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Kultur

„Blindflug ohne Instrumente“: Geschichten von Wim Wenders

Sonntag, 3. April 2011 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Wim Wenders ist nicht nur Regisseur: Er ist auch ein ziemlich guter Geschichtenerzähler. Besonders gut ist die über seinen Besuch beim einstigen DDR-Filmminister, die er als Dialog erzählt (sicher nicht zum ersten Mal). Der Anlass: Wenders wollte einst für „Der Himmel über Berlin“ auch im Osten der Stadt drehen – und grundsätzlich hatte ihm das Regime signalisiert, dass er willkommen sei. Das Gespräch verlief dann aber etwas anders als gedacht.

„Zeigen Sie mir doch bitte mal das Drehbuch.“
„Äh, also, es gibt keins.“
„Hmm. Dann erzählen Sie doch mal die Geschichte.“?“Naja, es geht um zwei Schutzengel, und die ziehen so herum.“
„Soso. Und die sind unsichtbar?“
„Genau. Also sie sehen uns, aber wir können sie nicht sehen.“?

„Interessant. Und die können durch Mauern gehen?“
„Ja, stimmt. Sie kennen keine Hindernisse.“
„Herr Wenders, ich kann Ihnen leider nicht helfen.“

So klingt das, wenn Wim Wenders erzählt. Das Ende der Geschichte: Ein befreundeter Kameramann filmte heimlich ein paar Szenen in Ost-Berlin und „Der Himmel über Berlin“ wurde ein Welterfolg. Und dem Publikum im „Kunstsalon“ an der Brühler Straße gefällt die Geschichte auch. Knapp 200 Zuhörer sind gekommen, um sich diese und andere Anekdoten erzählen zu lassen. Veranstalter ist die filmsociety Köln, und deren orange Flyer sind so zahlreich die Treppe hinauf bis in den ersten Stock an die Mauer geklebt, dass man sich auch ganz bestimmt nicht verlaufen kann. Das Dekor auf der kleinen Bühne ist minimalistisch: Zwei rote Möbel, die entweder kleine Sessel oder große Polsterstühle sind, dazu ein viereckiger Tisch, eine Karaffe Wasser, zwei Gläser – und dahinter ein Vorhang, der die Farbe von Sichtbeton hat.

„Dankeschööön“, ruft Wenders ins Publikum, als der Filmkritiker und Fragensteller Wilfried Reichart ihm dankt, dass er gekommen ist. Wenders trägt ein ziemlich blaues, hochgeschlossenes Shirt, darüber ein dunkles Jackett, außerdem Jeans und schwarze Stiefeletten. Am Jackett ist ein Sticker befestigt. Der stammt von Wolfgang Niedeckens Geburtstagsparty am Abend vorher: „Too old to die young“ steht darauf. Wim Wenders trägt drei goldene Ringe, einen an der rechten und zwei an der linken Hand. Immer wieder fährt er sich mit der Rechten seitlich am Kopf entlang durch das Haar – graumeliert, leicht abstehend. Wie 65 sieht er nicht aus. Eher jünger. Und viel hat er zu erzählen – zum Beispiel über „Pina“, seinen neuesten Film (meinesüdstadt schrieb bereits darüber „Abschied von Pina…„) und über große Momente in seinem Leben. Dank der Fragen von Wilfried Reichart wird jede Schaffensphase abgearbeitet – immerhin kurz auch jene Phase, in der er in den USA die Romanverfilmung „Hammett“ drehte und daran fast verzweifelte. Irgendwann stört es auch nicht mehr, dass Reichart den Regisseur so penetrant duzt.

