Auf Granit beißen oder: Der stille Kampf für faire Kamelle
Mittwoch, 26. Januar 2011 | Text: Doro Hohengarten | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Jeden Karnevalssonntag, jeden Rosenmontag dieses Bild: Wenn die Festwagen und Spielmannszüge, die Schulkinder und Vereinsgruppen die Severinstraße verlassen haben, kreist eine Kehrmaschine auf ihren Spuren den Asphalt ab. Dutzende von Kehrmännern fegen Restkamelle auf – und Tonnen von Süßigkeiten landen im Müll. Ist das jetzt Verschwendung, oder gehört das zum Brauchtum?
Roland Pareik liegen solche Fragen. Sie sind ein wunderbarer Anlass, um mit anderen ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel an Abenden wie diesem im Stadtmuseum Ende November: Zweihundert Lehrerinnen, Lehrer und Eltern drängen sich zwischen Glasvitrinen, das Kölschglas in der einen, das Mettbrötchen in der anderen Hand. Es ist das Koordinationstreffen der Schull- und Veedelszöch. Alle, die an ihren Schulen mitreden in Sachen Karneval, sind gekommen. Roland Pareik hat am Rande der Runde auf einem Tischchen Unterrichtsmappen und Infoblätter ausgelegt. Knisternde Tütchen sind daran getackert, gefüllt mit gelben, saftig-süßen Fruchtgummi-Äffchen.
Pareik ist für „Jecke Fairsuchung“ unterwegs, einem Verein mit Sitz in der Kartäusergasse. Die 25 Menschen, die sich 2006 darin zusammengeschlossen haben, arbeiten teilweise schon seit Anfang des Jahrzehnts an einem Ziel: Sie wollen die Idee des fairen Handels verbreiten. Liebe geht durch den Magen, fairer Handel auch: Kamelle sollen der Idee als Botschafter dienen. Je mehr faire Kamelle geworfen und gefangen werden, desto mehr Menschen kommen mit dem Gedanken und mit den Produkten aus fairem Handel in Kontakt, so das Konzept.
Gerade an Süßigkeiten lässt sich aufzeigen, welche Vorteile gerechter Handel haben kann. Paradebeispiel Schokolade – landet am Karneval hundertgrammweise in der Kamelletasche, ist größtenteils aus konventioneller Herstellung. Die Bauern, die den Rohstoff Kakao anbauen, arbeiten und leben in vielen Anbaugebieten unter miserablen Bedingungen. Wie die Zeit weiß: Für unsere Süßigkeiten müssen hunderttausende von Erwachsenen und Kindern tagtäglich auf Plantagen schwitzen. Fairer Handel garantiert diesen Kakaobauern einen Abnahmepreis für ihre Kakaobohnen, der ihnen und ihren Familien ein menschenwürdiges Leben sichert. Würden im Karneval nur 10 Prozent des Wurf-Budgets in fairen Kamellen angelegt – so das erklärte Ziel des Vereins -, dann wäre zumindest die jecke Welt schon ein gutes Stück besser.
Es ist nicht so, dass diese Idee jeden fasziniert. Auf jeden Fall nicht im Zeughaus und nicht an diesem Abend. Nur eine Handvoll Lehrer zeigt Interesse an den Unterrichtsmappen, in denen der Verein Informationen zum Brauchtum, zu Herstellungsmethoden und Handelsbedingungen zusammengestellt hat. Kaum einer will die Kamelle probieren, deren Bestandteile wie Zucker und Mangosaft unter fairen Arbeits- und Handelsbedingungen entstanden sind, und Roland Pareik ist ein zurückhaltender Mensch. Der Biologe weiß eine Menge über die weltweiten Umwelt- und Wirtschaftszusammenhänge, er kennt den Kölner Karneval bestens, das findet jeder heraus, der ihn anspricht. Aber das „Akquirieren“, das aktive Werben für die Sache, ist nicht seines. Dabei, sagt er, „sind Lehrer und Eltern ein aufgeschlossenes Publikum“.??
