Abschied vom Gegenüber
Mittwoch, 4. Dezember 2013 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Gestern haben wir den ersten Teil des Interviews mit Dieter Wellershoff veröffentlicht. Weil der Mann einfach so gut erzählen kann, über Kunst und Kunstgeschichte, gibt es heute den zweiten Teil. Es geht um Gerhard Richter, um den Kölner Maler Eitel Schwarzer (von dem ein Werk bei Wellershoff im Wohnzimmer hängt) und um das Problem, was passiert, wenn die Kunst sich vom Gegenstand, vom konkreten Ding verabschiedet. Anlass des Interviews ist das neue Buch von Wellershoff, der inzwischen 88 Jahre alt ist. „Was die Bilder erzählen. Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum“ ist eine Sammlung von mehr als zweihundert Bildern aus sechs Jahrhunderten Kunstgeschichte – mit unaufgeregten Beobachtungen von Wellershoff versehen, mal sind es nur ein paar Zeilen, mal einige Seiten.
Herr Wellershoff, ist das nicht ein echter Luxus, dass man so ein Buch machen darf? Diese Freiheit, die man Ihnen einräumt?
Ich habe dem Verlag überhaupt nichts davon gesagt, dass ich das Buch schreibe. Ich habe das für mich geschrieben und dann vorgelegt, als es fast fertig war. Ich habe auch erst so im Laufe der ersten zehn, zwanzig Bilder begriffen, dass ich vielleicht auf dem Weg bin, ein Buch zu schreiben.
Dirk Gebhardt: Und warum haben Sie das dann begonnen?
?Weil es mir so viel Spaß gemacht hat. Auf diese Weise werden Bilder normalerweise in der Kunst-Darstellung nicht beschrieben.
Man liest, was Sie sehen, und hier und da bieten sie biographische Hintergründe an. Ich fand das Buch aber gar nicht belehrend. Wie lange hat das Ganze gedauert?
Ich habe mich ein Jahr lang damit beschäftigt. Und ich habe in dieser Zeit keine bremsenden Schreibkrisen gehabt. Es war einfach ein Strom des sich entfaltenden Interesses.
Sind das alles Bilder, die Sie im Laufe Ihres Lebens gesehen haben, oder haben Sie bewusst nach neuen Bildern gesucht?
Ich habe auch neue Bilder gesehen. Das Bild von Max Beckmann im Smoking, das kannte ich noch nicht. Und den Söldnerführer auch nicht (Anm. d. Red. Antonello da Messina, „Il Condottiere“, 1475). Ein ganz tolles Bild ist das. Was der Maler in dem Gesicht an Schroffheit, Kälte und an Selbstbewusstsein realisiert hat, das ist einzigartig. Es spricht alles dafür: Dieser Mann hat den Tod gesehen, und er hat das als Teil seines Jobs gesehen.
?Wie haben Sie das Bild entdeckt?
In Stößen von Kunstbüchern. Aber andere Bilder habe ich auch in ganz kleinen Kunstbüchern gefunden, da habe ich später nach einer besseren Abbildung gesucht.
Unverkennbar ist das Köln auf dem Bild von Henning John von Freyend („Köln-Raderberg“, 1975). Wie erleben Sie die Malerei in Köln? Gibt es eine?
Da hinten, da hängt eins von einem Kölner Künstler (er deutet in das Nachbarzimmer mit dem großen Bücherregal. Wir gehen hinüber, und er beschreibt.) „Das ist die Sahelzone in der südlichen Sahara. Eine Todeszone, alles ist vertrocknet. Und der Maler bat seinen kleinen Sohn, in dieses Bild etwas hineinzumalen (in der Mitte des Bildes ist ein DIN-A-4-großer Zettel zu sehen mit der bunten Kinderzeichnung eines Hauses und einer großen Sonne darüber).
Wie heißt der Maler?
