Bei uns doch nicht!
Montag, 12. September 2011 | Text: be süd
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Ich stehe noch unter Schock! Was war an dem Tag los? War es das Wetter? Der plötzliche Wechsel von nass und kalt, auf heiß und schwül, der Mond, die überfüllte Straße? Der Schreck sitzt mir im Nacken! Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich hier in der Südstadt Zeuge werde von etwas so Peinlichem, so Unwürdigem…
Ich stehe noch unter Schock! Was war an dem Tag los? War es das Wetter? Der plötzliche Wechsel von nass und kalt, auf heiß und schwül, der Mond, die überfüllte Straße? Der Schreck sitzt mir im Nacken! Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich hier in der Südstadt Zeuge werde von etwas so Peinlichem, so Unwürdigem…
An besagten Tag lief ich etwas verträumt durch das Vringsviertel, froh wieder in Köln zu sein. Ich schaute hoch auf die Werbung für „Dä längste Desch vun Kölle“, als plötzlich alles „schwarz“ wurde, genau genommen „kackbraun“, eine braune Brühe lief mir vor die Füße. Ausnahmsweise hatte es mit dem Wetter nichts zu tun.
Ich habe ihn gesehen, den „hässlichen Deutschen!“ Er kam in Gestalt eines Opas und ging mit Spazierstock die Severinsstraße lang. Er hatte die Nase eines Trinkers und sprach Kölsch. Den hässlichen Deutschen erkennt man nicht an seinem Äußeren, sondern an seinen dummen Bemerkungen. Sobald er den Mund aufmacht, wird es peinlich.
So geschah es, ich wollte gerade ins Haus Balchen hinein, als mir eine Mutter, mit Kinderwagen und einem Kind auf dem Laufrad, entgegenkam. Ich lächelte ihr zu und machte ihr den Weg frei. Das Laufradkind lief auf dem Bürgersteig, sodass ein vorbeilaufender älterer Herr kurz innehalten müsste. Der Mann reagierte übertrieben sauer. Er schaute das Kind und die Mütter abwechselnd, extrem böse an. Wahnsinn, unsere Gesellschaft schreit nach Kindern, aber sind sie erst da und benehmen sich wie Kinder, werden sie … aber das ist heute nicht mein Thema sondern….in diesem Augenblick kam eine ausländische Frau, wohl Freundin der Mutter, lächelnd zur ihr. Der „Opa“ schaute sie alle hasserfüllt an. Die Ausländerin hatte das mitgekriegt und ich hörte, wie sie dem Herrn ein schönes Wochenende wünschte. Schmunzelnd wollte ich gerade in die Bücherei, als der Opa auf Kölsch antwortete „Jetzt, dass ich deine Fresse gesehen habe, wird es ein scheiß Wochenende, DU gehörst nicht hierhin. Geh dahin zurück, von wo du gekommen bist!“
Ich erstarrte zur Salzsäule. Ich befand mich ungewollt in einem schlechten Film. Das Drehbuch ließ sehr zu wünschen übrig! An diesem schwülen, heißen Tag, wurde es mir plötzlich unerträglich kalt. Ich suchte verzweifelt nach den Filmkameras, vergeblich.
Für diesen kurzen Moment sah ich hinter die blankgeputzte Fassade unseres Viertels. Vor meinem Auge verblassten die Farben unserer oh so teuer renovierten Häuser. Auf einmal wurde mir bewusst, wie fragil unsere sozialen Strukturen sind. Wie empfindlich unsere Gesellschaft wirklich ist. Wie Luftblassen, die bei zu starkem Pusten kaputt gehen, kann unsere Gesellschaft mit dummen Wörtern und Meinungen anfangen zu bröckeln… So eine geballte Ladung Dummheit habe ich schon lange nicht mehr gehört! Fremdenhass, bei uns in der „grünen“ Südstadt?!
Habe ich unser Viertel immer nur durch rosarote Brillen gesehen? Bin ich Opfers des Rosarote-Brille-Syndroms? Wie ist die Südstadt, frage ich mich? Tolerant, bunt, eine perfekte Zusammensetzung vieler unterschiedlicher Menschen; Imis und Einheimische, Ausländer und Deutsche, ja sogar Düsseldorfer werden hier akzeptiert. Ist das nicht das Maximum an Toleranz für einen Kölschen? Spricht das nicht für uns?
Übrigens, die Ausländerin, die unsere Sprache sehr gut beherrschte, wusste sich zu verteidigen und zwar auf Hochdeutsch! Sie sagte, er solle sie bitteschön nicht duzen, solle sich schämen für seine Äußerungen, und er sei schlichtweg eine Schande für Köln! Touché! Eins zu null! Der kölsche Opa, etwas überrascht, sah sich gezwungen, weiterhin nur dummen, braunen, Propaganda-Müll von sich zu geben.
Ich schämte mich fremd. Zutiefst betroffen, nicht nur über die geballte Ladung Ignoranz, Aggression und Fremdenfeindlichkeit, sondern über die Tatsache, dass wir uns alle zwar entsetzt zeigten, aber keiner (ich auch nicht) sich getraut hat etwas zu sagen. Standen wir alle kollektiv unter Schock? Was war hier plötzlich los? Was ist Zivilcourage? Im Jahre 1835 wird das Wort im Französischen als „courage civil“, der Mut des Einzelnen zum eigenen Urteil, und als „courage civique“, der rein staatsbürgerliche Mut, erstmalig erwähnt. Diese beiden Arten von Mut verschmelzen in dem Wort „Zivilcourage“ (schreibt Domin 1983).
Wieso ist kein Mensch auf die Idee gekommen, dieser Frau zu helfen? Hätte ich solidarisch neben ihr stehen sollen? Ich stand in ihre Nähe, aber gesagt habe ich nichts. Wenn ich nichts sage, wenn ich nichts tue, mache ich mich dann auch schuldig? Ist das unterlassene Hilfeleistung? Habe ich mich strafbar gemacht? Wenn ich nicht einschreite… bin ich ein Fremdenhasser?
Tragen wir als Gesellschaft nicht eine Verantwortung für einander? Wieso schauen wir hin und trotzdem weg, in dem wir nichts tun? Frei nach dem Motto „Wenn die Pflicht ruft, hören wir einfach nicht zu!“
Ich kann mich an einem Aufkleber erinnern, der bei uns vor Jahren die Runde machte, Kölner lassen keinen allein! An dem Tag standen wir gemeinsam alleine. Was hätten Sie gemacht? Hätten Sie sich getraut?
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