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Kolumne

Schräge Tanten mit viel Fantasie

Freitag, 5. November 2010 | Text: Kathrin Rindfleisch

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Achtung: jetzt wird’s schräg! Ich werde jetzt ein Thema ansprechen, das in vielen Familien mit Sicherheit  bekannt ist, aber aus Angst vor dem Wahnsinn unter der eigenen Brut wahlweise totgeschwiegen oder nicht ernst nehmend belächelt wird.

Achtung: jetzt wird’s schräg! Ich werde jetzt ein Thema ansprechen, das in vielen Familien mit Sicherheit  bekannt ist, aber aus Angst vor dem Wahnsinn unter der eigenen Brut wahlweise totgeschwiegen oder nicht ernst nehmend belächelt wird.
Dinge, die wir nicht greifen können, die wir mit bloßem Auge nicht sehen können, die aber trotzdem irgendwie da sind. Solche Dinge machen uns Angst. Und solche Menschen erst recht.
 
Smilla sieht Paul. Und hört ihn. Jetzt denken Sie, natürlich tut sie das, darüber schreibt sie doch jetzt schon ganze 30 Wochen! Aber ich meine nicht diese Art von sehen. Nicht die Herkömmliche mit zwei Augen (oder mindestens einem). Smilla sieht Paul, auch wenn er nicht da ist! Und das weiß ich ganz genau. Dass er nicht da ist, mein‘ ich. Weil wir ein Wochenende aus Köln rausgefahren sind. Ganz weit weg. Nach Mannheim. Und Paul hat sich nicht im Kofferraum versteckt und auch nicht in Smillas rosa Pferderucksack – glaub ich zumindest. Ich meine, dass hätte ich doch gerochen. Irgendwann hätte er es nicht mehr aufhalten können und dann wär die Windel vollgewesen und dieser Geruch, weiss Gott, den riech ich 30 Meter gegen den Wind (nichts für ungut, Paul!).
 
Also ganz sicher: Smilla in Mannheim, Paul nicht. Ich bitte Smilla, die Autoquartett-Karten meines Bruders nicht zu verknicken, und diese Bitte brachte ihn in unser Leben: den unsichtbaren Paul. „Das war ich nicht. Das war der Paul!“ Ne, is klar…
„Na dann sag Paul bitte, dass das nicht geht!“. Ich, im Kopf behände und ganz Supermutti, kläre die verdutzt guckende Runde Kinderloser nach meiner wie selbstverständlich klingenden Antwort erst mal auf: imaginäre Freunde. Völlig normal in ihrem Alter. Das stand im letzten Elternbrief. Und da stand auch, dass man das respektieren und mitspielen solle. Es geht um Selbstfindung, Grenzen testen und Fantasieentfaltung, müsst Ihr wissen!
 
Alle scheinen überzeugt von meinen pseudowissenschaftlichen Ausführungen zur Psyche Dreijähriger bis….ja, bis ich meinen kochenden Bruder bitte, doch etwas mehr Reis in den Topf zu tun, schließlich liebt Paul Reis und so weit weg von zu Hause soll er nicht Hunger leiden müssen (wer hat die beiden denn in der Nacht am Hals, „Maaama, Hunger!“?!). Und als Smilla mit Paul im Bad Zähneputzen ist („Kinder, aber setzt nicht das ganze Bad unter Wasser!“), bitten meine Geschwister, mich doch mal hinzusetzen. Und fragen mich, ob man das Ganze nicht auch übertreiben könne. Nicht dass Smilla so ’ne schräge Tante würde, in ihrer eigenen Welt lebend („…wie ihre Mutter schon ist!“ Gebt’s zu, das wollt ihr doch sagen?!). So viel also zur kreativen Erwachsenenwelt! Wenn nicht alles ’nen verdammten Fingerabdruck und ein Spiegelbild hat, gilt es gleich schon als schräg! Paul ist nun mal ihr Freund und was für einer! Mit Spiegelbild wehrhaft und bissfest, ohne Spiegelbild übernimmt  er wunderbar wehrlos liebend gern die Verantwortung für selbstgebauten Mist. Ein toller Freund!

Ich halt es da ganz mit Jesus, der schon damals wusste „Lernt von den Kindern!“ und halte mir seit Neuestem eine Freundin. Eine, die viel zu viel arbeitet, überhaupt nicht flink die kreativsten Gerichte auf dem Herd zaubert. Eine, die wirklich mal öfter durchfeudeln könnte und bitte beim nächsten Mal pünktlich zum Termin erscheint. Eine ohne Fingerabdruck. Also Smilla und ich sind viel ausgeglichener, seit unsere imaginären Freunde unsere Macken und Fehler übernehmen, ich kann nur zu solch einem Freundchen raten!

Allerdings, etwas komisch war es schon, als Smilla neulich ein mit angetrockneten Essensresten beschmutztes Shirt von Paul aus der Wäsche holte, es überzog wie ein langersehntes Stück von CHANEL und wir sie nur unter wildem Geschrei davon befreien konnten und damit Schlimmeres wie Nudelreste-Schürfwunden während des Schlafs verhinderten. Paul, der Imaginäre, stand daneben und versuchte uns zu überzeugen, dass sie doch ruhig das Shirt anlassen könne zur Nacht. Er ist doch ihr Freund. Ich hielt mir die Ohren zu und zog einfach weiter dran. Am nächsten Morgen dachte ich, ich hätte das Shirt in die Wäsche gepackt, doch da war es nicht…auch nicht im Schrank, oder bei den Spielsachen…
Wir sollten vielleicht doch Acht geben, dass wir keine schrägen Tanten werden, Smilla und ich…
 

Text: Kathrin Rindfleisch

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