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Gesellschaft

Cafémamas

Montag, 11. Juli 2011 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Designwork

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Es ist nicht schwer sie nicht zu mögen, die Cafémamas, was auch zahlreiche Kolumnen und Artikel belegen, in denen über sie hergezogen wird.
Die Mutter im Rudel ist laut und lästig. Sie saut mit ihrem Anhang ganze Cafés ein, entblößt sich in aller Öffentlichkeit, diskutiert schonungs- und rücksichtslos in voller Lautstärke appetitliche Themen wie Windelinhalte und den Trink-, Verdauungs-, Rülps- und Furzrhythmus der eigenen Goldkinder und kennt überhaupt kaum ein anderes Thema außer den lieben Kleinen und ihrer Entstehungsgeschichte in allen blutrünstigen Details.
Kein Wunder also, dass Unbeteiligte da regelmäßig die Flucht ergreifen.

Wer allerdings schon einmal den ganzen Abend als einziges Nichtmitglied in einer Gruppe von lauter Berufskollegen verbracht hat, weiß, dass auch das kein reines Vergnügen ist. Ein Austausch mit Gleichgesinnten und Kollegen, Menschen, die verstehen, wovon man redet, weil sie selbst ähnliches erleben und entscheiden, ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstreflexion – aber eben nur für die, die die diskutierten Erfahrungen auch wenigstens ansatzweise nachvollziehen können.

Wenn sich allerdings regelmäßig in irgendeinem Café der Stadt das Mamarudel zusammenrottet, geht es nicht nur um einen gemeinsamen Beruf. Diese Schicksalsgruppe hat nämlich weder einen Feierabend noch eine Bezahlung, kein Feedback und keine Vorgaben für den „richtigen“ Umgang mit dem Nachwuchs. Dafür ziehen sich daber die grundlegenden Veränderungen, die das Elternwerden mit sich bringt, durch alle privatesten Bereiche – und lösen sie mitunter sogar auf. Sich auszutauschen, um gemeinsam zu verarbeiten, kann da manchmal Leben retten. Schließlich ist es äußerst wichtig zu wissen, dass auch andere Mütter den abrupten Wechsel zwischen überschäumender Liebe zum eigenen Nachwuchs und mordlüsterner Verzweiflung über denselben so erleben wie man selbst – nicht selten mehrmals in einer Minute. Gut zu wissen, dass auch die „Kolleginnen“ den Impuls kennen, einfach schreiend wegzurennen und nicht gleichmütig und zufrieden in ihrer neuen Aufgabe aufgehen, nur man selbst nicht. Das lindert das eigene Versagensgefühl entscheidend und tröstet ungemein.
Die Aufmerksamkeit der sorgenden Mutter ist vollständig gebunden – tags wie nachts. Bei den ersten Bewegungen, die das erwachende Kind von sich gibt, erwachen auch die Sinne der Mutter, notfalls auch um 3 Uhr 45 in der Nacht. Ein Abschalten ist nur dann wirklich möglich, wenn das Kind jemand anders in die Arme gedrückt werden kann, dem die Mutter bedingungslos vertraut. Durch diese permanente Anspannung entsteht gleichzeitig eine Überbeanspruchung wie eine Unterforderung – und letztere vor allem auf intellektueller Ebene. Wer den größten Teil seiner Zeit mit Kleinstkindern verbringt, muss dazu einen Kontrapunkt setzen. Sonst verflüchtigt sich der eigene Wortschatz. Sonst wird man selbst wieder zum brabbelnden Wesen und findet das vielleicht sogar ganz normal und in Ordnung.
Hinzu kommt, dass auf Schwangerschaftsdemenz Stillnebel folgt, wie die Hebamme diagnostiziert – Kind frisst Hirn kann man annehmen.

Ein simpler Handlungsbogen wie das Verspüren der Lust auf einen Kaffe über das Zubereiten bis zum Trinken desselbigen kann nur selten ohne Unterbrechung erfolgen. Zwar heißt der Handlungsbogen so, weil in ihm eine Spannung innewohnt, deren permanente Unterbrechung sehr frustrierend wirken kann, doch der Spannungsbogen des Kindes scheint stets straffer gespannt und die eigenen Bedürfnisse werden untergeordnet.

Zu hören, wie andere Mütter damit fertig werden, gepaart mit etwas Qualitätszeit im Café dient nicht nur der Tagestrukturierung, sondern auch der Selbsttherapie. Ist man sehr eingeschränkt in seiner Handlungsfähigkeit, so ist es wichtiger als sonst, wahrzunehmen, dass man noch Teil der Welt da draußen ist.

