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Kultur

An den Schnittstellen der Wahrheit faltet man Origami.

Donnerstag, 4. April 2013 | Text: Stephan Martin Meyer | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Mein erster Poetry Slam. Ich bin gespannt und habe – zugegebenerweise – meine Zweifel. Doch ich stelle schnell fest, dass ich nicht der erste bin, der zum ersten Mal eine solche Veranstaltung besucht. Und dann auch noch in der Südstadt. Im Odeon.
Unter dem Titel „The Word Is Not Enough“ findet dieser Slam seit fünf Jahren jeden dritten Sonntag im Monat in der Kwartier-Lateng-Institution Blue Shell statt. Zum Jubiläum ziehen die Veranstalter in das Odeon-Lichtspieltheater um. Und sie füllen den Raum bis zum letzten Platz. Gespannte Erwartung.

Noch vor Beginn werden sieben Jurymitglieder aus dem Publikum ausgewählt. Klar: Ein Slam ist ein Contest. Doch nicht das ganze Publikum soll entscheiden, wer der beste Slammer ist, sondern – das macht das Procedere einfacher – nur ein paar wenige.

Zwei Moderatoren betreten die Bühne. Sie sehen aus wie Zwillinge: rasierte Köpfe, schwarze Bärte. Der eine – Alexander Bach, der Veranstalter – gekleidet in einen schwarzen Anzug, der andere – Michael Schönen – in Baggyjeans mit heraushängender Schlüsselkette. Die beiden Männer führen durch den Abend und beginnen mit einer langen Vorrede über die Historie des Slams. Sie versuchen, witzig zu sein, drehen sich jedoch selbstverliebt um sich selbst.

Bach mokiert sich über die Abgründe der deutschen Sprache. Darüber, dass die Verlage Oetinger und Thienemann ihre Kinderbücher an die Gegenwart anpassen, ohne jedoch reflektiert auf die öffentliche Diskussion einzugehen. Schließlich versteigert er sich in die Bemerkung, er komme aus einer Generation, in der er noch „Negerküsse bis zur Vergasung“ gegessen habe. Autsch.

Der Abend erreicht seinen ersten Tiefpunkt, als Philipp Schiemann als Sondergast außer Konkurrenz eine vulgäres Gedicht zweifelhafter literarischer Qualität zum Besten gibt. Er selber formuliert darin das Motto: „Der erste Text ist ein gottverdammter Jammer.“

Nach so einem Start – untermalt von einem Gedicht Michael Schönes und dem permanent ausfallenden Mikrofon – beginnt endlich der Hauptteil des Abends: Die fünf im Vorfeld ausgewählten Slammer dürfen nacheinander ihre Texte vortragen. Leider schleicht sich der Gedanke ein, dass die Lesenden lediglich Dekoration der auf der Bühne sitzenden Moderatoren sind: Die kennen die Texte offenbar und unterhalten sich getrost miteinander. Das zieht die Konzentration vom Hauptact ab.

Drei Männer, zwei Frauen. Florian Cieslik macht den Anfang mit gut gemeinter Sozialkritik in Reimen. Ihm folgt Jan Pilipp Zimny, der aus den fiktiven Tagebüchern seiner kleinen Schwester vorliest und damit einen ersten Lichtpunkt setzt. Spontan möchte ich mehr von ihm hören, zumal er in einer Mischung aus gut geschriebenen Texten und gesunder Selbstironie eine sehenswerte Comedy-Show abliefert. Nicht nur jetzt, sondern auch später, als die Slammer zur zweiten Runde antreten.


Doch dann tritt die Überraschung des Abends nach vorne: Theresa Hahl. Zuerst scheucht sie die Moderatoren fort, die ihr das Mikro einstellen wollen: „Das kann ich schon selber. Ich sehe zwar aus wie 14, bin aber fast zehn Jahre älter.“ Und dann trägt sie vor. Den ersten nachdenklichen Text dieses Slams. Den ersten Text der tiefgründig und klug ist.

 

Theresa spricht schnell, routiniert, emotional. Erst ganz allmählich entfaltet sich der Humor, der auch ihren Texten inne ist: „Verloren gehen ist immerhin eine Art der Bewegung“ und „An den Schnittstellen der Wahrheit faltet man Origami.“ Viel zu früh macht sie Platz für die anderen Künstler.

Der Name des nächstes Slammers macht mich nachdenklich: Wie kommt jemand auf die Idee, sich das Pseudonym Quichotte zu geben? Doch bevor ich darüber weiter nachdenken kann, trägt er seine durchaus amüsanten Texte vor. Bemerkenswert ist an seinem Auftritt zudem, dass er aus seiner Hosentasche wunderbar zerfledderte Zettel zieht, eingerissen und offenbar schon oft benutzt, von denen er seine Worte vorliest.


Auch Anke Fuchs, die zweite Frau auf der Bühne, beschäftigt sich eher mit Tiefgründigem, Nachdenklichem. Sie spricht leise über Freundschaft und über den Verlust derselben. „Erinnerst du dich noch“ wirft sie immer wieder in den Raum und macht damit Lust auf mehr. Die Jury sieht das anders. Leider.

Zwei Vorrunden gehen ins Land. Und meine Befürchtungen bestätigen sich: Lustige Texte setzen sich auf diesem Slam durch. Die Texte mit tieferer Bedeutung gehen im Rausch des Bedürfnisses, unterhalten zu werden, unter. Im Finale treten Zimny und Cieslik gegeneinander an. Letzterer entscheidet den Abend für sich. Die Entscheidung der Jury und meine persönlichen Vorlieben klaffen auseinander.

Das unkonzentrierte Geplänkel der Moderatoren zieht die Veranstaltung unnötig in die Länge. Gerne hätte ich noch eine Weile lang Theresa Hahl gelauscht. Für mich ist sie die Gewinnerin des Abends. Ich bin sicher, dass wir von ihr noch einiges hören werden.

Jeden 3. Sonntag im Monat findet der Slam im Blue Shell statt.

Texte und Infos zu

Theresa Hahl: www.theresahahl.de und gedichtmalmaschine.de

Anke Fuchs im Netz: www.rasendlangsam.de

Jan Philipp Zimnys Blog: zymny.wordpress.com

Quichotte zum Hören: www.myspace.com/quichotten

Florian Cieslik auf myspace: www.myspace.com/floriancieslik

 

Text: Stephan Martin Meyer

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