GroKo oder No?
Donnerstag, 15. Februar 2018 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Oliver Köhler
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Von Politikverdrossenheit keine Spur. Nach einer Stunde ist das Interview keins mehr, sondern ein Schlagabtausch zwischen zwei jungen SPD-Mitgliedern, zwischen Sabine Schaaf und David Hartung. Zwischen zwei Menschen, von denen ich erfahren wollte: Wie denkt die SPD in der Kölner Südstadt über eine weitere Große Koalition? Wie denken die Mitglieder über ihre Partei?
Verjüngung? An der Basis schon.
Die Fakten: Sabine und David finden die „Außendarstellung“ der Partei verheerend, aber sie ist trotzdem für die GroKo. Und er dagegen. Darum wird Sabine bei der Mitgliederbefragung mit Ja stimmen – und David mit Nein. Sein Standpunkt: Was bringen uns nochmal vier Jahre Regierung? Was können wir bewirken und gestalten? „Was glaubst Du, wird danach anders sein?“, fragt er. „Gar nichts.“
Sabines Standpunkt: Diese GroKo ist eine einzigartige Chance. Es wäre eine Koalition unter veränderten Vorzeichen – und parallel zur Regierungsarbeit könnte man dann auch die Erneuerung in der Partei voranbringen, plus Verjüngung. Jedenfalls alles besser als Neuwahlen, „denn das wäre absolut fatal.“
Vom TÜV nicht genehmigt
Es ist Rosenmontag in Köln, am späten Nachmittag im karnevalsfreien Lokal WIPPN`BK“. Es dämmert am Ubierring, der Zug ist durch. In Düsseldorf hat sich Martin Schulz auf einem der Motivwagen als Pappfigur selbst durch den Fleischwolf gedreht. Und in der Süddeutschen Zeitung kommentiert Heribert Prantl: „Die Steigungen, Gefälle und Kurvenradien, die diese Partei unter ihrem jetzt scheidenden Kurzzeit-Vorsitzenden Martin Schultz genommen hat, wären vom TÜV nie genehmigt worden.“ In dieser Stimmung wirken die Teelichter in dem roten Glas, die die Kellnerin auf die Tische stellt, ein bisschen wie Grablichter. Über Kalauer wie Katerstimmung und ungeschminkte Wahrheit denke ich gar nicht erst nach.
Sabine und David erzählen mir die Chronologie der letzten Monate mit ihrer SPD. Sabine ist 32 Jahre alt, Schriftführerin im Ortsverband und seit 2010 in der Partei. David ist 31, stellvertretender Vorsitzender und seit 2008 Mitglied. Sabine hat in Bonn Jura studiert und ist promoviert. David hat in Berlin Diplom-Verwaltungswirt studiert. In den Praxisblöcken seines Studiums hat er in der Bundestagsverwaltung und im Berliner Abgeordnetenhaus Praktika gemacht. Mit jeder Menge Einblick. Sabines und Davids Eltern sind „SPD-nah“: Sabine wusste früh, was Chancengleichheit und Gerechtigkeit bedeuten können, bei David war die Mutter Kommunalpolitikerin im SPD-Ortsverein Lühnde, Region Hannover.
„Das haben wir nicht geschafft“
24. September 2017, Bundestagswahl. David ist als Besucher im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin zu Gast. Sabine ist daheim: Sie hat zwei Wochen zuvor eine Tochter bekommen. David ist vom Wahlergebnis und dem schlechten Abschneiden der SPD alles andere als überrascht. Sabine ist erschrocken, aber auch sie hatte Böses geahnt. Beide sind sich einig: Es war richtig und authentisch von der Parteispitze, damals zu sagen: Wir gehen in die Opposition.
Und beide sind unzufrieden damit, wie der Wahlkampf gelaufen ist. Sie nennen die FDP als Beispiel, nicht inhaltlich, aber formal: Dort sei der Wahlkampf „charismatischer“ gewesen – und durch die Präsenz in den sozialen Netzwerken bis hin zu Instagram auch viel präsenter für junge Leute. „Das haben wir nicht geschafft“, sagt Sabine. David stimmt zu.
Und dann platzt Jamaika
Die Jamaika-Verhandlungen zwischen CDU, CSU, Grünen und FDP haben darum auch beide als Verschnaufpause für die SPD empfunden. Und David ist sicher: „Die SPD-Spitze hatte keinen Plan B“. Vielleicht, sagt er, gab es die Furcht, dass Jamaika am Ende so gut klappt, dass die SPD auf viele Jahre in der Opposition verschwindet. Aber das war es auch mit der Planung.