Das ist Eitel Schwarzer. Und irgendwann stand eine Dame vor dem Bild, und sie konnte sich gar nicht davon trennen. Als wir sie danach fragten, meinte sie: ‚So sieht meine Ehe aus‘. Das Bild war erschlagend für sie, diese innere Wahrheit: die kleine Idylle und drumherum Wüste, alles niedergebrannt. Sie hat sich ein Vierteljahr später scheiden lassen. Und dieses Bild, das hat den Schubs gegeben.
Wie hat sich in Ihren Augen die Kunst vom 19. Jahrhundert an entwickelt?
Der Impressionismus war noch Einfühlung, da ging es um Nuancen von Blättern, Wasser und Wolken. Alles wunderbar, aber man konnte nicht immer so weitermachen. Da war nur noch Addition möglich. Die Nachfolger, die ‚fauves‘, haben keine naturalistischen Farben mehr verwendet. Irgendwann wurde diese Schwelle überschritten: Ich halte mich nicht mehr daran, dass das so ein feines Grün ist. Ich mache das anders.“
War der Weg damit beschritten weg vom Gegenstand?
Ja. Man hat die Wirklichkeitstreue fallengelassen, bislang ein Tabu. Und es kam ein inneres Bild zum Vorschein, ein expressives Bild. Noch viel drastischer ist es dann, wenn man die Körperlichkeit verändert wie im Kubismus, bei Picasso zum Beispiel. Da gibt es Strukturen, die ganz und gar unmöglich sind, die aber einen expressiven Schub haben, weil da etwas gewaltsam verändert wurde.
(Wellershoff erzählt jetzt frei, ohne dass wir noch viel fragen müssten. Gut, dass das Mobiltelefon auf „Aufnahme“ steht, denn es ist fast unmöglich, alles in dieser Präzision mitzuschreiben).
Und dann ging es nicht mehr um etwas, was da ist, was mir gegenüber ist. Sondern ich male Kreise, Striche und Flecken. Das Bild von Soulages zum Beispiel. Ein weißes Blatt, rechteckig, hochkant. Und er hat dunkle, graue und schwarze Bahnen gezogen und kleine weiße Stellen gelassen. Aber nebenbei hat er auf diese Weise einen niedergebrannten Dachstuhl gemalt. Das könnte nicht besser gemalt sein.
Das Geheimnis der Welt, das wurden dann später abstrakte Strukturen. Es war der Abschied vom Gegenüber. Für ein Genre, das die Vision des Gegenübers war, ist das ein ungeheurer Schritt.“
„Jetzt muss man sehen, wie das bei einem einzelnen Maler funktioniert, bei Gerhard Richter zum Beispiel. Er hat ja anfangs in der DDR diese Gruppenbilder gemalt, für Krankenhäuser, im sozialistischen Realismus.“
?Und ist dann irgendwann gegangen.
„Ab in den Westen. Und er hat dann eine Reise ans Mittelmeer gemacht. Als er wiederkam, hat er Landschaftsbilder gemalt und ist damit auf die Nase gefallen: Jetzt kommt der mit diesen Landschaften, und wir sind gerade bei der Abstraktion. Richter hat sich dann neu orientiert und wurde zu einem Mann, dem man sagte: ‚Guck Dir den Raum an, ich will hier was machen, was schlägst Du vor?.‘ Das wurden Riesenaufträge, bis hin zum Domfenster in Köln. Er hatte keine Hemmungen, also sich zu fragen: Passt das zum Dom? Er hat gesagt: Es sieht wunderbar aus mit der kraftvollen gotischen Steinkunst.“
Gefällt Ihnen das Fenster?
??“Es ist ein Fremdkörper im Dom, ja. Ich habe mich daran gewöhnt. Und die Sonne verleiht dem Fenster seinen Reiz. Wenn sie nicht durchleuchtet, ist das Fenster absurd. Das gotische Maßwerk gibt ihm Transzendenz, aber sonst wäre es belanglos.“
Herr Wellershoff, vielen Dank für das lange und spannende Gespräch.
Lesen Sie auch Teil I des Interviews – Verschlüsselte Botschaften
„Was die Bilder erzählen. Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum.“
Dieter Wellershoff
Kiepenheuer&Witsch
368 Seiten
39,99 Euro.
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