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Kultur

Verliebt in eine Unbekannte

Mittwoch, 12. Januar 2011 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Micha Lewinsky

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Der Schweizer Filmemacher Micha Lewinsky über seinen Debutfilm „Der Freund“, der heute in Anwesenheit des Regisseurs im Odeon seine Deutschlandpremiere feiert. Meine Südstadt Autor Reinhard Lüke griff zum Telefon um mit 38 jährigen Regisseur über seinen Film zu reden.


Meine Südstadt: Wie kommt man auf solch eine Geschichte?
Micha Lewinsky: Als ich im Gymnasium war, so mit 15, 16 Jahren, haben wir am ersten Schultag eine Liste mit Namen bekommen. Danach hätte ein Mädchen bei uns in der Klasse sein müssen, die aber nie aufgetaucht ist. Irgendwann hat man uns dann mitgeteilt, dass sie gestorben ist. Ich weiß bis heute nichts Genaueres von ihr, aber die Sache hat mich damals ungeheuer beschäftigt. Dass da eine Geschichte –vielleicht hätte ich mich ja in sie verliebt- zu Ende war, bevor sie überhaupt angefangen hatte, hatte für mich als Teenager auch eine merkwürdig romantische Färbung.

Verliebt in eine Unbekannte?
Vielleicht. Romantische Liebe hat ja immer mehr mit Imagination und Illusion zu tun. Echte Personen und Realität überhaupt sind dabei doch eher hinderlich.

Im Ihrem Film agieren ja fast nur beschädigte Seelen. Einzig Larissas Mutter gibt die die taffe Macherin, die alles im Griff hat…
Auch sie ist mit ihrem Aktionismus ja alles andere als glücklich. Sie kann sich nur nicht eingestehen, dass sie unter ihrer Rolle leidet. Eigentlich ist Nora, die Schwester der Toten, die stärkste Figur und die einzige, die ihre Probleme wirklich anpackt und damit umzugehen versucht.

Der Film wird durch eine eigentümliche Atmosphäre bestimmt, in der sich Melancholie immer wieder mit leiser Komik bricht. Bisweilen erinnert das an die Tragikomödien von Aki Kaurismäki. Oder liege ich da völlig falsch?
Gegen den Vergleich habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Schließlich wollte ich kein Drama, sondern eine Komödie drehen. Die besten Komödien haben ja alle einen tragischen Hintergrund.

Larissa und Emil treffen sich im Club Helsinki. Verbirgt sich dahinter womöglich eine Referenz an Kaurismäki oder gibt es den wirklich?
Den gibt es genau so, wie er im Film vorkommt. Die Kneipe ist ein fester Bestandteil der Züricher Musikszene. Auch Emilie Welti hat dort ihre ersten Auftritte gehabt.

Die ist ja unter ihrem Künstlernamen Sophie Hunger inzwischen ein international gefeierter Star. Was bedeutet es Ihnen, dass sie im Film nicht nur die Larissa spielt, sondern auch einen Großteil der Musik geschrieben hat?
Ihre Mitwirkung war mir sehr wichtig, da Musik für mich auch als Zuschauer schon immer ein sehr zentraler Bestandteil von Filmen war.  Wir haben im Vorfeld auch auf der Storyebene viel über den Film geredet. Damals war sie aber auch noch nicht sooo bekannt.

Hat ihr der Film zum Durchbruch als Musikerin verholfen?
Nein. Sophie Hunger ist eine eigenständige Künstlerin mit soviel Potential, dass sie sicherlich auch ohne den Film Karriere gemacht hätte.      

Sie haben vorher mehrere Drehbücher für andere Produktionen geschrieben. „Der Freund“ ist ihr erster Langfilm als Regisseur. Wie kam es zum Wechsel ins Regiefach? Waren Sie mit den Umsetzungen ihrer anderen Bücher unzufrieden?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich hatte einfach Lust, mal selbst zu inszenieren. Für mich ist die Regie eigentlich eine logische Weiterentwicklung meiner Arbeit als Autor, weil man als Drehbuchschreiber natürlich eine sehr klare Vorstellung hat, wie einzelnen Szenen im Film aussehen sollten. Und als Regisseur habe ich die Möglichkeit, meine Ideen zusammen mit Schauspielern, Kameraleuten und anderen Beteiligten umzusetzen. Was ich als eine sehr befriedigende Arbeit empfinde.

