Spiel dich frei! – Jugendliche gegen Extremismus sensibilisieren
Mittwoch, 2. Januar 2019 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Nora Koldehoff/Rheinflanke
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Wenn Kinder zu Jugendlichen werden, hinterfragen sie Einsichten, Regeln und Werte des eigenen Elternhauses – und neue Vorbilder müssen her. Gerade in dieser Phase sind die Jugendlichen angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Gefahr ausgesetzt, mit radikalen Positionen in Berührung zu geraten. Deshalb sind schon seit längerem Präventionsmaßnahmen gefragt, die die Halbwüchsigen unterstützen sollen, darauf souverän reagieren zu können: durch Sensibilisierung für die Mechanismen von extremistischen Bewegungen.
Anzeige
Meine Südstadtpartner
Das Musikhaus Süd – lebendiges Kulturzentrum für alleDer Träger von Jugendarbeit und Flüchtlingshilfe „RheinFlanke“ bietet solche Programme an – zum Beispiel im Projekt „Spiel dich frei! „, das in Zusammenarbeit mit dem Sozialunternehmen „streetfootballworld“ und dem „Liberal-islamischen Bund“ realisiert wird. Sie setzen auf einen spielerisch-kreativen Ansatz als Kombination aus Dialog, Sport, Theater und Musik.
Unterschiedliche radikale Einflüsse
„Egal, ob sich radikale Gruppen als gewaltbereiter Islamismus, Salafismus oder zum Beispiel als Aggression rechtspopulistischer Bewegungen zeigen“, erklärt Dennis Diedrich, Referent von „RheinFlanke“, „eines haben sie gemeinsam: Es sind starke Kräfte, die unsere Gesellschaft spalten – und das auch wollen. Auf komplexe Fragen werden einfache Antworten gegeben. Und scheinbar wird ein Gefüge geboten, in dem sich die Angesprochenen zugehörig und wertgeschätzt fühlen. Vieles davon geschieht gezielt im nicht-öffentlichen Raum, und niemand soll davon erzählen. Unser Projekt soll dazu dienen, zu informieren und zu sensibilisieren. Wir stehen für eine vielfältige Gesellschaft, in der niemand mehr wert ist als ein anderer. Wir wollen die Jugendlichen dazu ermutigen, ihren eigenen Kopf zu benutzen, einen eigenen Lebensentwurf zu entwickeln.“
Das geschieht meist in Zusammenarbeit mit Schulen jeder Schulform, aber auch mit Jugendeinrichtungen und Vereinen. In zusätzlichen Multiplikator*innen-Schulungen werden Lehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen und anderen pädagogischen Fachkräften eigene Handlungsanleitungen für den beruflichen Alltag vermittelt. Eine begleitete Projektwoche in einer Schule beginnt beispielsweise mit einem Fußballspiel. „Ein Sportangebot ist ein guter Eisbrecher“, weiß Dennis Diedrich. Beim dabei eingesetzten „football3“-Konzept, das gezielt zur Gewaltprävention eingesetzt wird, müssen sich die Spieler zunächst selbst auf die Regeln einigen. Nach dem 20-minütigen Spiel vergeben sie dann „Fair-Play-Punkte“, die zum Spielergebnis hinzugezählt werden. Externe Schiedsrichter*innen gibt es nicht: Die Teams sind für ihr Spiel selbst verantwortlich. „Die Jugendlichen üben damit, empathisch zu sein, dialogfähig – und auch kritikfähig“, erklärt der Sportpädagoge. „Sport ist dann nicht nur eine Brücke, sondern auch ein Weg, um Sozialkompetenzen, Selbstvertrauen und gegenseitige Akzeptanz zu vermitteln.“
Theorie-Wissen und künstlerische Verarbeitung
