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Gesellschaft

All you can save – Unterwegs mit einer Foodsaverin

Montag, 23. Februar 2015 | Text: Antje Kosubek | Bild: Antje Kosubek

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Es ist vier Uhr morgens an einem winterlichen Samstag im Januar. Die Straßen sind menschenleer. Es ist dunkel, kalt, und ich bin hundemüde! Ich bin nicht auf dem Heimweg nach einer rauschenden Geburtstagsparty. Ich sitze im Auto mit einer „foodsaverin“- gemeinsam auf dem Weg, Lebensmittel zu retten.

Die Südstädterin Jelina Berzkalns erzählt mir während der Fahrt in den Kölner Norden, was ‚foodsaving‘ eigentlich bedeutet. Im letzten Sommer hatte sie damit angefangen, Lebensmittel vor der Mülltonne zu retten: „Ich habe mich auf der Homepage www.foodsharing.de registriert und danach ein Quiz absolviert, das seit Ende letztens Jahres obligatorisch für jeden ist, der mitmachen will. Um foodsaver zu werden, macht man mindestens drei Probeabholungen mit erfahrenen foodsavern. Die zeigen einem dann auch die verschiedenen Läden und erklären, wie unterschiedlich die Abholungen sein können“.

 

Foodsharing bedeutet, dass Essen nicht weggeworfen wird, wenn es noch gegessen werden kann. Ob Bananen oder Äpfel mit braunen Stellen, Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum oder kaputter Verpackung. Die Plattform www.foodsharing.de gibt es in Deutschland seit 2012. Dort können sich Haushalte, aber auch Betriebe über das Teilen von überflüssigem Essen austauschen. Zu den Initiatoren der Foodsharing-Bewegung gehören der Filmemacher Valentin Thurn („Taste the Waste“) und der Autor Stefan Kreutzberger („Die Essensvernichter“). Zur Zeit sind über 60.000 foodsharing-NutzerInnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angemeldet, sowie rund 9.000 Foodsaver.

Jelina Berzkalns: „Foodsharing bedeutet, dass Lebensmittel nicht weggeschmissen werden und man so viel wie möglich vor dem Wegwerfen rettet. Es geht nicht darum, Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Im Vordergrund steht immer die Rettung des Essens. Jeder foodsaver entscheidet, wann, wie oft und wo er abholt und wohin die Sachen gebracht werden. Beispielsweise bringe ich jeden Mittwochmorgen meiner Arbeitskollegin ein Brot mit. Die Kollegin freut sich dann sehr, wenn ich von meiner morgendlichen Abholung zurückkomme. Mein Sohn hat auch schon mitgeholfen, er wird später große Augen machen, wenn ich ihm später ein Stück Käsekuchen mitbringe.“

Mittlerweile parken wir das Auto im Hinterhof der Backstube. Meine Uhr zeigt 4:30 Uhr – kalt und dunkel ist es immer noch. Die LKW der Großbäckerei liefern montags bis sonntags morgens die frischen Waren an die Filialen in Köln aus und kommen nach vier Uhr mit den Waren zurück, die am Vortag nicht verkauft wurden. Sie landen im Hinterhof und über eine Presse im Container und werden zu Tierfutter verarbeitet. Auf dem Hof treffen wir zwei weitere Teams: eine foodsaverin, die Lebensmittel in Köln-Blumenberg ausgibt und einen foodsaver, der nach Porz und Mülheim fairteilt.

Jelina Berzkalns: „Beim Abholen lernt man immer wieder andere foodsaver kennen, man trifft sich. Zudem weiß man eigentlich nie, wie groß die Menge an abzuholenden Lebensmittel sein wird. Doch es ist immer besser zu viele, als zu wenige foodsaver vor Ort zu sein. Ich hatte gestern beispielsweise eine Abholung, da war ich allein vor Ort und hatte gerade mal drei Brötchen“.

82 Kilogramm Essen wirft jeder Deutsche pro Jahr durchschnittlich in die Tonne. Das hatte im Frühjahr 2012 eine Studie des Verbraucherschutzministeriums ergeben. Im Dunkeln kann ich den großen Metallcontainer gut erkennen. Die Bäckerei-Mitarbeiter fahren die zurückgekommenen Waren auf Blechen in zwei Meter große Metallwagen zur Presse. Wir nehmen quasi die Sandwichposition zwischen Spülzimmer, Backstube und Container ein. Bevor die Backwaren zerkleinert und weggeschmissen werden, fangen wir an auszusortieren und Lebensmittel zu retten. Richtig vorbereitet bin ich natürlich nicht. Zum Glück hatte Jelina auch an Handschuhe für mich gedacht. Ohne diese hätte ich schnell beim Aussortieren zwischen den ganzen verschiedenen Sahnetorten, Brot, Brötchen und Weckchen klebrige Finger gehabt.

