Her mit dem BürgerInnen-Ticket und weniger Autoverkehr
Montag, 8. Mai 2017 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten
Gunda Wienke, Jahrgang 1969, ist Direktkandidatin von DIE LINKE für den Landtag NRW im Wahlkreis 13 (Köln I), also im Stadtbezirk, Rodenkirchen, in Innenstadt, Altstadt Süd, Neustadt Süd.
Sie ist als sachkundige Einwohnerin im Verkehrsausschuss und wünscht sich, dass Köln sich von einer autogerechten Stadt zu einer lebenswerten Stadt entwickelt. Sie setzt sich für den fahrscheinlosen ÖPNV und bessere Bedingungen für Radfahrer und Fußgänger ein.
Mit Mann und zwei Kindern wohnt die Diplom-Regionalwissenschaftlerin Lateinamerika in der Innenstadt und arbeitet als Journalistin und Redakteurin.
Meine Südstadt: Warum sollen BürgerInnen aus der Südstadt Dich wählen??
Gunda Wienke: Der schöne Kölner Süden bietet viele spannende und gute Themen. Verkehrlich, um einige zu nennen: Eifeltor, da ist die zweite Brücke über den Rhein, der Hafen. Themen, die nicht nur für Köln, sondern landes-, gar bundesweit von Bedeutung sind. Der Kölner Süden ist vielfältig. Es gibt Brennpunkte, wie den Kölnberg. Ich hatte überlegt, im Mai eine Ghetto-Tour anzubieten; mit dem Rad quer durch den Süden. Die meisten denken bei Ghetto an den Kölnberg. Ist aber nicht viel mehr der Hahnwald das Ghetto? Eine Einfahrt, eine Ausfahrt. Die Tour geht von der Südstadt aus nach Meschenich durch den Hahnwald zurück in die Südstadt, die ja ein Mikrokosmos für sich ist und im Gegensatz zu vielen anderen Kölner Veedeln wirklich eine Aufenthaltsqualität bietet – mit Plätzen, Kneipen, Cafes. Das ist in vielen anderen Stadtteilen so nicht der Fall.
?Ja, die Südstadt ist so schön und multikulti, aber was ist mit der Gentrifizierung und sozialem Wohnungsbau hier?
?Gunda Wienke: Ich bin jetzt nicht so ein Experte wie Kalle (Kalle Gerigk wurde 2014 im Agnesviertel zwangsgeräumt, und ist seitdem landesweit für wohn-politische Themen bekannt, Anm. der Red.). Ich stütze mich beim Thema Wohnen auf sein Wissen und die gute Arbeit unserer Fraktion. Zudem bin ich froh, dass Kalle mit von der Partie ist, der bei Recht auf Stadt mitmacht. Köln braucht gute, bezahlbare Wohnungen. Es ist über Jahre nicht genug gebaut worden. Es wäre durchaus sinnvoll über eine zweite öffentliche Wohnungsbaugesellschaft nachzudenken. Alle sind einig, dass gebaut werden soll. Nur: Wo? Es kann nicht auf Kosten von Grünflächen gehen. Die brauchen wir in der Stadt dringend. Stichwort: Lebensqualität, Gefahr von Hitze-Inseln und ähnliches. Zudem kann es nicht sein, dass die Leute, die bauen, sich aus der Verantwortung stehlen. Das kooperative Baulandmodell das 30 Prozent sozialen Wohnungsbau vorsieht, muss eingehalten werden. Noch gibt es zu viele Schlupflöcher, wo sich Investoren aus der Verantwortung stehlen können. die LINKE hat einen Antrag im Rat eingebracht, um das zu verhindern. Auf Landesebene fehlen ebenfalls Wohnungen. Rund 100.000. Auch hier muss mehr gebaut werden?.
Wenn gebaut wird, werden auch viele kleine Wohnungen gebaut. Doch in den letzten zwei Jahre sind besonders viele kinderreiche Familien hierhergekommen. Wo sollen die wohnen??
GW: Es muss schneller und leichter gebaut werden. Gern wird das komplizierte Baurecht vorgeschoben, wenn es nicht vorangeht. Ich liebe Architektur und weiß, dass man gut und schnell und flexibel bauen kann. Das Einfamilienhäuschen, wo man nur mit dem Auto hinkommt, halte ich für überholt. Da werden dann zwei Kinder großgezogen, mit dem SUV hin- und her gekarrt. Irgendwann sitzen die Eltern allein dort, können nicht mehr Auto fahren und wollen zurück in die Stadt. Das Haus rottet vor sich hin, keiner will es haben. Familien wollen in die Stadt, aber es wird am Bedarf vorbei gebaut. Im Zusammenhang mit den Flüchtlingen die kamen, wurde deutlich: Wir haben nicht ein Flüchtlingsproblem, sondern ein Wohnungsproblem. Jahrzehntelang wurde nichts gemacht und jetzt auf einmal wird es sichtbar. Ganz deutlich auch zu sehen bei den Schulen. Die Kinder werden zusammengepfercht. Das die Stadt wächst ist klar, wie reagiert die Verwaltung darauf? Nicht gut. Was im Bauamt abläuft, konsterniert mich. Als meine Tochter auf die Schule kam, sollte die Küche erweitert werden. Meine Tochter ist mittlerweile auf dem Gymnasium, mein Sohn in der dritten Klasse derselben Schule. Jetzt endlich steht die Küche. Die Umsetzung dauerte sechs Jahre.?