Gerade bei Schulen kommt der Gedanke immer besser an – auch in der Südstadt. Beispiel Michaeli-Schule: Dort werden die Schülerinnen und Schüler beim Schul- und Veedelszug der Session 2011 und beim Südstadtzug erstmals nicht nur wie gehabt Erdnüsse, sondern zu gleichem Anteil faire Süßigkeiten werfen. Die Fruchtgummis sponsert ein Vater. „Dass die Kamelle fair sein müssen, war allen Beteiligten von Anfang an klar“, sagt Petra Maria Wirth, die Karnevalskoordinatorin der Waldorfschule. Sie war es, die in der Presse und im Internet von Jecke Fairsuchung gehört hatte und aktiv den Kontakt suchte.
Auch die Stunksitzung versorgt die Südstadt-Kinder schon seit zehn Jahren beim Dienstagsveedelszug mit fairen Kamellen – die Alternativ-Karnevalisten waren damit die erste Gruppe in Köln, die ihr Wurfmaterial komplett auf fair umgestellt hat. „Es wäre nicht konsequent, wenn wir konventionelle Kamelle werfen würden“, sagt Volker Klinke, bei den Stunkern auch für den Kamelle-Kauf zuständig, von unserer Entstehung her setzen wir uns mit Themen wie gerechteren Produktions- und Handelsbedingungen auseinander. Diese Gedanken gehören praktisch zum Gründungsgefühl der Stunksitzung. Weitere Beispiele außerhalb Kölns gibt es genügend: Das Brühler Dreigestirn deckt sich zum Beispiel mit fairen Süßigkeiten ein, und die Stadtwerke Düsseldorf werfen schon seit Jahren komplett fair. ?
Während sich Schulen, Gruppen und Unternehmen im ganzen Land langsam öffnen, scheint Jecke Fairsuchung bei den etablierten Kölner Karnevalisten nach wie vor auf Granit zu beißen. Weit entfernt ist der Großteil der Traditionsgesellschaften, das Wurfmaterial zumindest teilweise umzustellen. Gerade mal zwei Vereine haben bislang am Rosenmontagszug entsprechende Fruchtgummis, Maniok-Chips oder Schokolade aufs Jubelvolk niederprasseln lassen: Jan von Werth und die Roten Funken mit Sitz in der Ulrepforte. Das Jan von Werth-Wurfgut wurde dabei von einem Outdoor-Laden in der Innenstadt gesponsert.??
Es sind Zahlen wie diese, die die Dimensionen klar machen: Alljährlich werfen die Karnevalsvereine allein beim Rosenmontagszug 140 Tonnen Präsente und Süßigkeiten, davon 700.000 Tafeln Schokolade, 220.000 Schachteln Pralinen, 300.000 Strüßjer. ??Hinter den Kamellen steckt ein riesiges Geschäft. Es geht allein bei jedem Rosenmontagszug um Investitionen im Wert von 1,8 Millionen Euro Karneval ist eine wirtschaftlich interessante und werberelevante Angelegenheit auch für die großen Süßigkeitenhersteller wie Haribo, Stollwerck und Bahlsen.
„Wir haben das schon vor zehn Jahren gehört“, sagt Roland Pareik, als er sich daran erinnert, wie die Kampagne Jecke Fairsuchung damals zum ersten Mal an die etablierten Karnevalsgesellschaften herantrat: „Da winkten alle ab und sagten: Das ist ja ’ne schöne Idee, aber wir stehen leider langfristig unter Vertrag mit anderen Herstellern“. Inzwischen sind alte Verträge längst abgelaufen – doch für die „schöne Idee“ haben die meisten Gesellschaften immer noch nichts übrig. „Wir sehen keinen Gesprächsbedarf“, hieß es in einem Schreiben, mit dem das Festkomittee des Kölner Karnevals die Jecken Fairsucher 2009 abblitzen ließ. Das Festkomittee koordiniert den Rosenmontagszug.