Am zweiten Tag beginnt der Theorie- und Kreativ-Teil. „Eine gute Balance ist wichtig“, erläutert Dennis Diedrich. „Wir behandeln ein sehr ernstes Thema, aber trotzdem soll das Ganze nicht nur interessant sein, sondern auch Spaß machen. Wir fangen den Tag darum mit spielerischen „Warm-Up“-Übungen an. Dann folgen Theorie-Einheiten – meist durchgeführt von Religionspädagog*innen vom „Liberal-Islamischen Bund“. Ziel ist es, die Jugendlichen zu unterstützen, radikale Inhalte von tatsächlich religiösen und gesellschaftlich relevanten zu unterscheiden. Die Jungen und Mädchen sollen bestärkt werden, ihre eigene religiöse und kulturelle Identität zu finden. „Es kommt aber auch vor,“ erzählt Diedrich, „dass wir von einer Einrichtung signalisiert bekommen, dass die dortige Problematik eher Rechtsradikalismus ist. Dann führen wir die Theorie-Einheiten selbst durch. Die Inhalte der Theorie-Einheiten werden dann in Theater-, Tanz- und Musik-Programmen umgesetzt und am Ende der Woche präsentiert.“
„Besonders wichtig ist“, so Diedrich, „schnell auf die jeweiligen Gruppen reagieren zu können, um in kurzer Zeit ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Jugendlichen spüren, wenn sie ernst genommen werden und wenn ihre Ansicht gefragt ist – auch wenn sie dann kontrovers diskutiert wird. Es kann auch passieren, dass Konflikte, die bislang nur unter der Oberfläche spürbar waren, durch die Diskussion auf einmal aufbrechen und impulsiv werden. Aber auch das ist gut. Wir können das dann genau dann auch zu begleiten und zu besprechen.“ Neben den Projektgruppen finden deshalb immer wieder auch Einzelgespräche statt, in denen die Pädagog*innen mit ihrer Erfahrung, aber auch mit den Jugendhilfe-Angeboten der „RheinFlanke“ über die Projektwoche hinaus Unterstützung anbieten.
Anzeige
Meine Südstadtpartner
Privatpraxis für Physiotherapie Frauke Stöber„Es gibt auch immer wieder Teilnehmer*innen, die wir nicht erreichen“, räumt Stephan Hülsmann ein, der ebenfalls bei „RheinFlanke“ in dem Projekt arbeitet.“ Das ist ganz normal. Wir verlangen ja auch etwas: Die Jugendlichen sollen in einer sowieso schon von Unsicherheiten durchzogenen Phase ihres Lebens das hinterfragen, was sie vielleicht schon von klein auf von vielen Seiten hören. Oder was als einfache Wahrheit angeboten wird. Aber gerade darum ist genau in dieser Lebensphase eben auch eine solche Präventionsmaßnahme sinnvoll.“
Hilfestellung des vernetzten Trägers
„Nach Abschluss des Projektes besucht ein Teil der Jugendlichen auch unsere anderen Angebote, etwa das Jobcoaching, oder unsere Sport- und Gruppenaktivitäten“ erzählt Dennis Diedrich. „Auch eine Einzelfallhilfe ist möglich – so steht unser Auftritt nicht als eine einmalige Intervention da, sondern kann Nachfolgeangebote, Gespräche und Vermittlung an hilfreiche Stellen nach sich ziehen. Und trotz oder eben gerade wegen der nicht eben einfachen Thematik, mit der wir uns beschäftigen, erleben wir ein großes Interesse und eine sehr hohe Bereitschaft, sich einzubringen.“
Kontakt: Projektleiter Dennis Diedrich 0177 – 675 49 98
Am 16. Januar veranstaltet „RheinFlanke“ gemeinsam mit dem Unternehmen „Mein Kicker“ im Rahmen des Programms „Demokratie leben“ in der Lutherkirche von 17 Uhr bis 22 Uhr ein Kickerturnier mit Imbiss und Musik. Mehr Infos dazu hier.
Der Artikel ist zuvor bereits in einer vertiefenderen Version in der spielpädagogischen Fachzeitschrift gruppe & spiel, Heft 3/2018 erschienen.
Dir gefällt unsere Arbeit?
meinesuedstadt.de finanziert sich durch Partnerprofile und Werbung. Beide Einnahmequellen sind in den letzten Monaten stark zurückgegangen.
Solltest Du unsere unabhängige Berichterstattung schätzen, kannst Du uns mit einer kleinen Spende unterstützen.
Paypal - danke@meinesuedstadt.de
Artikel kommentieren