bono auch noch immer, dass auf U2-Konzerten bei „Bloody Sunday“ die Massen nicht in ehrfürchtiger Andacht verharren. Wie Niedecken und Clueso überhaupt in den Film kommen, bleibt gänzlich rätselhaft. Haben sie sich selbst auf den Aufruf gemeldet, wurden ihre Auftritte doch eher arrangiert und wer hat sie gefilmt? Fragen, letztlich so belanglos wie der ganze Film.

 

 

„Alaaf You. Eine Stadt dreht durch“ startet am Donnerstag (21.01.2016) in den Kinos, auch in der Südstadt Kino Odeon.

Text: Reinhard Lüke

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