Dass die Idee des fairen Handels beim Traditionskarneval nicht ankommt, hat viele Gründe. K.O.-Argument Nummer Eins: der Preis. Ein Tütchen faire Fruchtgummis kostet knapp 35 Cent. Je nach Abnahmemenge zahlt man für das Pendant des bekannten Bonner Fruchtbärchen-Herstellers nicht mal die Hälfte davon. Die Jecken Fairsucher haben für dieses Argument immer ein schönes Rechenbeispiel parat. „Wenn die Kamelle, die für zehn Prozent des Budgets gekauft werden können, doppelt so teuer sind und man nur die halbe Menge dafür bekommt, dann hat man hinterher immer noch insgesamt 95 Prozent Kamelle – die fünf Prozent, die fehlen, merkt letztlich keiner,“ erklärt Roland Pareik.??
Auch Martin Klupsch vom Weltladen in Bonn, der fair gehandelte Kamelle vertreibt, kennt die Vorbehalte der Branche. Manche Einkäufer befürchten, der faire Handel könne die Süßigkeitenberge, die an Karneval gebraucht werden, gar nicht liefern: „Das stimmt längst nicht mehr, sagt er, inzwischen garantieren wir auch größere Abnahmemengen“. Das Herstellungs- und Handelsnetz sei deutlich besser strukturiert als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Auch die Imageprobleme seien passé: „Unsere Produkte stehen in der Qualität konventionellen in nichts mehr nach“. Viele Unternehmen sprängen inzwischen sogar aus Imagegründen auf den Zug auf und ließen faires Wurfmaterial mit ihrem Logo bedrucken.??
Das Hauptproblem aber ist: All die Fragen über Preis, Image und Qualität werden dort, wo über den Kamelleeinkauf entschieden wird, derzeit gar nicht diskutiert. Jecke Fairsuchung will nicht die Frontarbeit erledigen, keiner fühlt sich für die Lobbyarbeit bei den Proviantmeistern und Vorständen der Karnevalsgesellschaften zuständig. Nach einer medienstarken Anfangskampagne mit Jean Pütz und den Kölner Tatort-Komissaren vor acht Jahren beschränkt sich Jecke Fairsuchung darauf, Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit zu leisten. Wir werben nicht direkt für faire Kamelle, gibt Roland Pareik klar zu verstehen – dem Verein gehe es ums Verbreiten der Idee, nicht der konkreten Produkte.
Und diejenigen, die die Produkte anbieten, sind auch nicht präsent. „Meines Wissens nach haben sich die Anbieter bei uns noch nicht ins Gespräch gebracht – bei unseren Wurfmaterialdiskussionen wurde so etwas jedenfalls nicht erwähnt, erklärt im Gespräch mit Meine Südstadt Gerd Wirtz, der Sprecher der Prinzengarde. Der Verein legt nach Wirtz‘ Bekunden großen Wert darauf, alljährlich hochwertige Süßigkeiten unters Volk zu bringen.
Grundsätzlich hält er die Prinzengarde durchaus für zugänglich, was die Idee der fairen Kamelle betrifft: Wenn die Leute ihre Leistung hervorheben würden und uns zeigen würden, was sie anbieten können, kann ich mir vorstellen, dass das diskutiert würde“. Einen Tipp hat er auch noch: „Seit letztem Mai haben wir einen neuen Vorstand – die Organisation wäre klug beraten, sich bei solchen Änderungen noch einmal neu in Erinnerung zu bringen!“
Die von Jecke Fairsuchung verliehene Auszeichnung „Faire Jecken“, jährlich für Verdienste um den Fairen Karneval ausgepriesen, hilft sicherlich dabei, das Thema immer mal wieder in die Medien zubringen. Nächsten Montag (7.2.) steht in Neuss die diesjährige Preisverleihung an. Überzeugungsarbeit in den Karnevalsvereinen aber hat erstmal keine Priorität: Sollten freie Zeitressourcen entstehen“, erklärt Pareik zur Not an ehrenamtlichen Mitarbeitern in seinem Verein, „werden wir die Zeit für die Erweiterung und Verbreitung der Unterrichtsmaterialien verwenden.
Das Ziel „10 Prozent faire Kamelle“ wird wohl noch lange ein Traumziel bleiben.
Links:
Homepage von Jecke Fairsuchung
Homepage von Transfair (Siegel für Fairen Handel)
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