Kopfnüsse für Kids
Freitag, 9. Juni 2017 | Text: Jaleh Ojan | Bild: Soliz
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
„Klasse Denken“: Mit diesem Wortspiel ist das Schülerprogramm der fünften Ausgabe des Philosophiefestivals phil.cologne betitelt, das dieses Jahr wieder Wissenschaftlern und Autoren eine Bühne bietet. Während die Großen in Form von Vorträgen und Podiumsdiskussionen Input zu ganz unterschiedlichen Themen wie Marxismus, künstlicher Intelligenz und Verschwörungstheorien bekommen, dürfen die Kinder und Jugendlichen vor allem selbst mitreden.
Philosophisches Denken für Anfänger
Zweit- und Drittklässler sind den Geheimnissen der Sprache auf der Spur und widmen sich der Frage: „Ist streiten gut?“ Die etwas älteren Schüler beschäftigen sich derweil mit den Klassikern unter den philosophischen Fragestellungen „Gibt es Gott?“, „Was ist das Böse?“, „Was ist der Sinn der Lebens?“ – aber auch mit komplexen Themen wie Lifestyle-Kapitalismus und dem Unterschied zwischen Mensch und Tier.
Bei der Auftaktveranstaltung von „Klasse Denken“ mit dem Titel „Beschwer dich nicht, wenn du arm bist!“ übernimmt Wolfgang Buschlinger im Alleingang die nicht so einfache Aufgabe, mit Kindern im Alter von 10 bis 12 in ein philosophisches Gespräch zu führen. Wer glaubt, es sei Entertainment in Form von Videos oder PowerPoint nötig, um die Kinder bei der Stange zu halten, unterschätzt die Schüler, denn die sind von Anfang an rege an der Diskussion beteiligt. Aber auch Buschlingers pädagogisches Geschick sollte nicht verkannt werden. Der promovierte Philosoph und Diplom-Mathematiker lehrt nicht nur an der Universität, sondern hat offensichtlich Erfahrung im Umgang mit Kindern.
Gesucht: Argumente für Solidarität
Die Diskussion dreht sich an diesem Mittwochvormittag um Themen, die so alt sind wie die Menschheit: die Schere zwischen Arm und Reich, Hilfsbereitschaft und sozialer Ausgleich. Dass es Leute gibt, denen das Nötigste zum Leben fehlt, und dass arme Leute in Ländern wie Indien es meist viel schlimmer haben als Obdachlose in Deutschland darüber sind sich alle Kinder im Saal einig. Dann allerdings stellt Buschlinger seine Frage, über die man sich in der nächsten Stunde die Köpfe heißreden wird: Wenn ich in keinem Fall die Ursache für die Armut eines Menschen bin und auch gar keine Lust verspüre, ihm zu helfen – gibt es einen Grund, weshalb ich ihm etwas abgeben sollte?
Buschlinger beginnt mit einer Art Denksport-Warm-Up und will von den Kindern zunächst einmal wissen, was eigentlich ein Argument ist. Dafür wünscht er sich unter anderem ein Gegenargument für die Behauptung, der Mond bestehe aus grünem Käse. Ein Junge aus der ersten Reihe, der noch oft zu Wort kommen wird, versucht sich an einem Argument, das aber kurzerhand abgeschmettert wird: „Du warst ja auch noch nicht oben!“ Damit sorgt der Akademiker für Gelächter. Das Eis ist nun endgültig gebrochen, die Kinder lauschen weitgehend aufmerksam. (Foto: privat/Phil.Cologne)
Zum Widerspruch gereizt
Dann schlüpft Wolfgang Buschlinger mit sichtlicher Freude in die Rolle des arroganten, unverbesserlichen reichen Großkotz („Ich bin einfach der Bessere!“), dem partout nicht einleuchten will, weshalb er Bedürftigen etwas abgeben sollte – wo er sich von dem Geld doch eine Konsole oder eine schöne Reise kaufen kann. Als Advocatus Diaboli wird Buschlinger die Diskussion mühelos in Gang halten. Die Kinder reizen die so völlig unsoziale Haltung und das herablassende Verhalten natürlich zum Widerspruch.