Mit Johanna Bantzer  und Philippe Graber hat der Film zwei sehr prägnante Hauptdarsteller, die hierzulande allerdings (noch) kaum bekannt sind. Sieht das in der Schweiz anders aus? Gelten sie dort womöglich als Shooting-Stars?
Sie sind zumindest bekannt. Philippe Garber, für den der Emil die erste große Rolle war, hat dafür den Nachwuchs-Darstellerpreis gewonnen und seitdem in einigen anderen Produktionen mitgewirkt. Johanna Bantzer hatte vorher schon mehrere Filme gedreht und auch ein paar Auszeichnungen bekommen.

„Der Freund“ stammt ja schon aus dem Jahr 2008 und wurde mehrfach ausgezeichnet und als „bester Schweizer Film des Jahres“ sogar für den Oscar vorgeschlagen. Wieso kommt er erst jetzt in die deutschen Kinos?

Ich empfinde es als totalen Glücksfall, dass er jetzt überhaupt in Deutschland zu sehen ist, weil er mir sehr am Herzen liegt. Ich habe ja danach mit „Die Standesbeamtin“ eine romantische Komödie gedreht, die auch in Deutschland sehr gut lief. Daraufhin hat sich der Verleih entschlossen, auch meinen eher sperrigen Debutfilm ins Kino zu bringen.

Wie einfach oder schwierig lassen sich denn in der Schweiz Kinofilme produzieren? Existiert dort, ähnlich wie in Deutschland eine Filmförderung?
Es gibt eine kleine, aber ganz anständige Filmförderung, an der sich der Staat, die Kantone und das Fernsehen beteiligen. Trotzdem ist es nahezu unmöglich, ohne Gelder durch deutsche oder französische Koproduktionen einen großen Kinofilm zu drehen. Aber so ein kleiner Film wie „Der Freund“ lässt sich auch ohne ausländisches Geld realisieren.

Was hat der Film gekostet?
1,4 Millionen Euro. Was für einen Kinofilm sehr wenig ist.

„Der Freund“ ist auf Schweizerdeutsch gedreht und kommt hier mit Untertiteln ins Kino. Hat das mit den Kosten einer Synchronisation zu tun oder wollten Sie das so?
Das war letztlich nicht meine Entscheidung, aber mir ist das so ganz recht. Anders als in Deutschland kommen in der Schweiz selbst Hollywood-Blockbuster fast nur in der untertitelten Originalversion ins Kino. Mir persönlich es als Zuschauer eminent wichtig, die Stimme eines Schauspielers zu hören, die schließlich genau so ein wichtiges Instrument ist wie seine Körpersprache und seine Mimik. Ihm seine eigene Stimme durch einen Synchronsprecher zu nehmen, empfinde ich als einen seltsamen Akt der Verfremdung. Außerdem ist es beim Schweizerdeutsch ja so, dass man anfangs kaum etwas versteht, aber mit zunehmender Dauer des Films damit immer weniger Probleme hat und die Untertitel am Ende kaum noch braucht.    
 

 

„Der Freund“

Fast jeden Abend flüchtet sich der schüchterne Student Emil, der in Zürich noch immer bei seiner Mutter wohnt, in einen Züricher Musik-Club, um die Musik einer jungen Frau namens Larissa zu hören. Heimlich in sie verliebt, wagt er jedoch kaum, sie anzusprechen. Als sie ihn eines Tages im Vorbeigehen fragt, ob er gelegentlich bereit wäre, sich als ihr Freund auszugeben und ihm ihre Telefonnummer gibt, ist Emil gleichermaßen glücklich wie irritiert. Ein paar Tage später wählt er ihre Nummer. Doch am andren Ende meldet sich Larissas Schwester Nora, die ihm mitteilt, seine Angebetete sei durch einen Stromschlag in ihrer Gitarre leider verstorben. Ebenso ratlos wie noch immer verliebt, lässt sich Emil von der Familie der Toten einladen und spielt für sie Larissas Freund, obwohl er die Frau seiner Träume nie wirklich kennen gelernt hat. Dass Emil sich bald in Nora verliebt, macht die Sache nicht nur für ihn nicht eben einfacher. „Der Freund“ erzählt mit knappen Dialogen eine eigentümlich lakonische Liebesgeschichte, die sich wie eine seltsam souveräne Gratwanderung zwischen Drama und Komödie ausnimmt.

Micha Lewinsky, 1972 in Kassel geboren und in der Schweiz aufgewachsen, hat seit 2000 mehrere Drehbücher für Schweizer Kino- und Fernsehproduktionen (u.a. für „Sternenberg“, dem erfolgreichsten Schweizer Spielfilm des Jahres 2004) geschrieben. Die mehrfach preisgekrönte Tragikomödie „Der Freund“ ist sein erster Langfilm als Regisseur, der nun mit zweijähriger Verspätung in die deutschen Kinos kommt.
 

Text: Reinhard Lüke

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