Und dann platzt Jamaika. Es kommt zu Gesprächen beim Bundespräsidenten – und danach stehen plötzlich Sondierungen zwischen Union und SPD auf der Agenda. „Aber unter anderen Vorzeichen“, sagt Sabine. „Das war die Chance für die SPD, sich neu zu positionieren. Am Wahlabend haben wir doch als Verlierer dagestanden.“
David sagt, er hätte gern Mäuschen gespielt bei den Steinmeier-Gesprächen. „Danach hat die SPD-Spitze in kürzester Zeit gesagt: Wir machen das (er schnipst mit den Fingern, um seine Worte zu unterstreichen).“ David kritisiert, dass es gar keinen Zweifel gegeben habe, dass alles viel zu schnell gegangen sei. „Dabei gab es doch ein großes Spektrum an Möglichkeiten zwischen Neuwahl und Opposition. Man hätte neue Sachen probieren können.“ Er meint zum Beispiel eine Minderheitsregierung oder andere, unerprobte Arten von Zusammenarbeit. Experimente eben.
„Da ist nicht mehr viel Spielraum“
Stattdessen: SPD-Parteitag, Zustimmung, Koalitionsverhandlungen mit der Union. Aber mit einem guten Ergebnis für die SPD, oder? „Ja, auf jeden Fall“, sagt Sabine. „Wir haben mit dem Finanzministerium ein Schlüsselressort bekommen. Das war ein eindeutiges Zugeständnis an die SPD.“ David schüttelt den Kopf. „Nein, das war kein Zeichen von Stärke der SPD. Das war ein Zeichen für Merkels Schwäche. Und wenn man in den Koalitionsvertrag schaut, dann sieht man, wie viele Miliarden schon genau verplant sind: Da ist nicht mehr viel Spielraum.“
An diesem Punkt gehen die Meinungen von Sabine und David klar auseinander. Sie ist pro, er ist contra. David räumt zwar ein, dass der Vertrag eine „rote Handschrift“ trage. Aber der Vertrag sei trotzdem nur ein ‚Weiter so‘, ein Drehen an bekannten Stellschrauben. Und viel Wischiwaschi. Die SPD müsse aber den Anspruch haben, viel weiter zu gehen. Davids Fazit: Der Vertrag ist ein Verwalten, aber kein Gestalten.
Sabine klingt anders: „Ich war nach dem Vertragsentwurf froh darüber, dass die SPD das Heft wieder in der Hand hatte.“ Und überhaupt: Wenn es nur ums ‚Verwalten’ ginge – wo wäre dann der Unterschied zur Opposition? Sie warnt in unserem Gespräch immer wieder vor Neuwahlen – und immer wieder sagt David: Wenn die GroKo scheitert, dann ist das noch lange kein Automatismus für Neuwahlen.
Mikro&Makro
Es steht Unentschieden, als ich nach einer guten Stunde gehe. Beide versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen, beide haben gute Argumente. Bei Sabine überwiegen Optimismus und der Glaube an eine Große Koalition. Bei David herrscht eher Pessimismus. Und dieser Riss, sagen beide, den gibt es auch im Ortsverein in der Südstadt. Bei der letzten Sitzung seien mehr als 30 Leute dagewesen, erzählen beide – und alle hätten zwei Stunden lang debattiert. Mikrokosmos, Makrokosmos: Ich erlebe in unserem Interview den Querschnitt einer zerrissenen Partei.
Eine Partei, die immerhin viele Neumitglieder verzeichnet: Der Ortsverein Südstadt hat derzeit plusminus 370 Mitglieder. Allein in den letzten drei Wochen sind aber 41 „Neue“ dazugekommen. Bleibt abzuwarten, ob sie mit der Devise von Juso-Chef Kevin Kühnert eingetreten sind – also um #NoGroKo zu sagen wie David. Oder ob sie es mit Sabine halten und sagen: Wir nutzen die Chance in einer Regierung.
Der Mitgliederentscheid beginnt am 20. Februar, das Ganze läuft schriftlich bis zum 2. März. Am 4. März wird die Parteispitze die Entscheidung verkünden. Und sicher ist nur: Nach den vielen Kehrtwenden und der Achterbahnfahrt der vergangenen Monate ist der Ausgang jetzt alles andere als klar. Auch in der Kölner Südstadt.
Informationen über den SPD-Ortsverein Südstadt findet Ihr hier.
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