Viel Arbeit um nichts! Oder Anne Köhlers Hauptberuf, der Nebenjob
Freitag, 11. Februar 2011 | Text: Kathrin Rindfleisch | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Nebenjob als Hauptberuf. Das kommt mir bekannt vor. Alles ein bisschen und dabei nichts richtig zu machen. Ich gestehe: Das Gefühl kenne ich. Eine Frau Anfang dreißig erzählt aus ihrem Leben mit den unzähligen Nebenjobs und dem Dilemma, keine rechte Antwort zu haben auf die Frage, was sie denn beruflich genau mache. Spontan denke ich: Huch, woher kennt diese Person mein Leben? Oder sind wir gar Zwillinge, die bei der Geburt getrennt wurden und unabhängig voneinander das Gleiche erlebt haben? Das wollte ich herausfinden und begab mich am Donnerstagabend in den Tsunami-Club zur Lesung von Anne Köhlers erstem Buch Nichts werden macht auch viel Arbeit. Immerhin, sie hat ein Buch heraus gebracht. Ich bin also ganz optimistisch, eine Frau vorzufinden, die ihre Nebenjobs als Mittel zum Zweck sieht. Die sich über sie stellt und mit ihrem Publikum darüber lacht.
Ganz so ist es dann aber nicht. Gelacht wird zwar, aber etwas bitter. Anne Köhler, die Hessin aus dem 250-Seelen-Dorf, blickt in ihrem Buch nicht zurück auf die finanziell schmalen Jahre vor dem Buch. Sie berichtet vielmehr mitten aus ihrem Leben, das trotz Buch weiterhin aus Brotjobs und ihrer Profession, dem Schreiben besteht. Sie befindet sich mitten in dem Dilemma, nichts Vernünftiges zu machen, sieht sie doch das Buch nach den Jahren zahlloser Job-Albträume nicht als erreichtes Ziel. Vielmehr sei sie weiterhin getrieben und wohl auch niemals am Ziel, so ihre nüchtern selbstkritische Einschätzung.
Schüchtern ist sie. Als sie auf der Bühne aus ihrem Buch vorliest, wirkt es, als stecke sie mal wieder in einem ihrer Nebenjobs. Diesmal als Vorleserin. Jemand hat ihr gewissermaßen ein Buch vorgelegt und zur Auflage gemacht, die Zuhörer zu amüsieren und ihnen Mitgefühl zu entlocken. Vor allem aber: sie in die triste Welt der Jobs zu entführen. Jener Jobs, die zwar als Nebenjobs beschrieben, von vielen Menschen aber hauptberuflich ausgeübt werden. Anne Köhler erzählt episodenhaft von ihren unterschiedlichen Tätigkeiten, die sie – ebenso still und schüchtern, wie sie sich vor ihrem Publikum gibt – mehr oder weniger gern ausgeführt hat.
Weniger gern zum Beispiel den Job als Kellnerin: An manchen Tagen musste sie bis zu zwölf Stunden ohne Pause, aber mit viel zu hohen Schuhen schuften. Oder die Arbeit als Sortiererin bei der Post: Dort musste sie morgens vor der Uni drei Stunden lang die Briefe den Adressfächern zuordnen. Oder ihr Job in einem Hotel, bei dem sie eine goldene Anstecknadel mit dem Slogan Yes we can tragen musste. Besonders gerne dagegen hat sie ihren Job als Köchin gemacht.
Ganz wichtig ist es Anne Köhler zu erwähnen, dass sie ihre Tätigkeiten als Aushilfskraft eben nur ansatzweise beherrscht und sich eigentlich nicht als Köchin, Eventmanagerin oder Lektorin bezeichnen kann. Ihr erklärter Respekt den Menschen gegenüber, die die Jobs hauptberuflich ausführen in allen Ehren: Dem Zuhörer und Leser fehlen der Biss, die Prise Selbstironie, die den teilweise recht schrägen Aufgaben ihre Ernsthaftigkeit nehmen würden. Man vermisst die Fantasie, die aus den grauen Jobs verrückte, lustige oder zumindest skurrile Tätigkeiten werden lassen. Denn für die talentierte und mit Stipendien ausgestattete Schreiberin Anne Köhler sind es nun mal nur Jobs. Sie kann gehen, wenn es ihr zu bunt wird. Kann darüber lachen, wenn ein Vorarbeiter ihr vorschreibt, immer freundlich zu grinsen, kann auch mal herausfordernd pausieren – auch wenn das gegen das (eigentlich gar nicht erlaubte) Pausenverbot verstößt. Statt dessen trägt sie das Leid derer auf den Schultern, die keine Wahl haben. Die mit viel zu hohen Absätzen viel zu freundlich lächelnd viel zu unverschämte Gäste bedienen müssen. So macht sie sich zum Opfer ihrer Nebenjobs statt sie, spielerisch und leicht bei dem zu belassen was sie eigentlich sind: Jobs, mit denen sie ihre Miete und die Brötchen bezahlen kann.
Und am Ende bleibt der fade Geschmack zurück, dass diese ganzen, von ihr so ernst genommenen Tätigkeiten ihr nicht einmal ermöglichen, in dem Einen gut zu sein: in ihrer Profession, dem Schreiben. Beim Signieren nach der Lesung sagt sie, es sei immer wieder ein komisches Gefühl, so als schreibe sie Ansichtskarten und nicht die persönliche Widmung für ihre Fans. Wenn es nicht so ärgerlich wäre, würde man sie bedauern, so wenig glaubt Anne Köhler an sich selbst.
Anne Köhler
Dumont Verlag
EUR 14,95
ISBN 978-3-8321-9591-5
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