Das scheint ja in der Stadtverwaltung symptomatisch zu sein. Was kann man da machen??
GW.: Das frage ich mich auch. Ich bin seit gut zwei Jahren als sachkundige Einwohnerin im Verkehrsausschuss und versuche zu verstehen, wie die Verwaltung tickt – allen voran Amt 66, das Amt für Straßen und Verkehrswesen. Ich kenne mittlerweile einige, weiß, wer für Radfahren, Ampeln Baustellen, Parken zuständig ist. Ich frage mich oft, was machen die? Wie wird der Verkehr geregelt, wie Daten erhoben. Rad- und Autoverkehr werden gezählt. Daten von Fußgängern werden gar nicht erhoben. Das fände ich aber extrem wichtig. Es sollte klare Verantwortlichkeiten geben. Was ist mit dem Fahrradbeauftragten? Arbeitet der gut oder nicht? Ich empfinde ihn eher als Radverkehrverhinderungsbeauftragten. Im Verkehrsausschuss haben alle Parteien gemeinsam die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht an den Ringen beschlossen. Die Sitzung war noch nicht zu Ende, das gab es online schon ein Interview mit dem Fahrradbeauftragten, dass das nicht so einfach umzusetzen sei, weil die Ampelanlagen an den Ringen,Probleme machen. Ist der für Fahrradfahren oder dagegen?
Du forderst ja auch mehr Transparenz für die BürgerInnen. Denn wir wollen wissen, was mit unseren Steuergeldern passiert.?
GW.: Freie Daten sind extrem wichtig, um sich ein Bild machen zu können. Im Kölner Ratsinformationssystem kann man nicht gut recherchieren. Besser funktioniert es über die Website Politik bei uns. Hier findet man Köln und NRW-weit Ratsinformationen. Die Politiker*innen beschließen etwas und die Verwaltung, die diese Beschlüsse umsetzen sollte, macht ihr Ding; so zumindest manchmal das Gefühl. Schönes Beispiel wieder: Die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht. Dank der tollen Bürgerinitiative Ringfrei, kam in der Politik etwas in Bewegung. Bis Ende 2016 sollte an den Ringen, die Radwegebenutzungspflicht aufgehoben werden. Im Dezember wurde dann auf 500 Meter am Hansaring die Radwegebenutzungspflicht aufgehoben. Der Amtsleiter Klaus Harzendorf sagte der anwesenden Presse, dass das eine Millionen Euro gekostet hat. Stolzer Preis für´s Schilder abschrauben. Wie kann das sein? Ich habe im Verkehrsausschuss nachgefragt. Die Antwort: Die Ampeln mussten erneuert werden. Es wurde jedoch unterschlagen, dass bereits vor mehr als zehn Jahren beschlossen worden war, alle Ampeln an den Ringen zu erneuern. Das hätte längst passiert sein müssen. Geld und Personal waren vorhanden. Die Ampel-Abteilung war von 15 auf 29 Leute aufgestockt worden. Beschlossen, bezahlt, verrechnet. Das hatte nichts mit der Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht zu tun.
Wie soll das umlagefinanzierte Ticket für NRW aussehen? Das Flatrate-Ticket??
GW.: Ich mag den Begriff Flatrate-Ticket nicht. Bürger*innen-Ticket trifft das Modell, was die LINKE anstrebt, besser. Es handelt sich um umlagefinanzierten öffentlichen Nahverkehr. Wir haben das mal für Köln hochgerechnet und sind auf 30 Euro pro Person gekommen. Kinder bis 18 fahren kostenfrei. Zudem soll das Ticket sozial gestaffelt werden. Vorbild ist das Semester-Ticket für Studierende. In NRW gibt es acht Verkehrsverbünde. Das Ticketsystem ist eine Wissenschaft für sich. Selbst, wenn man ein Ticket zieht, kann es einem passieren, schwarz zu fahren, weil man versehentlich über die Grenze eines Verkehrsverbundes fährt. Ein Ticket für alle, wäre daher gut. Besser, wie wir es fordern: Kein Ticket für alle. Auf Landesebene muss eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um Unternehmen, an den Mobilitätskosten zu beteiligen. In Frankreich und auch in Österreich gibt es das bereits.?
Öffentlicher Verkehr ist dein Hauptanliegen. Warum funktioniert das in Köln nicht?