Eifrig melden sich die Schüler der fünften bis siebten Klasse und sprechen von Luxusproblemen, Fairness und Hilfe zur Selbsthilfe. Mehrere behaupten, er wolle ja sicher auch nicht links liegen gelassen werden, wenn er einmal in eine Notlage käme. Buschlinger erweist sich aber als knallharter Diskussionsgegner: Er lässt keine hypothetischen Szenarios zu und erklärt jedes Argument für nichtig, das im Konjunktiv formuliert ist.
Ihr seid sehr edle Charaktere!
Gleich mehrere Kinder vertreten vehement die Überzeugung, anderen zu helfen mache einen im Endeffekt selbst glücklich und zufrieden. Das erntet spontanen Beifall, doch Buschlinger zeigt sich unbeirrt. Solche Gründe für Solidarität seien egoistisch. So auch das Argument, man bekäme doch ein schlechtes Gewissen, wenn man jemanden sterben ließe. Für seinen zynischen Spruch „Dann hätten wir gewissermaßen das Bevölkerungsproblem gelöst!“ wird er prompt ausgebuht.
„Ihr seid sehr edle Charaktere“, attestiert Buschlinger den Kindern. Das sei ihnen unbenommen, aber er suche noch immer nach einem triftigen Grund dafür, dass auch weniger sozial veranlagte Menschen wie er anderen etwas abgeben sollten. Selbst nach einer halben Stunde zähen Dagegenhaltens werden die Kinder nicht müde, nach Argumenten zu suchen, mit denen sie dem Mann die Stirn bieten können. Auch wenn es im Grünen Saal nie ganz ruhig ist und viel gelacht und getuschelt wird.
Wer es im Leben gut hat, hat auch Verantwortung
Ein Schüler betrachtet es als Privileg, auf der Welt zu sein, das müsse man doch weitergeben. Allgemein scheinen sich die Kinder in dem Punkt einig zu sein, dass das menschliche Leben erhaltenswert, dass jeder gleich viel wert ist. Eine tiefergehende Begründung für den Wert des menschlichen Lebens kann allerdings keiner liefern.
Wer Glück im Leben hat, hat auch Verantwortung, sagt ein Junge schließlich.
„So Wörter elektrisieren mich“, entgegnet Buschlinger, „aber was bedeutet das?“ Wer bestimmt, weshalb man fair handeln sollte, wenn nicht das eigene Gewissen? Und woher kommen Pflicht- und Verantwortungsgefühl? Fragen über Fragen, die die Köpfe rauchen lassen. Ein Mädchen behauptet: „Ich bin stolz darauf, ein Mensch zu sein und anderen Menschen zu helfen.“
Können Gefühle Argumente sein?
Sie argumentierten immer wieder mit Gefühlen, wirft Buschlinger den Kindern vor. Die finde er aber eigenartig. Ob Gefühle zum Argument taugen, will er schließlich wissen und ob es schlimm ist, wenn dem nicht so wäre. Darauf weiß keiner so recht eine Antwort. Der Wissenschaftler legt schließlich seine Rolle des unsozialen Fieslings ab und liefert ein Fazit: Manche Menschen haben Mitleid, andere nicht.
Da sich aber Gefühle nicht übertragen lassen, stellen sie auch kein besonders gutes Argument dar. Letzten Endes muss man aber auch nicht alles in der Tiefe begründen können. Es wäre zwar gut, wenn es schlagende Argumente für Hilfsbereitschaft gäbe, doch man kann nicht immer alle überzeugen. Anders betrachtet braucht es dann auch nicht für alle Überzeugungen ein Argument
Gegen Ende der Veranstaltung wird es dann doch etwas unruhig im Saal; viele Kinder hält es nicht länger auf ihren Sitzen. Obwohl Buschlinger ein wenig überziehen muss, bleibt die Diskussion bis zum Schluss lebhaft. Am Ende haben die Kinder, ohne es zu wissen, mit dem kategorischen Imperativ argumentiert und sich mit Theorien und Moralkonzeptionen wie Hedonismus, Altruismus, Amoralismus und Utilitarismus auseinandergesetzt. Doch auf solch schwierige Wörter kann man (noch) getrost verzichten. Wichtig ist unterm Strich einzig die Erkenntnis: Philosophie macht Spaß!
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