Hurra, ich habe mich geirrt – irren ist Roger.
Montag, 28. Juni 2010 | Text: Roger Lenhard
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Irren ist Roger, aber nie war irren so schön. Ich lag völlig daneben in meiner Einschätzung sowohl der deutschen als auch der englischen Mannschaft – und das aus Überzeugung. Niemals hätte ich diesen überragenden Auftritt unserer Mannschaft für möglich gehalten.
Irren ist Roger, aber nie war irren so schön. Ich lag völlig daneben in meiner Einschätzung sowohl der deutschen als auch der englischen Mannschaft – und das aus Überzeugung. Niemals hätte ich diesen überragenden Auftritt unserer Mannschaft für möglich gehalten.
Irrtum Nr. 1: Der Seelenballast, den die Deutschen mit ins Spiel nehmen, ist so gewaltig, dass schon vor Anpfiff die Köpfe träge und die Beine schwer sind.
Stattdessen 20. Minute: Neuer schlägt einen wuchtigen Abstoß über 80 Meter mittig vors gegnerische Tor. Terry schläft, Klose startet und beschleunigt schnell, bekommt den Ball vor Upson, der mit aller Kraft den Ball erobern will. Klose dringt in höchstem Tempo in den Strafraum ein, er behauptet sich, trotz Ziehen und Zupfen, ein Rempler bringt ihn zu Fall. David James, der Torwart, kommt aus dem Gehäuse, Klose liegt und schiebt den Ball überlegt am Keeper vorbei ins rechte Eck. Hier zeigt sich, was für ein fantastischer, wacher Fußballer Klose sein kann und was möglich ist, wenn Athletik, Können und der Wille zum Tor zu einander finden. Neuer, Klose, Tor. Minimalistischer geht´s nicht, aber die Botschaft war präzise auf den Punkt gebracht. Wir wollen und werden gewinnen!
Nach der brachialen Direktheit gab es in der 32. Minute fast lyrische Momente
zu bewundern. Eine feine Sechs-Stationen-Stafette mit kleinem Sprung. Khedira, Müller, Özil, dann Klose mit rechtem Außenrist steil in den Rücken der Abwehr auf Müller, der den Ball über den letzten verbliebenen Abwehrspieler zu Podolski hebt und dieser schiebt, obwohl der Ball verspringt, unter dem heranfliegenden Keeper durch ins Netz zum hochverdientem 2-0. Kombinationsfußball erster Güte. Das schnelle Passspiel erfordert enorme Aufmerksamkeit, technische Fertigkeit in der Verwertung und eine große Portion Selbstvertrauen. Gerade dieses hohe Maß an Selbstvertrauen hatte ich nach dem Ghanaspiel nicht erwartet. Das Nervenkostüm der Deutschen im Gegensatz zu dem der Engländer sei allenfalls aus Pappmaché, welches bei leichtester Erschütterung zerbröselt, war meine falsche Einschätzung. Das Gegenteil war der Fall. Die Engländer haben dem Druck nicht standgehalten. Ihr Spiel war langsam, fahrig ohne Abstimmung und Ordnung. Lange unpräzise Pässe auf einen überforderten Wayne Rooney waren das einzige Stilmittel in ihrem Repertoire.
Hätte Manuell Neuer mit seinem schweren Patzer zum 2:1 (37. Minute durch Upson) die Engländer nicht zurück in die Partie gebracht, wäre es so zwar ein fröhlicher, aber auch ruhiger Nachmittag geworden. Zu überlegen war die deutsche Mannschaft in allen Belangen. So wurde es noch dramatisch. Lampert schießt unter die Querlatte, der Ball springt deutlich hinter die Linie. Reguläres Tor 2:2. Doch das Tor wird nicht gegeben. Das Tor erinnerte an das nicht gegebene Tor von Wembley. Und so war die Rede von ausgleichender Gerechtigkeit und später Genugtuung. So ein Quatsch. Das sind Erinnerungskonstrukte, die nichts mit Fußball zu tun haben. Das Spiel 1966 ist und bleibt 4:2 verloren. Welch ein Trost für die damaligen Spieler, und deren Tränen soll denn diese krasse Fehlentscheidung vierundvierzig Jahre später sein. Allenfalls dämliche Revanchisten empfinden so.
So kamen die Engländer noch ins Spiel zurück. Doch – zweiter Irrtum – die Abwehr hielt nach anfänglichem Glück (52. Minute Lattentreffer, Lampert) den Angriffen der meist kopflosen Engländern stand. Alle arbeiteten erfolgreich in dieser kritischen Phase gemeinsam defensiv gegen Gegner und Ball. Der unorthodoxe Müller, Mann des Spieles, machte mit zwei Toren (67./70. Minute) nach Bilderbuchkontern alles klar und hielt damit den Makel durch das nicht gegebene Tor klein in einem der tollsten Spiele bei einem Turnier der Ländermannschaften, das ich gesehen habe. Dieses Spiel wird sich ins kollektive Fußballgedächnis einlagern, als Triumph oder Schmach von Bloemfontein. Selbst die Sonne hatte an diesem phantastischen Tag wieder richtige Strahlen, und der Himmel war filzstiftblau; so ist das: Wenn die Hoffnung klein ist, ist das Glück um so größer und farbenprächtiger.
Wie das Spiel gegen die Argentinier ausgeht, verrate ich Euch jedoch nicht.
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