Um speziell auf die Bedürfnisse von Eltern mit ihren Kindern eingehen zu können, entstehen hier und da auch Eltern-Kind-Cafés, meist Mutter-Kind-Cafés, in denen man auf die Rudel, ihr Austauschbedürfnis und das lebenslustige Gefolge eingehen kann. In der Südstadt entsteht zur Zeit in der Bottmühle ein solches Café. Hier gibt es einen geschützten Raum, der Austausch ermöglicht. Was aber natürlich nicht bedeuten soll, dass Mütter nur noch diese Cafés aufsuchen dürfen.

Wenn Kinder aber in Selbstverwirklichungsfreude eine ganz normale Lokalität aufmischen, ohne in ihre Schranken gewiesen zu werden, stört das massiv. Rücksichtnahme sollte gewiss keine Einbahnstrasse sein, gegenseitige Toleranz ist angebracht. Und weil Kinder das nicht wissen und nicht können, stehen hier ihre Eltern in der Pflicht.

Doch selbst Mütter untereinander glänzen nicht immer durch Verständnis füreinander. Während das außen stehende Umfeld auf die Mütterbrigade und ihre Macken amüsiert, genervt oder manchmal auch leicht angeekelt reagiert, ist die Kritik der Mütter untereinander sogar oft um ein Vielfaches schonungsloser und bissiger. Immer gibt es eine, die zu lasch, zu streng, zu nachlässig, zu faul ist, viel zu früh Zucker zulässt oder arbeiten geht, zu lang oder zu kurz stillt. Und das ist schön, denn dadurch kann man ja auch hervorheben, wieviel besser man es selbst macht, nur ist diese Freude eine kurze, denn bald schon sitzt man wieder zuhause und spürt selbst den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Jede kämpft mit sich und ihren Unzulänglichkeiten, pragmatische Lösungen sind dabei oft sehr viel hilfreicher als dogmatisch überbaute. Eine Mutter will in den allermeisten Fällen das beste für ihr Kind, doch herauszufinden was das beste ist, ist nicht immer einfach. Zudem gilt es eher, das beste für die Familie zu finden, denn den Fokus nur auf einem Familienmitglied zu belassen, führt in der Regel zu tiefsitzendem Verdruss aller Seiten.

Nun hat womöglich die eine Mutter Schuldgefühle, weil sie gern arbeiten geht, die Fremdbetreuung ihres Kindes aber von ihrem Umfeld skeptisch beäugt wird; eine andere hat Schuldgefühle, weil sie ihr Kind vollzeit betreut, begleitet aber durch das Gefühl, hinter den eigenen Möglichkeiten zurückzubleiben und nicht zum Familienkonto beizusteuern. Anstatt nun zu erkennen, dass das Beste nicht für jeden das gleiche bedeutet und voneinander zu lernen, vertritt eine erschreckend hohe Zahl den eigenen als richtig gefundenen Way of Life als allein selig machend und kommentiert bissig die vermeintlichen Defizite anderer.

Doch warum ist hier nur die Rede von Müttern – betrifft dies alles nicht in gleichem Maße auch die Väter? Nur bedingt, denn erstens sind die vollzeitversorgenden Mütter gerade in Deutschland geradezu dramatisch deutlich in der Mehrheit, zweitens neigen Frauen eher dazu, sich durch das, was sie – auch an emotionalem Neuland – erleben, selbst in Frage zu stellen und drittens würde, selbst wenn es zustande käme, ein Vaterrudel wohl weniger genervte Verärgerung provozieren als bewunderndes Gestaune. Keine Frage: Auch Väter haben es und machen es sich nicht immer leicht, auch ihre privatesten Bereiche sind nach der Geburt umfassend umgestürzt. Die ganze Familie muss sich neu zusammen- und Raum für individuelle und gemeinsame Interessen finden. Und immer häufiger erlebt man väterliche Einzelexemplare, die nicht nur ihre Priorität bei der Familie sehen, sondern das auch aktiv durch Kinderzeit und Beteiligung bei Erziehung und Haushalt umsetzen. Doch wird dies auch immer noch beklatscht, anstatt es als Normalität wahrzunehmen, ganz im Gegensatz zu den Müttern.

Toleranz, Rücksichtnahme und Interesse füreinander, Dinge, die wir unseren Kindern beibringen wollen: Es wäre schön, wenn wir dies unter Erwachsenen selbstverständlich sowohl aufbringen als auch finden würden, nicht nur im Café.

Text: Nora Koldehoff

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