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Südstadt

„Ich gebe nicht einen Schnipsel auf!!“

Montag, 25. Februar 2019 | Text: Judith Levold | Bild: Stefan Rahmann/Judith Levold

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Sagte mir Bettina Schmidt-Czaia, Chefin des Historischen Stadtarchivs, drei Jahre nach nach der Katastrophe am Waidmarkt. Das Eindringen von Wasser und Erdreich durch eine mangelhafte Schlitzwand in die Baugrube der Nord-Süd-Stadtbahn hatte am 3. März 2009 um 13.58 Uhr Europas bedeutendstem historischen Stadtarchiv den Boden unter dem Fundament weggerissen. Zwei Menschen wurden getötet, zwei Häuser und mit zigtausenden Archivstücken auch die mehr als tausendjährige Dokumentation der Geschicke Kölns versanken in der Tiefe.

Schutt vom Archiveinsturz, darunter Archivgüter
Azfräumarbeiten nach Archiv-Einsturz
Schutzdach für die Bergungsarbeiten am Ort des Archiveinsturzes

1,6 Millionen geborgene Archivgüter plus zwei Millionen Winz-Fragmente

2012 konnte Bettina Schmidt-Czaia sich schon wieder ein bisschen freuen. Im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Porz, in einem hergerichteten ehemaligen Möbelmarkt, berichtete sie von den bereits geborgenen Archivalien, 95 Prozent immerhin konnten unter den Bergen des Schutts vom Archivgebäude hervorgeholt werden. Das habe sie aufrecht gehalten, diese insgesamt 1,6 Millionen Bergungseinheiten, die circa zwei Millionen „Schnipsel“, Kleinst-Fragmente, also quasi pulverisierte Einzelteile von nicht mehr erkennbaren Archivalien, nicht mit eingerechnet. Gerettet war das alles damit noch längst nicht, denn ein jahrzehntelanger Prozess der Reinigung und des Wiederzusammenfügens stand vor sieben Jahren noch ganz am Anfang.

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1,3 Milliarden geschätzte Kosten

Jetzt schreiben wir 2019, der Strafprozess um die Verantwortung für den Einsturz des Archivs ist gerade noch rechtzeitig vor Verjährung abgeschlossen, fast niemand wurde ernsthaft belangt, ein Zivilprozess wird folgen. In dem will die Stadt Köln die Erstattung der entstandenen geschätzt 1,33, Milliarden Euro Kosten für Katastropheneinsatz, Bergung, Restaurierung der Archivalien und den Neubau eines Archivs erstreiten. An die Aufnahme des Fahrbetriebs der Nord-Südstadtbahn ist auch in den kommenden Jahren nicht zu denken, 2027 ist jetzt angepeilt. Zehn Jahre nach dem Unglück, stimmt Bettina Schmidt-Czaia vor allem zuversichtlich, dass sie bald wieder eine neue Heimat mit dem Archiv haben wird – im neuen Gebäude am Eifelwall. Am Rande der städtischen Pressekonferenz zu „Zehn Jahre Archiveinsturz“ habe ich mit Frau Schmidt-Czaia gesprochen.

Frau Schmidt-Czaia, wie viele „Schnipsel“ haben Sie schon wiederherstellen können?
Ach, von den 1,6 Millionen Bergungseinheiten sind jetzt etwa 15% durch die Trockenreinigung. Wir haben uns ja sehr bald nach dem Einsturz ans Fraunhofer Institut in Berlin gewandt und sind dann an eine „Schnipselmaschine“ gekommen, die geschredderte Stasi-Akten rekonstruiert hatte. Die wurde mit städtischem Geld ertüchtig, so dass sie Schreibstoffe, Farben, Tinten erkennen und unterscheiden kann.

Und wie genau reinig man winzigste Fragmente von Schriftgut, als Fetz-chen?
Da hat eben Professor Fuchs von der TH den Weichpartikelstrahler entwickelt, der mit Papierfasern reinigt. Ganz fein, er nimmt Staub ab, also „Papier reinigt Papier“, dann erfolgt die Glättung, es wird gescannt und die Künstliche Intelligenz des Rechners lernt dann. Sie macht Vorschläge, „kann das Stück zu dem passen?“ und je nachdem, ob ja oder nein, speichert sie das dann. Der Clou bei dieser Puzzlearbeit: Wir brauchen erstmal eine ziemlich große Menge an schon sauberen und dann gescannten Einzelteilen, stehen aber, was die zwei Millionen Kleinst-Teile betrifft, noch ganz am Anfang.

Insgesamt aber auf gutem Weg?
Ja, absolut, es ist ja auch ein Drittel der geborgenen Archivalien schon wieder nutzbar. Durch alle Workflows wie Trocknen, Schadenskategorie bestimmen, Fotografieren und schriftliche Dokumentation. Wir schaffen es inzwischen binnen vier bis sechs Monaten, ein Stück wieder nutzbar zu machen.

Und wann, denken Sie, ist es geschafft?
Wir dachten damals direkt nach dem Einsturz, das klappe in 30 Jahren, jetzt würde ich sagen: Ab jetzt noch dreißig Jahre…Das ist dann aber der Zeitpunkt, an dem der letzte Riss geschlossen sein wird.

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Und was ist mit den anderen Rissen, also emotional?
Das wird mein ganzes Leben lang ein wichtiger Teil bleiben, die Verzweiflung am Anfang war enorm. Aber ich gucke nach vorne, ich will nicht nach hinten gucken, das tut immer noch zu weh. Und dass alles fertig ist, werde ich nicht mehr erleben, das gucke ich mir dann von oben an.

Und was waren so gute Momente seit 2009?
Ach, da gibt es einige, das ist ein Mosaik aus guten Momenten. Das sind nicht nur einzelne Stücke, die wieder aufgetaucht sind, das kann ich so nicht sagen. Sondern vor allem die immense Hilfsbereitschaft und Unterstützung aus der ganzen Welt, kaum ein Archiv, aus dem nicht MitarbeiterInnen bei uns in der Restaurierung ihren Urlaub verbracht hätten. Und dann natürlich das Highlight, der Beschluss für den Neubau am Eifelwall. Da freue ich mich sehr drauf, dass wir dann demnächst wieder alles unter einem Dach haben, eine neue Heimat für das gesamte Archiv. Das wird die Abläufe nochmal sehr vereinfachen und beschleunigen.

Und da kommen dann endlich der Platz und die Klimatisierung, die sie schon lange vor dem Einsturz angemahnt hatten?
Ja genau, das ist ja hochmodern, mit 9 verschiedene Klimazonen. Denn Fotos etwa müssen ja kühler gelagert werden als manches Schriftgut. Und mehr als 50 Regalkilometer haben wir dann – darauf freuen wir uns alle, das hält uns aufrecht.

Frau Schmidt-Czaia, vielen Dank für das Gespräch!

Text: Judith Levold

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