?GW.: Das frage ich mich auch. Problematisch ist die Struktur des öffentlichen Verkehrs Die U-Bahn ist ja keine richtige U-Bahn, sondern eine tiefer gelegte Straßenbahn. Kein Wunder, dass es nur suboptimal läuft. Durch die Sternstruktur, kommen noch viele unnötige Umwege hinzu und rechtsrheinisch fehlt schlicht eine Linie. Da braucht man eine gute Verbindung. Die Schiene ist wichtig, der Ausbau dauert jedoch ewig. Daher muss man über Schnellbusse und eigene Bus-Fahrspuren nachdenken. Was Elektrobusse angeht, ist die KVB vorbildlich und hat eigene Elektro-Gelenkbusse gebaut. Wichtig der Ausbau der Ost-West-Achse, damit die Linien 1,7 und 9 mehr Kapazität bekommen und häufiger fahren können. Das Geld steht schon bereit. 38 Haltestellen müssen ausgebaut werden. Der zwischen Neumarkt und Heumarkt geplante Tunnel ist jedoch unserer Ansicht nach obsolet. Zumal es hierbei nicht um den Bahnverkehr, sondern um den Autoverkehr geht. Um zu verhindern, dass Autofahrer*innen, der Nord-Süd-Strecke, die Gleise blockieren und tausende von Menschen an ihrem Fortkommen hindern, muss man nicht einen Tunnel bauen – zumal man in Köln damit ja so seine Probleme hat – da reichen ein paar Poller.
Es gibt aber ganz viele Busse, die nur alle zwanzig Minuten fahren. Das ist nicht so verlockend.?
Ganz klar, die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs muss deutlich besser werden. Bessere Taktzeiten und auch bessere Verbindung der Veedel untereinander, das heißt die Querverbindungen müssen verstärkt werden.
??NRW ist Vorreiter beim Thema Armut. Sehr viele Menschen leben von HartzIV. Wie stehst du dazu?
Die LINKE ist die einzige Partei, die auf diesen Missstand immer wieder aufmerksam macht, die gegen hält, anspricht, wie menschenverachtend die Hartz Gesetze sind und sich vor Ort für die Menschen einsetzt. Sozialberatungen anbietet; mit den Leuten zu den Ämtern geht; immer wieder auf Missstände aufmerksam macht; immer wieder sagt, das muss weg; immer wieder darauf verweisen, wie ungerecht das ist. Es ist beschämend, dass in einem so reichen Land wie NRW so viele Kinder in Armut leben. Mich empört das!
??Zum Betreuungsgeld hast du Nein gesagt. In der Betreuungslandschaft sieht es allerdings nicht so gut aus: Die Qualität der Betreuung ist oft schlecht, das Essen ist schlecht, der Betreuungsschlüssel ist schlecht und warum sollen Eltern ihr Kind abgeben müssen, wenn sie es selber betreuen möchten. Warum dann Nein zum Betreuungsgeld?
?Ist natürlich ein Punkt. Ich finde, man muss die Möglichkeit schaffen, dass es eine gute Betreuung für alle gibt, unabhängig vom Geldbeutel. Das heißt ja nicht, dass du deine Kinder abschiebst. Der familiäre Rückhalt ist schon sehr wichtig. Mein Mann und ich haben uns das damals gut aufteilen können.
Wieso kann man das in Deutschland nicht selber entscheiden und es wird klischeehaft als Herdprämie benannt??
Weil das dann auch wieder kompliziert ist. Die Linke ist ganz klar dagegen. Es ist ungerecht und rückschrittig.
Wenn du ab Mai in der Position von Frau Kraft wärest, was würdest du machen??
Umlagefinanzierter ÖPNV für NRW nicht bloß ein Ticket für alle, sondern KEIN Ticket für alle! Tempo 30 in den Innenstädten das ist gut für Mensch und Umwelt. Und selbst die Wirtschaft profitiert. Es gibt weltweit Studien, die immer wieder bestätigen, dass dies für alle besser ist. Weniger Staus, besserer Verkehrsfluss. Zudem ein genuin landespolitisches Thema: Bildung als Teil der Daseinsvorsorge. Wer bessere Schulen und Hochschulen will, muss Geld in die Hand nehmen. Wer Inklusion will, muss Geld in die Hand nehmen und wer Integration will, muss ebenfalls Geld in die Hand nehmen! Alle drei Themen haben natürlich auch Auswirkung auf den Kölner Süden. Ich würde zudem den Fuß- und Radverkehr massiv fördern. Es würde mir gefallen, wenn Frau Reker sich mal den Oberbürgermeister von São Paulo zum Vorbild nähme. Der hat über Nacht 40.000 Parkplätze entfernt und stattdessen Fahrradstreifen installiert. So was wünsche ich mir für Köln. Nicht nur Konzepte für die Schublade planen, sondern machen. Am Ring eine Spur für den Radverkehr. Kein Problem, machen! Die Vision für die Stadt muss sein: Kindgerecht. Ein Blick nach Gent genügt, um zu sehen, was das heißt.
Meine Südstadt: Vielen Dank für das Geschpräch.
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