Ein Licht in regennasser Nacht
Sonntag, 14. November 2010 | Text: Kathrin Rindfleisch
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
So, jetzt ist es passiert. Lang genug gedauert hat´s ja auch. Wo ich jetzt schon so lange hetze, über Spießer im Reihenhaus, Fußball störende Muttis mit Brustentzündungen und die stets perfekt ausgestatteten Supereltern, die mit der Zeugung etlicher Kinder den wahren Familienbund erschaffen.
Spott und Hohn musste ich über mich ergehen lassen, als ich zum Martinsumzug im Regen Smillas – erste, schluchz, eigene, schluchz – Laterne mit einem Müllbeutel überzog. Wie zwei Drittel aller Eltern im Übrigen. Aber ja, verdammt! Ich geb´s zu: als ich zu Hause in weiser Voraussicht die Müllbeutel einsteckte (übrigens zwei, den für Paul getraute ich mich nach den ersten spöttischen Bemerkungen gar nicht mehr hervor zu holen), fand ich mich selber komisch. So vernünftig. So durchdacht. Irritierend.
Zwei Herzen schlagen ach, in meiner Brust! Da ist das Lebe-jetzt-Konservieren-ist-Stillstand-Herz. Ich würd es als mein Kathrin-Herz bezeichnen. Es pocht heftig für Menschen und Gefühle, spontane Ideen und den Genuss des Lebens. Hosen, die nicht schmutzig werden dürfen, Wände, die frei sein sollen von Kindergekritzel, permanentes Aufzeichnen von Nachwuchs, Freunden, Urlaubsfreuden und damit das Verpassen der dokumentierten Ereignisse, all dies ist dem Kathrin-Herz fremd. Das Schützen einer Laterne, die just für den Moment kreiert, ja deren Daseinsberechtigung sich aus diesem einen Martinsabend quasi speist, gehört da zu hundert Prozent dazu.
Und dann gibt es da noch das Mutti-Herz. Meist übertönt vom Hauptherz, manchmal aber dann doch so heftig pochend, dass ich es einfach nicht überhören kann. Dann zum Beispiel, wenn mich die sentimentale Vorstellung (die ist im Übrigen ein ständiger Wegbegleiter des Mutti-Herzens) übermannt, Erinnerung zu schaffen. War sie nicht gestern erst ein Baby mit Sabber und Rassel in der Hand? Heute geht sie mit ihrer ersten Laterne und morgen schon wirft sie ihren Doktorhut gen Himmel! Und dann? Sitz ich da, in meiner Wohnung mit nix drin, als ein paar coolen Platten, ´ner Kaffeemaschine und ´ner Flasche Prosecco im Kühlschrank. Das pralle Leben mitgenommen – schon – aber ausgetilgt. Ohne bleibenden Wert. Ohne Erinnerung zum Anfassen. Könnt ich jetzt mal die erste Laterne in der Hand halten und mir die wundervolle Geschichte ins Gedächtnis zurückrufen, von der Tochter, die alles lieber machte als diese Laterne, und der Mutter, die alles lieber machte als…äh…die liebend gern diese Laterne machte.
Der Preis für diese Sentimentalität ohne jede Eintritts-Gewähr ist – und das weiß mein Kathrin-Herz spätestens jetzt auch wieder ganz genau – eine halbgare Laternennummer mit durch Müllbeutel müde glimmernde Lichter, die dem Lichterfest mindestens genauso viel von seinem Zauber nehmen wie Schonbezüge der ungezügelten Leidenschaft.
So waren Spott und Hohn an dieser Stelle völlig richtig platziert, bewirkten sie doch, dass ich Smillas Laterne noch rechtzeitig von ihrem Rain-Safer befreite und sie so mit Pauls Laterne und den Sternen am verregneten Südstadthimmel um die Wette leuchten konnte. Smillas Faszination für dieses bunte Glitzerlicht hatte auch nach fünf Tagen nichts an Kraft verloren. Das Gutenachtlied gestern Abend war „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne“…
Text: Kathrin Rindfleisch
Veröffentlich in Kolumne
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