Worum handelt es sich?
Dienstag, 27. September 2016 | Text: Alida Pisu | Bild: Barbara Siewer
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Wer einen Kleiderbügel als Mikrofon benutzt und Sätze wie: Das Zählen fängt vor dem Zählen an spricht, der kann nur gaga, pardon: dada sein. Um Dada und drei der bekanntesten Dadaisten, nämlich Marcel Duchamp, Hugo Ball und Emmy Hennings, dreht sich alles in der absurd-komischen Bühnen-Collage 100 JAHRE DADA – Duchamp/Ball/Hennings. 100 Jahre nach der Geburtsstunde des Dada im legendären Cabaret Voltaire in Zürich wird er im Theater am Sachsenring zu neuem Leben erweckt. Und es gelingt ihm, was ihm bereits vor 100 Jahren gelang: unsere Vorstellungen von der Welt zu hinterfragen. Ist sie wirklich so, wie sie zu sein scheint? Oder könnte sie auch anders sein: gaga di bumbalo bumbalo gadjamen?
Die locker zusammenhängenden Szenen erzählen in Rückblenden Episoden aus dem Leben der Protagonisten. Etwa die Ankunft Emmy Hennings (Signe Zurmühlen) am Kölner Hauptbahnhof, abends um 6. Erst ein Dom-Besuch, natürlich. Und das Nachdenken über die Frage, worum es sich handelt. Nicht um das Glück. Vielleicht um das Leben, das täglich neu erworben werden muss. Wohl wahr. Mit gerade einmal 42 Pfennig in der Tasche betritt sie das Cafe zur ewigen Lampe, bildet sich ein, aufzufallen und angestarrt zu werden. Während sie über ihre seelischen Nöte und gelben Strümpfe räsoniert, bleibt der Kellner (Anna Möbus) geschäftsmäßig kühl. Herrlich, wie schnell und einfach sich eine Zeitungsseite in die Speisekarte oder in eine Tasse Kaffee verwandeln kann. Das ist DADA!
Ebenso schnell und einfach verwandeln sich Möbus und Zurmühlen in die unterschiedlichen Charaktere. Es ist viel nackte Haut zu sehen, mehr noch aber nur zu erahnen, wenn sie von einem Kostüm ins nächste schlüpfen. Zärtliche, geradezu poetische Szenen wie die der ersten Begegnung zwischen Hugo Ball und Emmy Hennings, bei der man nur die beiden Gesichter wahrnimmt, wechseln sich ab mit einem mechanisch vollzogenen Geschlechtsakt oder etwa auch mit einer Demonstration in Kunstgeschichte: Anna Möbus mimt Hugo Balls historischen Auftritt als Magischer Bischof im Cabaret Voltaire. Man kann sich lebhaft ausmalen, wie der gewesen sein muss und wie das Publikum reagierte, als es Ball zuschaute, der sich in ein kubistisches Kostüm gezwängt hatte und sein berühmt gewordenes Lautgedicht Karawane erstmals rezitierte. DADA was born und ist bis heute nicht tot zu kriegen!
Marcel Duchamp (Anna Möbus), einer der schillerndsten Wegbereiter der modernen Kunst, der Dada maßgeblich inspirierte, darf in dem weiten Bogen, den Hannelore Honnen (Textfassung) und Joe Knipp (Inszenierung) spannen, natürlich nicht fehlen. In seinem Leben findet sich alles, was wir lieben und was Menschen unsterblich macht: Ablehnung seiner Arbeit, Skandale, visionäre Schöpfungen und viele Affären mit schönen Frauen. Hannelore Honnen kreiert aus Originaltexten Duchamps Szenen, die wichtige Stationen für ihn waren. Wie etwa jene, in denen er die Ablehnung seines Werkes Akt, eine Treppe herabsteigend, durch einen Pariser Salon thematisiert. Schlagartig berühmt (und viel geschmäht) wurde das Bild ein Jahr später, als es in New York einen Skandal provozierte. Aber. Künstler leben gut von Skandalen, die sich in Triumphe verwandeln! Hübsch anzusehen auch, wie Duchamp sich vergebens bemüht, seine Hand aus einer Kiste zu befreien, während er zu einer Journalistin sagt: Ich möchte die Dinge mit dem Geist so erfassen, wie der Penis von der Vagina erfasst wird. Tja, die kann manchmal ganz schön verschlingend sein – oder vielleicht ist das auch nur die Urangst der Männer
Anna Möbus und Signe Zurmühlen gelingt es mühelos, sich unablässig zu häuten und in jeder neuen Haut eine andere Figur darzustellen. Vom Zuhälter bis zum bezaubernden, jungen Mädchen, das von der Liebesbeziehung ihrer Mutter zu Duchamp erzählt: man hört und sieht ihnen mit Vergnügen zu, man liebt und leidet mit ihnen. Und man hat vor allem viel Freude an diesem dadaistischen Abend, der zu neuer Sicht des Alltäglichen ermuntert. Dada for all ein bisschen Verrücktheit und die Welt wäre schöner und bunter!
Worum es sich handelt? Diese Frage beantwortet die Inszenierung nicht. Und das ist auch gut so. Denn wie heißt es im Stück: Irgendwann wird man alles einmal müde, selbst die Glückseligkeit.
Wer Dada liebt, für den ist die künstlerische Hommage 100 JAHRE DADA – Duchamp/Ball/Hennings ein Muss.
100 JAHRE DADA – Duchamp/Ball/Hennings
Textfassung, Bühne und Kostüme: Hannelore Honnen; Inszenierung: Joe Knipp
Mit Anna Möbus und Signe Zurmühlen
Theater am Sachsenring, Sachsenring 3, 50677 Köln
Die nächsten Termine: 29., 30. September, 3., 4., 5. November 2016
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