 

Jelina Berzkalns: „Als foodsaverin bewirbt man sich für verschiedene Betriebe. Auf einer Karte im Netz sind die teilnehmenden Betriebe gelistet. Manche Teams sind offen, weil noch Leute im Team gebraucht werden. Andere Gruppen dagegen sind geschlossen, weil es genügend Leute im Team zum Abholen gibt. Und mit der Zeit kommt man immer wieder in neue Teams hinein, man springt mal ein oder erweist sich als besonders zuverlässig“.

Mittlerweile gibt es so viele Abholstationen, so Jelina Berzkalns, dass sie in der Woche im Durchschnitt zweimal am Tag unterwegs ist, um Lebensmittel zu retten. Immer mit dem Auto? Auf meine Frage, ob man bei Abholung in einem Markt um die Ecke, doch theoretisch gar kein Auto brauchen müsste, antwortet Jelina Berzkalns: „Das stimmt theoretisch schon. Aber wenn es viele Lebensmittel sind, besteht weiterhin das Platzproblem. Ich fahre immer eine Route und mehrere Läden nacheinander ab. Es soll ja auch effektiv sein und nicht nur für den Eigenbedarf. Also mache ich Großabholungen, das Auto ist dann oft vollgepackt bis in die letzte Ecke, die Rückbank inklusive. Dann habe ich verschiedene Stellen, die ich beliefere. Im Mädchenwohnheim in der Südstadt findet heute ein Brunch statt. Daher werde ich dementsprechend auch viel süßes Backwerk aussortieren und mitnehmen. Weitere Stationen sind beispielsweise das Johannishaus und auch die Moselstraße, zu den Flüchtlingen im Hotel Mado. Das schafft man nicht mit einem Lastenrad und schon gar nicht um vier Uhr morgens.“

Die foodsaver haben klare Regeln: Die Organisation muss zuverlässig sein, und alle, die bei einem Betrieb eingetragen sind, müssen auch wirklich abholen. Das Team muss sich inklusive der Springerlisten selbst organisieren.

Mittlerweile ist es viertel nach sieben am Morgen. Wir haben nun schon über zwei Stunden lang Backwaren sortiert. Müde bin ich nicht mehr, jedoch frieren meine Hände, und mein Rücken schmerzt vom vielen Bücken. Viel schlimmer ist der Anblick des vielen Essens, das in der Mülltonne landet: Rosinenblatz, weißes Brot, Croissants, Berliner, Kuchen, Törtchen, Muffins und vieles mehr. Alles können wir nicht retten, manches auch aus Platzgründen und anderes, weil die Lebensmittel keiner mehr essen würde. Bis viertel vor acht werden wir noch weiter Käsebrötchen von hellen Brötchen trennen und in Kisten verstauen.

 

Langsam wird es heller, und die Stadt um uns herum erwacht. Nachdem wir alles im Kofferraum verstaut haben, geht es zurück in die Südstadt. Auf der Rückfahrt lerne ich, dass es innerhalb der foodsharing-Organisation auch Hierarchien gibt. Es gibt Botschafter, die die Koordination der Betriebsverantwortlichen übernehmen. Sie geben auch Hilfestellung bei der Akquise von neuen möglichen Betrieben und repräsentieren das foodsharing in ihrem Stadtbezirk. Darunter stehen dann die Betriebsverantwortlichen, die einen guten Kontakt zum Betrieb und zum jeweiligen Abholteam pflegen.

Zurück im Kölner Süden steuern wir zuerst das Mädchenwohnheim an. Doch die süßen Backwaren für den Brunch bleiben vorerst im Auto, denn an der Pforte ist noch keiner wach. Hier müssen wir später wiederkommen. Weiter geht es ins Johannishaus. Dort liefern wir zwei Stiegen mit Berlinern und Kuchen aus. Der Mann am Eingang sagt uns, wie toll die Aktion hier ankommt.

Danach fahren wir die Fair-teiler Station am Kartäuserwall an. Dort legen wir Brot und Brötchen in eine gelbe Kiste. Fair-teiler sind Stationen, zu denen Lebensmittel gebracht werden, die sonst weggeschmissen würden. Jeder kann an diese Station gehen und sich Lebensmittel nehmen. Mir ist die Station noch nie aufgefallen. Inzwischen gibt es an zahlreichen Orten in Köln diese Fair-teiler-Stationen.

 

In der Südstadt sind das der Gemeinschaftsgarten Neuland (Bayenthal), sowie der Trödelladen und Büro der Talentskulptur (Altstadt-Süd/Kartäuserwall).
Um halb zehn ist die Aktion Lebensmittel retten zumindest für mich heute vorbei.
Das Bild im Kopf mit den vielen Backwaren, die im Containermüll landen, werde ich allerdings so schnell nicht mehr los.

 

Mehr im Netz
www.foodsharing.de
 

Text: Antje Kosubek

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