„Kunst kommt von Kümmel“
Freitag, 1. Juli 2011 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Pietro Pellini
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Irgendwie haben sie ihn damals alle gekannt, und viele erinnern sich bis heute an ihn: die Geschäftsleute in der Severinstraße, die Männer aus der Annostraße, die Künstler, die Galeristen, die Büdchenbesitzer und Kneipenwirte. Er war Teil der Südstadt, hat sie zu dem gemacht, was sie trotz aller Veränderungen der vergangenen Jahre geblieben ist: ein Ort, an dem nicht nur Kulturen aufeinander, sondern auch auf echte Kultur treffen. Laut, lebenslustig und liebenswert muss Ingo Kümmel gewesen sein. Einer, für den Kunst und Leben eine Einheit waren. Deshalb suchte und förderte der Kunstvermittler und Galerist gezielt junge Künstler, veranstaltete Performances und Kunstmärkte.
Sein Wirtschaftsstudium hatte er abgebrochen, als er 1959 nach Köln kam. Hier organisierte der 22-Jährige zunächst im Keller des Studentenheims Olshausen einen Jazzclub. Die Bläck Fööss hießen noch Stoaways, als sie dort auftraten. Und der Posaunist Manfred Lahnstein wurde erst Jahre später Bundesfinanzminister und Bertelsmann-Vorstand. Später eröffnete Kümmel in Braunsfeld im Laden einer Schnapsladenkette „Kümmels Spirit and Art Shop“. Heinrich Böll, Rolf Dieter Brinkmann und Helmut Heißenbüttel lasen dort aus ihren Werken. Stephan Wewerka und Diter Rot tauchten eine Leinwand in eine Badewanne voller Kümmelschnaps. Sie hängt heute in der Kathedrale der Weltkunst, dem Museum of Modern Art in New York.
Es war die Zeit, als die Kultur hinaus aus den Museen und Hochschulen und auf die Straße drängte. Mit Protest gegen die etablierten Strukturen hatte das zunächst wenig zu tun. Politisch allerdings war dieses Engagement von Anfang an. Hinter ihm steckte der Wunsch, eine breitere Bevölkerungsschicht zu erreichen und auch ihr, mit Kunstausstellungen und -aktionen, Dichterlesungen, Theater- und Musikveranstaltungen an ganz normalen Orten Teilhabe zu ermöglichen. Kunst und Kultur sollten nicht mehr nur eine intellektuelle Elite erreichen ohne dabei den Anspruch an sich selbst aufzugeben.
Seinen Ausdruck fand dieser Wille unter anderem in der Happening-und-Fluxus-Bewegung, die Wulf Herzogenrath ab 1973 als Direktor des Kölnischen Kunstvereins nach Kräften förderte. Ihn kannte Ingo Kümmel aus der gemeinsamen Arbeit an den Kölner Werkschulen am Ubierring. Herzogenrath, inzwischen Direktor der Kunsthalle Bremen, nennt Ingo Kümmel die Seele einer lebendigen Kölner Szene in den 60er- und 70er-Jahren (siehe unten). Aus dieser Zeit kennt ihn auch die Südstädterin Maja Majer-Wallat, ehemalige Pressesprecherin der Bundeskunsthalle in Bonn, sprach mit ihm über die Kunst und das Leben, stellte selbst am „Kunstneumarkt“ mit aus. Die improvisierte Messe hatte Kümmel als Gegeninitiative zum „Kölner Kunstmarkt“ mitgegründet, aus dem später die „Art Cologne“ werden sollte. „Kunst kommt von Kümmel“ hieß es allenthalben, denn beharrlich und unermüdlich schien der Südstadt-Impressario überall zu sein und lautstark das zu fördern, was er für fördernswert hielt.
Ingo Kümmel fand Mitstreiter in Künstlern, die damals schon bekannt waren oder es erst noch werden mussten. Er stellte Joseph Beuys und Sigmar Polke aus, veranstaltete Perfomances mit Al Hansen und Wolf Vostell, ließ Nico und die Einstürzenden Neubauten auftreten. Den Ort für die Theater-, Literatur- , Kunst- und Musikveranstaltungen fand er schließlich im Stollwerck. Ursprünglich hatte die gesamte Schokoladenfabrik in der Südstadt abgerissen werden sollen, um Investorenarchitektur Platz zu machen. Nach Besetzungen, Protestaktionen und einem gerade von Künstlern getragenen kulturellen Widerstand lenkte die Stadt schließlich ein. Das rote Backsteingebäude an der Rheinuferstraße blieb stehen und wurde, was es bis heute blieb: ein Ort für kulturelle Aktivitäten und Initiativen jenseits des Mainstreams. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Wulf Herzogenrath, ehemaliger Leiter des Kölnischen Kunstvereins, heute Direktor der Kunsthalle Bremen erinnert an den Kunstförderer:
„Ingo Kümmel war die Seele, der unermüdliche Motor einer lebendigen Kölner Szene in den 60er und 70er Jahren ihn interessierte die Aktion, die Veränderung, die Künstler-Taten bei den Menschen bewirken konnten: Verblüffung, Staunen das waren die zahmen Reaktionen, Proteste und Beschimpfungen waren die kraftvollen. Aber auch die liebte Ingo Kümmel, die Straße war sein Element und die Kneipe, die Diskussion und Demonstration. Der materielle Wert, gar der Kunstmarkt und Wertsteigerung alles dies war nicht so wichtig wie die Anregungen und Aufregungen, die ein Kunstwerk auslösen konnte. Deshalb gehörte er zu den Gründern des offenen Anti-Kunstmarktes auf dem Neumarkt. Zu seinen eindrucksvollsten Aktivitäten aber zählte das Festival für John Cage im Stollwerck, zu dem viele große Namen und kleine Künstler gleichermaßen kamen, auftraten und diskutierten ganz im Sinne von Cage, aber eben auch von Ingo Kümmel. Wir waren immer überrascht, dass er den ungeheuren Alkoholkonsum überlebte, immerhin so lange! Wir dachten damals, ein Bronze-Abguss seiner Leber sollte das Denkmal für ihn werden ein Platz in Köln ist natürlich angemessen für diesen Beweger. Jede Kultur-Stadt braucht die Spitzenkünstler und großen Institutionen, aber sie braucht auch den lebendigen Humus und deren Gärtner einer der ersten und intensivsten Vernetzer von Kunst, Aktion, Musik, Theater ganz im Fluxus-sinne war der Allround-Künstler, Galerist, Förderer, Lebensfreund Ingo Kümmel.
Wie schön, dass er in Köln nicht vergessen wurde!“
„Ingo-Kümmel-Platz“ im Severinsviertel
Ein Platz im Vringsveedel wird nach dem Kölner Galeristen Ingo Kümmel bennant. Ausgewählt für die Benennung als Ingo-Kümmel-Platz wurde eine Fläche an der östlichen Seite der Annostraße, gegenüber der Severinsmühlengasse. Am kommenden Sonntag um 14 Uhr findet die Einweihung des Platzes statt.
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