Meine Kindheit im Iran, mein Leben in Köln: Ein Interview mit Mojdeh Noorzad
Sonntag, 12. Dezember 2010 | Text: Gastbeitrag | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Mojdeh Noorzad kennt wohl jeder Südstädter: Die selbstbewusste Frau mit dem dichten, dunklen Haar arbeitet in der Ubier-Apotheke direkt am Chlodwigplatz. Sie ist gerade 50 geworden und hat ein Leben hinter sich, von dem wohl fast niemand weiß: Mojdeh Noorzad stammt aus dem Iran – und ein Großteil ihrer Familie lebt bis heute dort, in einem der kompliziertesten und widersprüchlichsten Länder der Welt. Auf der einen Seite steht die Islamische Republik, in der die Menschenrechte verletzt werden, in der es keine freie Presse gibt und in der viele Menschen als politische Gefangene im Gefängnis sitzen. Auf der anderen Seite ist der Iran ein Land mit einer ungeheuer reichen und alten Kultur – und ein junges Land mit einem Altersdurchschnitt von kaum 27 Jahren. Vor allem die jungen Menschen waren es, die mit der „grünen“ Oppositionsbewegung im vergangenen Jahr versucht haben, mehr Demokratie zu erkämpfen. Bislang vergeblich. Wir sitzen im „Ecco“, und als erstes frage ich Mojdeh Noorzad etwas ganz Banales.
Frau Noorzad, die Iranerinnen haben oft so schöne, poetische Vornamen. Harir zum Beispiel, das heißt auf deutsch: Seide. Was bedeutet Mojdeh?
(Sie lacht) Mojdeh spricht man Moschde aus (sie betont das sch wie das zweite g in Garage), und auf deutsch ist das die „schöne Nachricht“.
Wie halten Sie Kontakt mit ihrer Familie im Iran?
Wir telefonieren viel miteinander. Ich rufe meine Mutter oft an, sie lebt im Norden von Teheran und ist krank. Ich habe auch viel Kontakt zu Verwandten über das Internet. Mit meinen Schwestern maile ich regelmäßig, ebenso mit meinen Neffen und Nichten. Eine meiner Schwestern wohnt auch in Teheran. Die anderen beiden leben in Sari und Amol im Norden des Landes, auf der anderen Seite des Alborz-Gebirges. Damit sind sie ganz nah am Kaspischen Meer.
Woher stammen Sie selbst?
Ich wurde 1960 in Amol geboren, das ist eine sehr kleine Stadt. Ich hatte eigentlich eine schöne Kindheit und eine sehr liebe und liberale Familie. Ich habe in Amol auch mein Abitur gemacht, das war 1979, im Jahr der islamischen Revolution.
Wie haben Sie diese Zeit erlebt, als der Schah vertrieben wurde und Ayatollah Khomeini nach Jahren im Exil in den Iran zurückkehrte? Viele Iraner haben damals große Hoffnungen in ihn gesetzt, man sprach von einer „Revolution der Herzen“.
Ich habe diese Zeit nicht als positiv erlebt. Schon damals war ich aktiv in einer politischen Gruppe. Es gab dann die Volksabstimmung über die Islamische Republik, und 99 Prozent stimmten mit „Ja“. Ich gehörte zu dem einen Prozent derjenigen, die „Nein“ gesagt haben. Nach und nach bestätigten sich dann unsere Befürchtungen, vor allem was die Rechte der Frauen anging. Nach dem 8. März 1979, dem internationalen Frauentag, wurde plötzlich angeordnet, dass Frauen ein Kopftuch tragen müssen, wenn sie zur Arbeit gehen. Da gab es in Teheran eine große Demonstration, einige Bekannte von mir waren dabei. Zwei Jahre später wurde das Kopftuch-Tragen dann im Gesetz verankert. Und dann kam der Iran-Irak-Krieg, der fast die ganzen Achtziger Jahre dauerte. Da war es egal, was man sagte oder was man wollte. Alles konnte als Verrat ausgelegt werden, und zur Begründung hieß es immer: Wir sind im Krieg. Ich selbst habe das Land am 26. Mai 1984 verlassen.
Wie haben Sie das gemacht? Sind Sie geflohen?
Ich hatte Glück, wenn man das so sagen darf: Mein Vater war herzkrank, und im Iran gab es damals noch keine Möglichkeit, eine Bypass-Operation durchzuführen. Also mussten wir ins Ausland. Ich hatte einen Onkel in Köln, das war die Anlaufstelle. Weil ich Englisch sprach, durfte ich meinen Vater als Dolmetscherin begleiten. Eigentlich wollte ich anfangs gar nicht so lange in Deutschland bleiben.
Im Iran sind die meisten Bürger Schiiten. Sind Sie selbst eigentlich auch noch Muslimin?
Nein. Das habe ich schon 1978 für mich entschieden, als ich mich mit dem Koran auseinandergesetzt hatte. Für mich war meine Religion eine frauenfeindliche Religion. Ich wollte keine Muslima mehr sein.
Das bedeutet, dass Sie nicht zurückkehren können, denn im Iran steht auf Apostasie, also die Abkehr vom islamischen Glauben, theoretisch die Todesstrafe. Wie sehen Sie die Zukunft des Landes?
Ich habe keine große Hoffnung, dass sich in den nächsten Jahren etwas ändert. Die Bewegung für Freiheit und Gleichberechtigung lebt, aber es gibt so viele Repressalien. Besonders die Folter und Vergewaltigung und Hinrichtungen von Gefangenen machen mir große Sorgen. Und auch die Steinigung: das ist doch unmenschlich und barbarisch. Das Regime ist jedenfalls unberechenbar. In den internationalen Beziehungen geht es oft um die Wirtschaft, da spielen die Menschenrechte keine Rolle.
Was tun Sie selbst?
Ich engagiere mich bei einem internationalen Netzwerk, bei „Iran Women Solidarity“. Uns geht es vor allem darum, dass wir uns mit der Frauenbewegung im Iran solidarisch zeigen. Es gibt keine Gleichberechtigung in dem Land, sondern viele diskriminierende Gesetze. Wir sind aktiv in Köln, Frankfurt und Berlin, aber auch in Frankreich, den USA und Kanada.
Reden Sie zuhause oder bei Freunden über den Iran?
Fast alle meine Freunde hier in Deutschland haben einen politischen Hintergrund, da ist die Heimat immer ein Thema.
Ist denn Köln für Sie auch eine Heimat geworden?
Ja, aber ich vermisse den Iran, das Kaspische Meer und die Gassen in meiner Heimatstadt Amol (sie hat Tränen in die Augen).
Können Sie denn in Köln auch ein paar iranische Traditionen pflegen?
Jede Kultur hat doch eine verrückte und eine schöne Seite. Ich habe viel von Deutschland gelernt, aber ich habe auch viel von meiner Kultur beibehalten. Zuhause reden wir zum Beispiel Farsi, auch mit unseren beiden Töchtern. Die antworten zwar auf Deutsch, aber wenn sie mit meiner Mutter telefonieren, merke ich, dass sie das Persische schon ganz gut können. Und wir feiern natürlich das iranische Neujahrsfest Nowrouz, wie es sich gehört.
Das glaube ich Ihnen nicht, denn in dieser Zeit steht der Iran für sage und schreibe zwei Wochen still, und alle Behörden sind geschlossen.
(sie lacht) Nein nein, hier in Köln feiern wir nur den 21. März. Da habe ich immer frei, und das weiß auch jeder in der Ubier-Apotheke.
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