Einer der großen Momente, abgesehen von dem Film „Alice in den Städten“ ist sicher „Paris, Texas“. Das Roadmovie, ebenfalls in den USA, Jahrgang 1984. Wenders berichtet, dass er damals endlich mit einem selbst ausgesuchten Autor arbeiten konnte – mit dem Schauspieler Sam Shepard. „Wir waren uns einig, dass man eine Geschichte nicht vor den Dreharbeiten schon zuende erzählen kann. Also haben wir uns ein Drittel ausgedacht, und danach wollte ich eigentlich, dass der Autor mitreist beim Drehen, damit ich nicht nachts allein dasitze und weiterschreibe. Aber er hat sich prompt in Jessica Lange verliebt und bekam auch noch eine Hauptrolle. Da war ich ihn los.“

Die Lösung: Wann immer es ging, las Wenders dem Frischverliebten („Sam war nicht so belastbar“) die Fortschritte vor, und danach schrieb er stundenlang die Dialoge auf, die Sam ihm diktierte. Wenders schwärmt. „Ich mochte diese Landschaft im Westen der USA sehr, das war meine Traumlandschaft, einfach großartig, eine Gegend, die sich gegen alle Kolonialisierungsversuche behauptet hat. Es war die mythische Landschaft meiner Kindheit. Und mit dem Film habe ich obendrein ein Produktionsmodell hingelegt, das die Amerikaner bis dahin gar nicht kannten. Das Ding war komplett Kamikaze, der nackte Wahnsinn. Die meisten Leute am Set waren mit Touristenvisum da.“

Wim Wenders spricht anschaulich, mit sonorer Stimme, ein bisschen eitel, aber nicht zuviel. Immer wieder macht er kleine Pausen, so dass die Sätze etwas abgehackt klingen – was das Zuhören nicht erschwert. Und er hat eine Lieblingsgeste: Dabei berühren sich die Spitzen aller fünf Finger der rechten Hand, und die Hand bewegt sich auf und ab. Das sieht aus wie bei einem Italiener, der etwas zu meckern hat. Mit dieser Geste gestaltet Wim Wenders seine Sätze, verleiht ihnen körperlichen Nachdruck. Zum Beispiel bei der Geschichte, wie er dem legendären, damals 80-jährigen Michelangelo Antonioni am Set von „Jenseits der Wolken“ als Co-Regisseur half.

Antonioni hatte einen schweren Schlaganfall erlitten, konnte nicht mehr sprechen und brauchte aus versicherungstechnischen Gründen einen „Stand-By-Regisseur“, der im schlimmsten Fall die Arbeit zuende bringen konnte. Seine Wahl fiel auf Wim Wenders – und der assistierte bei den Dreharbeiten, zum Beispiel in Aix-en-Provence. „Es war schon zum Haareraufen, wenn Antonioni morgens vermitteln wollte, was die erste Einstellung sein sollte. Er konnte ja nichts sagen, aber man verstand oft gut, dass er dachte: Ihr seid alle zu blöd. Aber wir haben trotzdem auch viel mit ihm gelacht.“ Das tut das Publikum in Köln auch.

Bleibt „Der Himmel über Berlin“ – und die Frage, woher eigentlich die Idee mit den Engeln stammt. „Tja, das habe ich mich auch oft gefragt“, sagt Wenders. „Wir mussten ja vor allem die Frage klären, wie Engel eigentlich aussehen. Wir haben alles probiert, Perücken und so, bis wir am Ende auf diese Mantelmänner kamen. Und dann, gleich am ersten Drehtag, kommt Bruno Ganz zu mir und meint, Du schau mal, es regnet, aber ich kann doch gar keinen Regen auf mir haben, ich bin doch ein Engel. Für ihn war dieser Mangel an Geschichte bei den Engeln ein physisches Leiden: Ich konnte ihm ja kaum sagen: Okay, Du hattest eine unglückliche Kindheit. Sehr gut für die Dreharbeiten war, dass ich Berlin so gut kannte und für jede Idee sofort einen passenden Ort wusste. Es war schon ein wenig mirakulös, das Ganze, es war wieder so ein Blindflug ohne Instrumente – und es hat funktioniert.“

So schnell sind knapp zwei Stunden vorbei im Kunstsalon in der Brühler Straße, die Häppchen und das Kölsch und der Rotwein warten. Es gibt viel Applaus für den Regisseur. Der auf die letzte Frage sofort und sehr präzise geantwortet hatte. Die Frage: Was er denn ohne seine Frau Donata geworden wäre? „Ein trauriger Mann.“

 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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