Lass Dich überraschen!
Mittwoch, 6. Juli 2011 | Text: be süd
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Man meint, man kenne seinen Stadtteil wie kein anderer, jeden Winkel, jede Straße, jeden Baum und sowieso jeden. Man meint die Südstadt könnte einen nicht mehr überraschen. Es bleibt alles beim Alten, und zwar jedes Jahr aufs Neue! Grüßt uns wirklich täglich das Murmeltier? Ich habe den Alltagsblues! Es gibt keine Überraschungen mehr… Wo sind die „Magic Moments“?
Man meint, man kenne seinen Stadtteil wie kein anderer, jeden Winkel, jede Straße, jeden Baum und sowieso jeden. Man meint die Südstadt könnte einen nicht mehr überraschen. Es bleibt alles beim Alten, und zwar jedes Jahr aufs Neue! Grüßt uns wirklich täglich das Murmeltier? Ich habe den Alltagsblues! Es gibt keine Überraschungen mehr… Wo sind die „Magic Moments“?
Ich spreche nicht von den Magic Moments aus der Kaffee- oder Schokoladenwerbung. Ich meine die kleinen, zauberhaften Momente, die unerwarteten Bilder, die exotischen Töne, die bunten Farben, die man mitkriegen könnte, wenn man nicht so hektisch und in Eile durch den Alltag rauschen würde.
Es muss nicht immer ganz großes Kino sein. Doch manchmal ist es großes Kino, und es ist so kitschig, so unerwartet, so absurd, dass ich mich ertappe, wie ich die TV-Kamera suche. Meistens sind es die kleinen Sachen. Zum Beispiel der Geruch von frisch gemähtem Gras im Park. Die hellgrünen, von Sonne durchfluteten Blätter der Bäume, die eine Frische ausstrahlen, die fast so effektiv ist wie ein frisch gezapftes Kölsch! Die geschickten Flugkünste der Mauersegler (wie schaffen sie das nur!), der letzte Sonnenstrahl, der den Park in ein warmes Licht eintaucht.
Moment – was ist das denn? Ich glaube es nicht! Ich muss zwei mal hinschauen! Meine Augen habe ich so weit aufgerissen, dass ich kurzfristig Angst bekomme, sie könnten rausplumpsen. Schnell schließen und …. ganz vorsichtig mache ich ein Auge auf und – sind sie noch da? Das Bild ist so absurd, so irreal, dass ich mich zwicken muss. Ist das die Rechnung so vieler Partys? Oder hätte ich eben beim Mittagessen auf die getrockneten Pilze verzichten sollen? Wer weiß, was wir alles gesammelt haben…
Ich stehe da und traue meinen Augen nicht. Es scheint keine Halluzination zu sein. Sehe ich wirklich, was ich zu sehen glaube? Glauben sie, was sie sehen, oder sehen sie nur was sie glauben? Vor meine Augen spielt sich Folgendes ab: Ein lustiger, laut singender Akkordeonist, führt eine ungewöhnliche Reisetruppe. Ein Dutzend älterer, in Rollstühlen sitzender Menschen, werden von einem Dutzend Teenies geschoben. Wie bitte? Ich muss schon wieder meine Augen reiben, und? Sie sind immer noch da.
Diese sehr ungewöhnliche Truppe, ist gerade dabei, in aller Seelenruhe die Rheinuferstraße zu überqueren. Zur Rush Hour. Natürlich schaffen sie die Fußgängerampelphase nicht, so langsam wie sie voranrollen. Der Verkehr beginnt sich zu stauen. Kurz überlege ich, ob es wohl einen Aufstand der Autofahrer geben wird. Einen riesigen Aufschrei. Aber weit gefehlt! Die Autos werden durch zwei Frauen aufgehalten, die die verwirrten und überraschten Gesichter der Autofahrer lächelnd abfangen. Die sonst so ungeduldigen Autofahrer sitzen da, genau so überrascht und verwirrt, wie ich. Wir sind wie versteinert. Keiner beschwert sich, keiner hupt, keiner schreit, alle warten geduldig, bis die Truppe heil über die Straße gelangt ist. Ein Lächeln huscht über unsere Lippen und weiter geht’s! Ein riesenhafter Daumen hoch! Es kann nicht besser werden, oder?
Ein paar Tage später, an einem gemütlichen, etwas langweiligen Sonntag, spaziere ich durch die Südstadt und… Was ist das? Ich höre von weitem karibische Klänge! Ist das nur Wunschdenken? Ist das die Kraft meiner Gedanken? Ich sehne mich so sehr nach Urlaub! Spielt sich das nur bei mir im Kopf ab oder höre ich wirklich was? Vorsichtig laufe ich weiter, die Musik zieht mich in ihren Bann und führt mich zum Eierplätzchen. Wieso wusste ich nichts davon? Das Plätzchen ist rappelvoll! Die Stimmung ausgelassen. Die Musiker sind dabei, ein schönes deutsches Lied auf kubanischen Rhythmus zu spielen, „…deine Lippen sind so zuckersüß….“, als die Sängerin ihr Mikro plötzlich einem Mann aus dem Publikum gibt. Was passiert jetzt? Wird er mitsingen? Er dreht sich um, schaut seiner Begleiterin tief in die Augen und fragt sie mit aufgeregter, zittriger Stimme: „Willst du meine Frau werden?“
Gänsehaut durchströmt meinen ganzen Körper. Alle schreien los und dann ist Stille! Als einziger spielt der Saxophonist ein wunderschönes Solo. Ich höre wie meine Nachbarin sagt: „Sie hat noch nicht geantwortet!“ Alle warten gespannt, es scheint, die Welt höre für eine Sekunde auf, sich zu drehen. Alle Augen richten sich auf das Pärchen, die Stimmung ist elektrisiert und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, haucht sie ins Mikro: „ Ja!“ Während das Pärchen sich innig küsst, jubeln wir alle los und fangen an zu tanzen! Wie schön, dass ich dabei sein durfte! Bei uns in der Südstadt heißt es nicht: „Täglich grüßt das Murmeltier“, sondern:
„Stets findet Überraschung statt/ da, wo man´s nicht erwartet hat“ (Wilhelm Busch).
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