Abenteuer Ehrenamt: On the road mit der Kölner Tafel – Teil 2
Dienstag, 2. November 2010 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Jörg-Christian Schillmöller
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Das Zentrallager von REWE ist eine Kleinstadt in Langel, im Norden von Köln. Dieter Tschauner, ein 73-jähriger Rentner aus Frechen, und ich sind unterwegs mit einem der sieben Kleinlaster der Kölner Tafel – sie bewegt mit rund 80 ehrenamtlichen Helfern jedes Jahr 750 Tonnen Lebensmittel quer durch Köln. Was auf der einen Seite zuviel ist, bekommt die andere Seite: Viele Kölner sind auf die Tafel angewiesen, bundesweit versorgen die 860 Tafeln nach eigenen Angaben eine Million Menschen.
Wir stehen in der Morgensonne gegenüber vom Tor des Zentrallagers neben einem vertrockneten Maisfeld. Der Pförtner telefoniert, dann winkt er uns, und wir fahren an endlosen Reihen von Laderampen entlang bis zur Nummer 68: Das ist unsere Rampe, und ich zucke zusammen: Heute gibt es in der Tat so richtig viel zu schleppen. Schlecht für uns, gut für die Tafel. Eine Kiste nach der anderen heben wir in den Laster, ich verliere den Überblick: Fenchel, Kiwis, Kokosnüsse, Zitronen, Tomaten, Weintrauben und alles in wirklich ordentlicher Qualität: Hier und da sind ein paar Trauben und Zitronen bräunlich angelaufen, das war’s. Die Kollegen von einer anderen Tour der Tafel waren vor uns da und haben für uns von Rampe 18 die „Mopro“ geholt – die Molkereiprodukte: Streichkäse, Milch, sogar ein Karton Nordseekrabben ist dabei. Alles noch haltbar, aber nur ein paar Tage lang. Macht nichts, wird heute noch verteilt. Ich gerate ins Schwitzen, und am Ende ist der Laster voll. Ich notiere: 180 Kilo Obst und Gemüse, 60 Kilo „Mopro“.
Zeit zum Verschnaufen bleibt kaum: Ein paar Straßen weiter liegt die Zentrale vom Großbäcker Kraus, noch ein Stammkunde. Die Kisten mit dem Brot, den ziemlich appetitlich aussehenden Schoko-Croissants, Brötchen und Teilchen laden wir durch die Schiebetür an der Seite ein – hinten ist kein Platz mehr. „Was meinen Sie, was erst bei den Messen los ist“, erzählt Herr Tschauner. „Die ANUGA zum Beispiel, da mieten wir sogar extra Wagen an, um die ganzen Lebensmittel transportieren zu können.“ Er lacht. „An solchen Tagen kommen wir kaum hinterher!“
Wer mit der Kölner Tafel fährt, lernt ein anderes Köln kennen. Ein verborgenes, eines, das immer um die Ecke liegt. So wie unser nächstes Ziel – der Bauwagenplatz, Ecke Kanalstraße/Krefelder Straße. „Schieben Sie mal das Tor auf“, meint Herr Tschauner – und dahinter öffnet sich eine kleine Stadt in der Stadt. Fast kitschig: Mitten auf dem Platz mit den bunt bemalten Bauwagen brennt ein Feuer in einer Blechtonne. Zwei Hunde begrüßen uns, dann kommen von allen Seiten vier, fünf, sechs junge Leute zu unserem Wagen. „Also, wenn Sie Fotos machen wollen, müssten wir das erst im Plenum besprechen, nächsten Sonntag“, meint einer, als ich fragend die Kamera zücke. Am Ende darf ich doch ein paar Bilder machen, und wir verteilen Gemüse, Aufschnitt, Brot und Obst.
Bis heute hatte ich das Gelände nur von außen gesehen, jetzt weiß ich, wie es hinter dem Zaun aussieht: Alternativ, gemütlich – in der Südstadt würde wohl am besten der Baui zu dieser versteckten Wagen-Burg passen. Ganz ähnlich ist es bei der nächsten Station: dem „SKM Drogenwohnprojekt Ehrenfeld“, das direkt an den Bahngleisen liegt, noch ein kleines Dorf inmitten der Stadt. Hier gehen unsere letzten drei Blumensträuße weg – die Zitronen dagegen nicht: Sie sind verboten, weil man mit ihrem Saft zum Beispiel Heroin aufkochen könnte.
