Massen, Matsch und Motzgesichter
Montag, 29. November 2010 | Text: Kathrin Rindfleisch
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Zu meinem Bedauern gibt es in der Südstadt keinen Weihnachtsmarkt. Funkelnde Lichter, hübsche Buden mit allerhand Schnick-Schnack und zur Abwechslung mal in Fellschuhen und mit ’nem Glühwein statt mit Kölsch und ’ner Pappnase auf der Straße stehen und Verzällcher halten.
Zu meinem Bedauern gibt es in der Südstadt keinen Weihnachtsmarkt. Funkelnde Lichter, hübsche Buden mit allerhand Schnick-Schnack und zur Abwechslung mal in Fellschuhen und mit ’nem Glühwein statt mit Kölsch und ’ner Pappnase auf der Straße stehen und Verzällcher halten. Das alles vor wunderbar kitschiger Kulisse, unter den Augen der Severinstorburg auf dem Chlodwigplatz, dass fänd‘ ich jut.
Stattdessen geht’s mit der Bahn hinaus in die weite Welt, will man Lichter, Punsch und Weihnachtslieder. Nun ist die weite Welt bekanntlich groß, die weite Welt der Kölschen Weihnachtmärkte jedoch ist noch viel größer. Da gibt es Märchen-, Engel-, Heinzelmännchen-Märkte, die einem eingefleischten Südstadt-Immi die Tränen des blanken Weihnachtshorrors in die Augen treiben. Touri, teuer, Erzgebirge. Schieben, Quetschen, Motztiraden, und dann erst mit Kinderwagen…!
Aber, ach wie gut, dass es da eine Oase des guten Weihnachtsgeschmacks gibt. Einen Ort, an dem lauter nette Menschen in vorweihnachtlich seliger Stimmung alles anders machen, alles richtig. Mit Bio-Glühwein und Öko-Woll-Stulpen. Kreatives, Hübsches, fast kein Kitsch. Die Musik ist kein Gedudel, und `nem Räuchermännchen läuft man hier gewiss nicht über den Weg. Intensiv auch in der Südstadt beworben: der Weihnachtsmarkt im Stadtgarten.
Und dann kommen wir gestern Nachmittag dort an. Zugegeben, ganz schön unorigineller Einfall: am ersten Advent, bei wunderbarstem Winterwetter mit Kind UND Wagen. Doppelkinderwagen.
Die ersten Blicke verrieten schon ganz schnell, dass unoriginell lediglich fungiert als nette Umschreibung für stumpfsinnig und lebensmüde. Meine in solchen Momenten devoten, viel zu simpel aktivierten Ich-bin-Mutter-und-habe-Equipment-Entschuldigungs-Tiraden setzten auch prompt ein, und in Null komma Nix, fünf blöde Blicke später, steht der Kinderwagen zusammengeklappt hinter einem der Designerstände. Das Kind ist auf die Schultern gehievt, und die Jacke auf Brusthöhe voll Matsch. Lass ich sie doch, pädagogisch wertvoll, durch jede Matschpfütze laufen (bei korrektem Schuhwerk).
Nachdem nun Schulter schwer, Kind recht müde und die Matschstelle auf der Brust getrocknet ist, kommt mir – ganz spontan – die Nützlichkeit eines Vehikels in den Sinn, welches Schultern entlastet, Jacken auf Brusthöhe schont und Kindern ein behagliches Schlafplätzchen bietet. Da sich Massen lichten und der Platz vor dem Glühweinstand wie geschaffen ist für einen Kinderwagen-Kurzparker, komm ich tatsächlich auf eine Idee, die an Irrsinn und Großkotzigkeit kaum zu überbieten ist, ich wage den Wagengang…durch die Menschen…hin zum Glühweinstand.
Und ich dachte immer, einzig die Touris auf der Domplatte hätten dieses Weihnachts-Massen-Horror-Aggressivität. Und die hätten ja sogar noch eine Entschuldigung, sind sie doch seit nachtschlafenden morgens vier auf den Beinen um ja alle Weihnachtsmärkte durchzukriegen, bevor der Bus abends Richtung Heimat fährt.
Aber dieses absolute Unverständnis, ja diese geradezu missbilligende Weise, in der ich mit dem Wagen vorbei an Handwerk, Kunst und Motzgesichtern meinen Weg zum Glühweinstand erfechte, macht mich wütend. Und direkt: Ja, das ist ein Doppelkinderwagen und den haben wir dabei, weil wir in der Vorweihnachtszeit nicht zu Hause sitzen möchten. Ja, kann ich auch, direkt sein. Wenn`s reicht. Wenn ich mich frage, was mit den ach so alternativ Beseelten los ist. Wenn eine Entschuldigung-ich-hab-Kinder-Atmosphäre in der Luft liegt.
Ja, dann schnapp ich mir Smilla und fahr mit ihr zum Märchenweihnachtsmarkt auf dem Rudolfplatz. Da gibt`s wenigstens ein Karussell!
Text: Kathrin Rindfleisch
Veröffentlich in Kolumne
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