Der Tag schreitet voran, uns kriecht eine mittägliche Müdigkeit in die Glieder – ärgerlich, aber nicht zu ändern: Bei den Touren der Tafel gibt es keine Pausen. Wenn überhaupt, reicht die Zeit mal für einen Kaffee im Stehen bei einer der Ausgabestellen. Es ist viertel vor eins, und Herr Tschauner meint plötzlich geheimnisvoll: „Jetzt schauen Sie sich mal unseren nächsten Abnehmer an – ich sage nichts!“ Wir biegen auf einen Hof an der Widdersdorfer Straße in Müngersdorf ein – und plötzlich ist unser Wagen von lärmenden, lachenden Männern umringt. Sie grölen freundlich „Hallo“ zu Herrn Tschauner und schwenken Plastiktüten. Hier geben wir ausnahmsweise das Essen direkt an die Bedürftigen ab – normalerweise verteilt die Tafel ihre Lebensmittel nur an die Verwaltung, an das Personal. In diesem Fall ist das anders. Später lese ich auf der Liste sehen: „Betreutes Wohnen für Männer, Johannes-Bund. Hier leben vor allem Alkoholiker.
„Dieter, hast noch’n Sahnekäse, BITTE!“, trötet einer der Männer, und Herr Tschauner findet noch eine Packung Sahnekäse mit Kräutern, die in der aufgehaltenen Tüte verschwindet. Dazu gibt es Brötchen und Brote. Dann bin ich dran: Aus der hinteren Wagentür verteile ich Kiwis und Bananen – und sogar meine Kokosnüsse stoßen auf ein fröhliches „Immer her damit!“ Dann sind wir hier fertig – und müssen schnell zum Handelshof: Eine Menge Kisten Salat warten auf uns. Als Herr Tschauner nach dem Beladen anfährt, rumpelt es hinten im Wagen bedenklich. „Nur die leeren Kisten“, meint er. Gut, dass das nicht der Joghurt war.
Um kurz vor zwei sind wir im Landeanflug auf die Südstadt. Den Ring entlang, über den Chlodwigplatz rechts ab auf die Bonner Straße – und dann links in die Veledastraße, gleich neben dem „Stadtrad“. Dass sich hier, hinter der Hausnummer 4, ein Obdachlosen-Wohnheim verbirgt, hatte ich nicht gewusst. Ich komme mit einem Herrn mittleren Alters ins Gespräch. „Wissen Sie, wegen der Tafel koche ich wieder selbst“, erzählt er. „Sprüüüütche!“, ruft ein anderer dazwischen – und meint den Rosenkohl, den ich dem Herrn gerade in seinen Beutel fülle. „Ja, Rosenkohl“, freut der sich. „Den mache ich dann schön mit Sahne, lecker“. Aus Erzählungen weiß ich, dass manche Lebensmittelausgabe nur ungern Gemüse wie Rosenkohl nimmt: Viele Bedürftige wissen nicht, wie man ihn zubereitet – und sie kochen auch nicht gern. Da gibt es Nachholbedarf. Freude kommt bei den Obdachlosen in der Veledastraße auf, als Herr Tschauner und ich eine Riege Schoko-Weihnachtsmänner herausgeben – und dann wartet auf uns auch schon der Endspurt: Die Lebensmittelausgabe in Köln-Weiß. Immer freitags, um 16 Uhr.
Beeindruckend, wie ordentlich die ehrenamtichen Helfer dort alles durchgeplant und aufgebaut haben. Jede Familie bekommt ihre eigene Kiste gepackt, mit Namensschild und Anzahl der Personen. Jedes der Helferteams in Weiß ist alle vier Wochen im Wechsel im Einsatz – und man merkt den Frauen und Männern an, wie viel Spaß es ihnen macht, die Ausgabe möglichst freundlich und perfekt zu organisieren. Wir sind spät dran: Es geht schon hart auf drei Uhr zu, in einer Stunde beginnt die Ausgabe. Bis dahin müssen noch der gesamte Salat und alle anderen Lebensmittel aus dem Laster auf die Familienkisten verteilt werden. Dann ist unser Laster leer, bis auf die leeren Kisten, die wir unterwegs einsammeln und mitnehmen. Es gibt noch eine Tasse Kaffee für Herrrn Tschauner und mich – dann heißt es: Heimfahrt zur Tafel-Zentrale in Michaelshoven. Die leeren Kisten ins Lager, den Wagen mit einem Schlauch ausspritzen und das Führerhaus durchfegen: fertig. Das sind Herr Tschauner und ich auch, und zwar körperlich. „Na dann, bis bald“, meint Herr Tschauner noch, und ich denke: Jetzt erstmal eine heiße Dusche.
Wer sich bei der Tafel engagieren will: 0221 – 351000. Oder ein Klick auf www.koelner-tafel.de
Lesen Sie auch Teil I der Reportage hier.
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